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(c) Pester Lloyd / 22 - 2015   POLITIK    29.05.2015

 

Fünf Jahre Orbán: Mein Haus, mein Stadion, mein Ungarn...

Premier Orbán hielt am Freitag eine Rede vor der "Stiftung Allianz für ein bürgerliches Ungarn". Er sprach von Erfolgen, "neuen Kapiteln" und der "Schaffung bürgerlicher Lebensqualität", die Opposition von einer zynischen Rede und einem "depressiven Land ohne Perspektive". Kritische Presse wurde ausgeschlossen. Zeitgleich demonstrierten tausende Pfleger und Sozialarbeiter des Landes - für ihr Existenzminimum!

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Noch bevor der Premier seine dreiviertelstündige Rede in dem teuer renovierten Palais der "Allianz für ein bürgerliches Ungarn", einer jener vielen Steuermittel absorbierenden, von der Regierungspartei gelenkten Vorfeldorganisationen auf dem Budaer Burgberg, seinem künftigen Amtssitz hielt, wurden zunächst einige nicht genehme Pressevertreter von der Veranstaltung ausgeschlossen, darunter auch die Oppositionszeitung "Népszava". das Newsportal
www.444.hu sowie die ehemalige Regierugnszeitung “Magyar Nemzet”, die Fidesz nicht mehr folgen mag. Die “Népszabadság” boykottierte dann freiwillig.  Zeitgleich demonstrierten, auf der "bürgerlichen" Seite der Stadt, in Pest, tausende Mitarbeiter des Sozialwesens um ein Einkommen, von dem sie wenigstens halbwegs leben können. 5 Jahre Orbán...

War für die ersten fünf Jahre seines Regierens vor allem "Strenge" angesagt, wäre für die kommenden, nun, da sich der "Erfolg" eingestellt habe, "Achtsamkeit" das Wort der Stunde, hob der Premier an. Er wolle das Land nun "einrichten für die Menschen, die arbeiten wollen". Ungarische Sozialarbeiter, Kindergärtnerinnen, Altenpfleger, jene die zeitgleich mit Orbáns Slebstlob marschierten, verdienen netto oft weniger als 100.000 Forint (295.- EUR) im Monat... Orbán findet es wichtig "auf die Menschen zu hören, auf ihre Alltagssorgen".

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Politik soll "nah am Menschen sein" und nicht "über sie hinweg arrangiert werden". Man müsse "an ihre Türen klopfen und auf ihre Probleme antworten." Das sei die "bürgerliche Stärkung" des Landes, die er anstrebt: Ungarn müsse Ungarisch bleiben: "Sicherheit,
Wohlstand und Wohlergehen kommen zuerst." Unterstützt werde das von ihm durch: "mehr Jobs, weniger Steuern, Familienunterstützung, mehr Ordnung, aber weniger Regulierung, ein besseres Leben, Stolz und Standfestigkeit!"  Apropos Stolz: ein mobiler Pfleger, der z.B. Angehörige von Schlaganfallpatienten entlastet, bekommt, selbst nach Jahrzehnten in diesem Schwerstarbeiterjob oft weniger als 100.000 Forint, rechnen die Redner ein paar Kilometer Luftlinie von Orbáns Rede vor.

Ungarn sei heute ein "stärkeres Land" als 2010, auch wenn "die See noch stürmisch" ist. Jene, die die "unorthodoxen Methoden der Regierung in Frage gestellt haben, sind jetzt am Rezept für unseren Erfolg interessiert", sagt Orbán. Es folgte eine Aufzählung amtlicher Kennziffern eines vermeintlichen wirtschaftlichen Erfolges: von der Erneuerung der hauptstädtischen Busflotte bis zur neuen Verfassung war fast alles dabei. Nur die Zahlen zur
endemisch steigenden Armut waren nicht dabei. Sie hätten auch nicht ins Ambiente gepasst. Beim protestierenden Mob, der wohl nicht zum "bürgerlichen Kapitel" zählt, sind sie besser aufgehoben.

Orbán meint, es sei angesichts "der Tatsache, dass diese rechtsextreme Partei (Jobbik, Anm.) die stärkste Oppositionkraft in Ungarn geworden ist" (auch ein Erfolg?) wichtig festzuhalten, dass die NATO und die EU "unsere Familie" sind, "mit der wir nicht brechen werden". Aber diskutieren: Die EU-Pläne für Aufnahmequoten seien so ein Thema: "Wer immer versucht mir das Grundrecht zu nehmen, zu bestimmen, wen ich in mein Haus, Familie und in mein Land lasse, der wünscht mir nichts Gutes, sondern Schaden." Mein Haus, meine Leute, mein Stadion...

Es sei für ihn überraschend, dass Ungarn "nach drei Wahlsiegen" seiner Partei im Vorjahr noch immer "Ziel wütenderer Attacken denn je" sei. Lies: Demokratie bedeutet, dass man mit einer Wählermehrheit einen Freibrief erlangt und niemand das Recht zur Kritik habe. Doch "wir sind die, für die die Unabhängigkeit Ungarns nicht verhandelbar ist." - "Ungarn zuerst!" Das werde auch die nächsten Jahre die Leitlinie seiner Regierung sei.

