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(c) Pester Lloyd / 25 - 2015   WIRTSCHAFT     15.06.2015

 

Keine Wahl: Energiepreissenkungen kommen die Ungarn teuer zu stehen

Die gesetzlichen Energiepreissenkungen hatten wesentlichen Anteil an der triumphalen Wiederwahl Orbáns 2014. Sie waren ein Coup. Die Menschen hatten sich kaufen lassen, waren aber einer Milchmädchenrechnung aufgesessen. Die Frage ist nur noch, ob Preise oder Steuern steigern - oder beides. Fest steht schon: Schuld an allem wird die EU sein.

Wie seit Jahren ausführlich berichtet, hat die ungarische Regierung durch gesetzliche Preisdiktate und weitere regulative Eingriffe in den Energiemarkt den großen Konzernen vor allem das Geschäft mit den Privathaushalten vermiest.

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Ob ”Einwanderung und Terrorismus” oder - wie hier - Energiepreissenkungen:
Große Lügen brauche große Plakate...

Verkauft wurde die Aktion "Nebenkostensenkung" (dazu gehörten auch Regulierungen im Müll- und Wasserbusiness bis hin zum Schornsteinfegertarif) als sozialpolitische Maßnahme, als "Regiekostenkrieg" stilisierte man es zum Kampf "gegen Konzerne, die Extraprofite aus dem Land schleppen" und "Brüsseler Beamte, die ungarische Familien angreifen." (weil sie es wagen, neue Gesetze auf Konformitiät mit EU-Regeln zu prüfen).

Das vielfach (nicht nur in Ungarn) auf Ausnutzung einer oligopolen Machtstellung ausgerichtete Gebaren der Energiekonzerne und Wasserwerke, die - im Verhältnis zum Einkommen - sehr hohen Energie- und Nebenkosten, machten die Aktion beim Volk beliebt, das zum Dank für eine triumphale Wiederwahl der Orbán-Partei 2014 sorgte.

Dass die Sache gesamtwirtschaftlich und auch für den Einzelnen eine Milchmädchenrechnung ist, wenn man keine nachhaltige, professionelle Alternative anzubieten hat und bei der man "den Menschen erst den Kuchen klaute, um ihm dann die Krümel zuzuwerfen" (Ex-Premier Bajnai), steht auf einem anderen Blatt. Dort stehen auch zwei Dutzend neue Steuern oder Steuererhöhungen und eine nie dagewesene Umverteilung von Unten nach Oben.

Eigentliches Ziel des staatlichen Verdrängungskampfes war der reihenweise, oft
völlig überteuerte Aufkauf der Strom- und Gashandelstöchter der großen Energieunternehmen, von RWE über GDF/EDF bis zu E.ON durch den Staat. Das Business lohnte sich für die nicht mehr, Investitionen ließen sie aus, die Regierung hatte die Firmen sturmreif geschossen. Der Markt konnte neu aufgeteilt werden, das Geschäftsrisiko trug ab sofort der Steuerzahler. Aus der beschränkten wurde eine verschränkte Haftung.

 

Die Gründung des staatlichen "Ersten Nationalen Non-Profit-Energieversorgers" (ENKSZ) solle - so die Propaganda - die Errungenschaften dauerhaft sichern - den Job der Belieferung der Endkunden von den Privaten übernehmen und - streng beaufsichtigt - eine ehrliche und nicht auf Profite ausgerichtete Rechnung stellen. In diesem Sommer läuft die ENKSZ an, zunächst mit Erdgas, bald auch mit Strom und Fernwärme.

So weit, so märchenhaft. Noch konnte niemand erklären, warum sich an der schmerzhaft erlebten Erkenntnis, dass staatliche Großunternehmen über kurz oder lang das Volk meist genauso teuer zu stehen kommen wie die Profitgier der Multis, 25 Jahre nach der Wende etwas geändert haben sollte. Aber im "neuen Ungarn" war ja vieles möglich. Zweifel waren angesichts der kleptokratischen Auffälligkeiten jedoch angebracht.

Es kam, wie es kommen musste: Schon im April, drei Wochen nach der offiziellen Arbeitsaufnahme
warnte der ENKSZ-Kombinatsdirektor, dass das Erdgas vom Staat wohl nicht billiger werden wird als das der Multis. Denn man komme auch nicht günstiger an den Rohstoff, zumal (was der Staatsmanager natürlich nicht erwähnte) die gesetzlich untermauerten Geschäftspraktiken etwaiges Einsparpotential geschickt in private Taschen ableitet, Stichwort: MET - die Gelddruckmaschine eines Mafiastaates.

