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(c) Pester Lloyd / 22 - 2015   WIRTSCHAFT    27.05.2015

 

Tokaj: Vom Wein der Könige, zum Fusel der Politproleten

Die nördlichste Weinregion Ungarns ist das Tokaj, ein Name, ach was, ein Ehrentitel, den man früher in Weinkennerkreisen mit Ehrfurcht aussprach. Seit Jahren tobt hier, wo einmal der Wein der Könige und der König der Weine herkam, ein schmutziger Krieg der neuen Polit- und Geldproleten. Der süße Duft schwerer Weine wird verdrängt vom Gestank billigen selbstgebrannten Pálinkas.
 
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Das Beste an einer Weinprobe ist doch die Coke danach...

Diskretion und Noblesse, das waren stets, neben guten Trauben und dem speziellen Kellerpilz sowie dem Wissen aus Jahrhunderten, die wichtigsten Zutaten für das Gelingen eines großen Tokajer und dessen Nimbus. Dabei war Tokaj natürlich stets ein Statussmybol, ein Hügel in der Gegend war ein Muss für den Erb- wie den Geldadel. Doch vor allem stand der Name für Qualität, sogar - wenn auch nur teilweise - noch in Zeiten der Gulaschdiktatur.

 

Seit der Wende geht es - abseits internationaler Player, die sich hier einkauften - deutlich rustikaler und plebejischer im nordwestlichen Weingebiet zu. Verteilungskämpfe und immer wieder Qualitätsskandale, meist mit Involvierung des staatlichen gebliebenen "Handelshauses", Ramschgeschäfte und Spekulationen, diffuse staatliche Förderungen, machten eine wirkliche Renaissance des wohl komplexesten Dessertweins der Welt immer wieder zu nichte. Einige können in ihren Luxusnischen zwar gut leben, doch das sind Einzelleistungen. Der Name Tokaj an sich ist als Synonym für flüssiges Gold längst nicht mehr tragfähig. Der süße Duft der edlen Tropfen wird verdrängt vom Gestank billigen Fusels, dem Odem der neureichen Eliten.

Aktuell dreht es sich um den Weingutbesitzer Dezső Kékessy, der einst zum inneren Zirkel Orbáns gehörte, während der ersten Amtszeit 1998-2002 dessen Botschafter in Frankreich war und als Geschäftspartner von Orbáns Gattin hilfreich, als es in den frühen 2000ern darum ging, die graue Aneignung von Tokajer Weingütern durch die "first family" und ihre Bezuschussung durch Fördermittel  zu verschleiern. Kékessy und seine Familie sind also Wein- und Strohmänner. Letztere Position ist zwar einträglicher, aber auch riskanter.

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Dezső Kékessys (Foto mit Premier Orbán vor dem Elysée Palast in Paris) Geschäfte im Tokaj laufen nicht sonderlich gut in letzter Zeit, seit drei Jahren schreibt man Verluste und damit sind auch die Interessen von Frau und Familie Orbán betroffen. Das mag damit zusammenhängen, dass seine bisherigen Finanziers, der Oligarch Simicska, aber auch der abgesägte Chef des Vermögensamtes und der Széchenyi Bank, Töröcskei, ihre Investitionen im Wein-Business gegen Null zurückgefahren haben. Sie sind bei Orbán in Ungnade geraten und benötigen ihre Gelder nun anderweitig, am besten im Ausland.

Kékessy hat in den vergangenen Jahren doppelgleisig gewirtschaftet und sich immer mehr Güter auf der slowakischen Seite der Tokajer Region zugekauft. Dieses Gebiet wird von vielen Ungarn als "Oberungarn" immer noch als ihr eigen betrachtet, doch das Recht "Tokaj" als geschützte Markenbezeichnung zu nutzen, wünscht man sich dann doch exklusiv auf die kernungarische Seite. Kékessys Doppelengagement soll dafür gesorgt haben, dass dieser jahrelange Rechtsstreit am Köcheln gehalten wird, so dass er auch seine slowakische Produktion noch immer unter dem großen Label vermarkten kann. Das machte ihm Feinde.

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Das Patricius Weingut

Unbeliebt machte sich Kékessy bei seinem alten Freunden auch, weil er gute Beziehungen zu einem kalifornischen Hungaroamerikaner und Weinhändler pflegt, der den ungarischen Staat seit 2012 hartnäckig auf knapp 10 Mio. EUR verklagt, weil der staatliche Tokajer Weinhändler Kereskedöház ihm - angeblich - Zigtausende Flaschen gepanschten Fusels als Qualitätswein verkauft hatte. Der Skandal reicht bis auf die Ebene des Landwirtschaftsministers Fazekas, der als Eigentümervertreter des Handelshauses auftritt - und es geht um Provisionen in beträchtlicher Höhe.