Natürlich gäbe es immer welche, die versuchten, ihre Position zu missbrauchen. "Niemand steht über dem Gesetz", doch genauso ist es "inakzeptabel, Menschen, die fleißig und erfolgreich sind, anzugreifen". Wir brauchen gegenüber Beidem "Null Toleranz", gegenüber "Amtsmissbrauch und grundlose Verleumdung". Übersetzung: wer und was dieser Niemand ist, der über dem Gesetz steht, bestimme ich. "Auf geht´s Ungarn!"

Die Oppositionsparteien reagierten, mit "verbaler Prügel", wie die amtliche Nachrichtenagentur MTI sich befleißigte, festzustellen. Die MSZP meinte, Orbáns Rede sei so abgedroschen, irreführend und inhaltsleer gewesen, dass man nur feststellen könne: Orbán steht genau da, wo er vor fünf Jahren auch schon stand. Das Land und seine Demokratie sei "demontiert", Orbán habe "sich zum einzigen Entscheider gemacht". Orbáns Regierung sei nicht nur "die schlechteste der letzten 25 Jahre", sondern geradezu ein "Erbe der vorherigen Autokratien", so MSZP-Chef József Tóbiás.

Die grün-liberal-nationale LMP richtete aus, dass die Politik Orbáns "nichts mit der Vertretung nationaler Interessen zu tun" habe. Orbán habe diese "nationalen Interessen auf dem Altar wahnsinniger Ideen geopfert".

Eine Vertreterin der Liberalen Partei meint "Orbáns Ungarn gewährleistet weder das Gemeinwohl, noch die Demokratie oder den Rechtsstaat".

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Die Demokratische Koalition (von Ex-Premier Gyurcsány) glaubt, "Ungarn braucht keinen Orbán". Die (absoluten) Schulden des Landes seien seit 2010 gestiegen, das BIP-Wachstum über die Periode im "Bereich der Fehlertoleranz". Es sei natürlich kein Wunder, dass "Orbán die EU nicht verlassen will, nun, da seine Familie, Verwandten und Freunde durch EU-Gelder reich geworden sind."

Die linksliberale Együtt konstatiert, dass Orbáns Regierung zu einem "Rekordhoch der Armut" in Ungarn führte und "zwei Mal mehr Menschen das Land verlassen haben als 1956". "Die wirklich hart arbeitenden, normalen Menschen wurden ruiniert", während "Geschäftsmänner" wie "Árpád Habony (dubioser "Berater" und Medien-Tycoon Orbáns) und Lőrinc Mészáros (Bürgermeister von Orbáns Heimatort, Strohmann) sowie Fidesz-Getreue wie János Lázár (Kanzleramtschef) and Antal Rogán (Fraktionschef) zu den Gewinnern zählen."

 

Die Kollegen von "Dialog für Ungarn" resümieren, dass Orbán aus Ungarn ein "depressives Land ohne Perspektive" gemacht habe. Die Rede sei die eines "Träumers, der sein Traumland Kindergartenkindern erzählt."

Die Demonstration der Sozialarbeiter und Pfleger, rund 5.000 Menschen sind gekommen, ging kämpferisch zu Ende. "Du kümmerst Dich um uns oder wir lösen die Regierung ab", hieß es Richtung Orbán. Kümmern? Das Wort Streik steht auch im Raum, Solidaritätsadressen aus dem Gesundheitswesen, sogar von einer Gewerkschaft des strikt unterworfenen öffentlichen Dienstes wurden verlesen. Lehrer fühlen sich betrogen, die versprochenen Gehaltserhöhungen fielen deutlich niedriger aus und für viele ganz ins Wasser. Die Unzufriedenheit wächst, aber in einem Maße und mit einer Verve, die Orbán nicht beeindrucken wird. Depressiv beschreibt es richtig. Das Land ist krank.

Einschlägige Reden Orbáns:

"Kossuth und Petöfi würden lachen...": Orbáns Rede zum Nationalfeiertag
http://www.pesterlloyd.net/html/1512redeorban.html

Orbán zündelt wieder - Rede in Rumänien: Das neue Ungarn wird "keine liberale Demokratie" mehr sein
http://www.pesterlloyd.net/html/1431orbanbailetusnad.html

So infantil wie gefährlich: Was ein Kinderbuch aus dem heutigen Ungarn mit Orbáns Blut-und-Boden-Rede verbindet
http://www.pesterlloyd.net/html/1240blutundbodenkinderbuch.html

Orbán braucht Krieg: Rede zur Lage der Nation (2015)
http://www.pesterlloyd.net/html/1509lagedernation17.html
Unfähig und verlogen: Reaktionen der Parteien auf Orbáns Rede
http://www.pesterlloyd.net/html/1510reaktionenrede.html

Mit gesenktem Haupt und gespaltener Zunge
Rede vor WJC: Orbán schiebt Schuld am Antisemitismus in Ungarn auf Europa ab
http://www.pesterlloyd.net/html/1319redeorbanwjc.html

Der Heilsbringer: Loben - Drohen - Erlösen: Orbáns Rede zur "Lage der Nation" (2014)
http://www.pesterlloyd.net/html/1408lagedernation16.html

Der Master und sein Plan: Orbáns Rede zur Lage der Nation (2013): Ungarn besser als Europa
http://www.pesterlloyd.net/html/1308plagedernation.html


red. / ms.

 

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