Nun stellten ENKSZ, aber auch der staatliche Energiekonzern MVM (der Dank der neuen Geschäftsmodelle erstmals in den roten Zahlen steckt) fest, dass die staatlichen Energiepreissenkungen in ihren Eingriffen weit über das hinausgehen, was ein normal wirtschaftendes Unternehmen abfedern kann und sogar Kosten betreffen, die gar nicht senkbar sind, weil sie durch Drittdienstleister bzw. technische Anforderungen entstehen.

Die Staatsfirmen präsentierten der Regierung daraufhin eine Kalkulation, die eine erhebliche Erhöhung der Strom- und Gaspreise nach sich zieht - oder als Alternative - jährliche Steuerzuschüsse durch den Haushalt - erfordert, um wenigstens mit einer Null in der Bilanz zu enden. Von 20-25% auf die jetzigen Energiepreise ist die Rede, also mehr als das, was die gesetzlichen Senkungen erbracht hatten (im Schnitt 15%-17%). Dabei ist die Refinanzierung des russischen Kredites für Paks II noch nicht einmal einkalkuliert.

So oder so. Die Regierung hatte sich bei der Verstaatlichung der Energiewirtschaft verzockt - und zwar
exakt so wie wir es vorhergesagt hatten - und würde in heftige Erklärungsnot geraten, wenn sie den Bürgern, die vor einem Jahr entfalteten Energiepreissenkungen gleich wieder streicht. Viel mehr Zählbares hat sie nämlich nicht zu bieten. Es muss also ein anderer Schuldiger gefunden werden und der Regierungssprecher erklären, dass man "die Preissenkungen in jedem Falle verteidigen" werde. So geschehen gestern.

Bewährterweise ist die EU Schuld. Diese hat bereits seit einiger Zeit die Energiepreissenkungen
auf dem Kontrollschirm, - neben anderen Fragen der Energiepolitik. Immerhin geht es um nicht so kleine Eingriffe in die Vertrags- und Dienstleistungsfreiheit sowie Bestandsrechte an Recht und Eigentum. Seit Jahren müht man sich in Brüssel, das Energiekonzern-Staaten-Kartell zu Gunsten der Kunden zu entflechten und zu liberalisieren, Wettbewerb zu ermöglichen, auch gegen den Widerstand der Heerscharen von Lobbyisten in den eigenen Reihen - da kommt Budapest im 21. Jahrhundert wieder mit dem "Modell Ulbricht" und alles beginnt von vorn.

Die Untersuchung der mutmaßlichen Verstöße gegen EU-Regularien liefert der Regierung jedoch ein willkommenes Alibi, ihre Fehlspekulation am Energiemarkt zu kaschieren und die nun unweigerlich kommenden - womöglich beachtlichen - Energiepreiserhöhungen den "Brüsseler Bürokraten" in die Schuhe schieben zu können. Da taucht gestern passenderweise einfach mal so ein Brief des Justizministers an die EU-Kommission auf, in dem stehen soll, dass Ungarn - auf Druck des EU-Verfahrens - bereit sei einzulenken, um einem Verfahren samt erwartbarer Finanzstrafe zu entgehen. Lies: die bösen Liberalen, Vollstrecker des Großkapitals und der Multis, pressen uns höhere Preise ab.

Blöderweise hat die EU gar nichts gegen die Preissenkungen an sich, beharrt sie doch lediglich auf rechtskonformer Umsetzung derselben und stört sich dabei an neun regulativen Punkten, die u.a. die legislative Gleichbehandlung von Marktteilnehmern, die Vorgaben zur Diversifikation der Lieferkette (wer erzeugt, der transportiert nicht etc.), aber auch die Verhinderung der Weiterreichung tatsächlicher Betriebskosten in die Rechnungslegung betreffen.

 

Man hätte nämlich, so die Auffassung in Brüssel, die Energiepreise auch durch die Abschöpfung der Gewinne über Steuern (was ja ohnehin schon geschieht) und die Verwendung dieser Steuern zum sozialen Ausgleich abwickeln können, rechtlich einfwandfrei und sozial plausibel. Aber darum ging es Orbán nie. Die Regierung wählte den direkten Eingriff in die Geschäftstätigkeit nicht ohne Grund.

Eine Preisdeckelung für Energie ist in keinem EU-Gesetz verboten, daher wird die EU auch nie eine Preiserhöhung "anordnen", wie das die Regierung jetzt darzustellen versucht. Den Brief hat sie wohlweislich nur erwähnt, veröffentlicht hat sie ihn nicht. Um die amtliche Schuldfrage in die Köpfe zu bekommen, wird wohl bald eine neue "Nationale Konsultation" und eine weitere Plakatkampagne fällig, denn mit der Wahrheit und rationalen Argumenten kommt man auch hier wieder einmal nicht ans Ziel. Bezahlen wird es der Kunde, der Bürger. Der hat keine Wahl, - denn die Wahl ist vorbei.

red.
 



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