 

Es wird erwartet, dass die einstigen Parteifreunde des Diplomaten-Winzers ihren abtrünnigen und jetzt zur Feindesseite gezählten Kollegen nun bald auszahlen oder anderweitig zur Strecke bringen und dessen Güter neu vergeben werden. Ein Weingut im Tokaj ist ein Statussymbol, das im heutigen Ungarn nur von einem eigenen Fußballstadion samt Erstligaverein überboten wird. István Garancsi, der Bauunternehmer, als Präsident des Videoton Székesféhervár Orbáns enger Fußballfreund und bei den grauen Gasgeschäften rund um die MET einer seiner bevorzugten Kupferstecher, ist schon längst im Tokaj präsent und mit den Geschäften der Kékessys verwoben (siehe Grafik unten). Er kann dafür sorgen, dass die berühmten Güter weiter zu Spielwiesen der Neureichen ramponiert werden, bis keine Fass mehr auf dem anderen liegt.

Was wird dann aus Kékessy, dessen Familienbetriebe einst die Weingüter von Frau Orbán über- und die heilige Familie damit aus der Schusslinie nahm? Er hat in der Slowakei schon längst einen neuen Zuhälter gefunden. Dabei handelt es sich um den Ex-Boxer, Ex-Polizisten und "Businessman" Mikulás Vareha, der gerade zu 11 Jahren Haft wegen Steuerbetrugs verdonnert wurde. Kékessy kommt als "Verwalter" mit seinem speziellen Know how also gerade recht.

red. / cs.sz.

Hintergrund:

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Besitz- und Interessensverhältnisse im Tokaj (die Szárhegy dűlő-Sárazsadány-Tokajhegyalja Kft. gehörte einst Frau Orbán, sie ist angeblich nur pro forma in fremdem Besitz), Graphik: HVG

Wem gehören die wichtigsten Weingüter im Tokaj?

Árvay János, Orte: Tokaj, Rátka, Anbaufläche: ca. 24 ha, Eigner: Árvay János bzw. Árvay és Társai Pincészet

Disznókő Szőlőbirtok, Mezőzombor, 150 ha, AXA Millésimes (Weintochter der weltgrößten Versicherungsgesellschaft)

Royal Tokaji, Mád, ca. 50 ha, Royal Tokaji Wine Co. (Gut des prämierten Winzers István Szepsy, der es in den Neunzigern zusammen mit dem britischen Weinkritiker Hugh Johnson aufbaute)

Gróf Degenfeld Szőlőbirtok, Tarcal, Mádm, ca. 100 ha, deutsch-ungarische Familie Lindner

Patricius Borház,  Bodrogkisfalud, ca. 60 ha, Kékessy Dezső und Kékessy Katinka (siehe Artikel oben)

Béres Szőlőbirtok, Erdőbénye, ca. 50 ha, Familie Béres

Chateau Pajzos-Megyer, zwischen Tolcsva und Sárospatak, zusammen ca. 120 ha, Eigner: C.F.G.V.T., ein französischer Weinhändler

Tokaj Oremus, Tolcsva, 115 ha, Bodegas Vega Sicilia S. A. (Spanien, Familie Álvarez)

Tokaj kereskedőház, Tolcsva, 77 eigene Hektar + fast 1000 von Vertragsbauern, Eigner: ungarischer Staat

Dobogó Pincészet, Tokaj, 5 ha, Izabella Zwack (Tochter des berühmten Unicum-Fabrikanten Peter Zwack)

Tokaj-Hétszőlő Szőlőbirtok (früher: Disznókő), Tokaj, ca. 56 ha, Domaines Reybier (60%) und Grand Millésimes de France (40%)

Chateau Dereszla, Bodrogkeresztúr, 60 ha, Familie d´Aulan aus der Champagne

Királyudvar (Königshof), Tarcal, 75 ha, Familie Hwang (USA)

 

Zum Thema:

Alter Wein für neue Könige: Ungarische Regierung pumpt Milliarden in "ihre" Tokajer Weinberge. Orbán: Nichts wird uns aufhalten! (2014)

Pancsolták: Staatliches Weinhaus im Tokaj setzt Lieferungen wegen Panschvorwürfen aus
(2014)

Etikettenschwindel: Ungarn unterliegt im Tokaj-Streit mit Slowakei vor EU-Gericht (2012)

UNESCO gegen Biomassekraftwerk in ungarischer Weinbauregion Tokaj (2011)

 

cs.sz.

 

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