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(c) Pester Lloyd / 27 - 2015     GESELLSCHAFT    01.07.2015

 

"Welcome To Hungary": Gegenkampagne zur Flüchtlingshetze der Regierung rollt in Ungarn an

Nach dem digitalen, folgt der analoge "Shitstorm" auf die Brachialpropaganda der Regierung gegen Flüchtlinge. Seit 1. Juli sind in Ungarn zunächst 500 mit Spenden finanzierte Plakate zu sehen, die Flüchtlinge willkommen heißen und den intellektuellen Bankrott der Regierung offenlegen. Man kann sich über die Aktion amüsieren, manchen mag sie Mut machen, doch angesichts einer immer monströseren Realität wirkt sie ziemlich hilflos.

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Fotos: MKKP

 

Mit dem Übermalen oder Zerstören der Regierungsplakate, wie dies gleich nach Auftauchen durch "organisierte" linke Aktivisten und spontane Wutbürger geschah - und von der Regierung als Angriff auf die Rechtsstaatlichkeit aufgebauscht wurde, wollte sich die "Spaßpartei" des "Zweischwänzigen Hundes" zusammen mit den Machern eines Internetblogs namens "Dicke Haut" nicht begnügen. Sie riefen kurzerhand zu Spenden auf, 3 Mio. Forint, ca. 10.000 EUR, sollten zusammenkommen, um der Regierungspropaganda einen Spiegel vor zu halten. Es wurden bis jetzt 33,3 Mio. Forint, also rund 100.000 EUR, das Spendenziel mit 1111% erfüllt.

Mit dem Geld wurden in einer ersten Runde 500 Großplakate im adaptierten Design der Regierungsvorlagen hergestellt, über die Parolen wurde im Internet abgestimmt und die entsprechenden Flächen in der realen Welt angemietet. Kein leichtes Unterfangen, denn mehr als die Hälfte des Außenwerbemarktes ist schon in Fidesz-Hand. Die andere Hälfte in jener des Unternehmens Publimont des Oligarchen Simicska, der seine bis dato sehr lukrative Verbundenheit mit Orbán vor einigen Monaten aufkündigte und dessen Unternehmen man nun zähneknirschend als Verbündeten buchen musste, um überhaupt legal im öffentlichen Raum plakatieren zu dürfen.

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"Wenn Du Ministerpräsident von Ungarn bist, befolge unsere Gesetze!" - Keine Anspielung, sondern ein Wink mit dem Zaunpfahl für den Kleptokratenpremier. Dieses Plakat soll ab heute in Felcsút, Orbáns Heimatort hängen...

Mitte Juli folgen weitere 500 Plakate. Die Hälfte ist für Budapest gedacht, der Rest geht in die Provinz. Auf dem Weg zum Airport werden auch englischsprachige Versionen zu sehen sein, damit auch Touristen sehen können, dass Ungarn nicht zur Gänze fremdenfeindlich ist, wie die Organisatoren sagen. Auch in London, Wien und Berlin soll je ein Großplakat angebracht werden, es sind die drei Städte, in die die meisten jungen Ungarn abwandern (Wirtschaftsflüchtlinge!) - und von dort kam auch eine nicht geringe Zahl von Spenden für die Aktion, was die Regierung wiederum so auslegte, dass die ungarische Opposition - so es sie wirklich gibt - aus dem Ausland finanziert werde. Nun das stimmt für mindestens 25% des ungarischen Staatshaushaltes auch.

Die Regierungskampagne mit ihren drei - ausschließlich auf Ungarisch fabrizierten Hauptslogans: "Wenn Du nach Ungarn kommst sollst Du 1. "die Gesetze befolgen", 2. "unsere Kultur achten", 3. "den Ungarn nicht die Arbeitsplätze wegnehmen", sorgte für viel politischen Ärger, nicht nur im liberalen Europa und für noch mehr Spott im Internet ("Kommt ruhig nach Ungarn, wir arbeiten schon in London..." etc.). Es gab Verhaftungen, als Plakate demoliert oder umgehübscht wurden, Polizisten wurden zur Bewachung abgestellt, sogar DNA-Proben von der Kripo genommen. Auch Fidesz-intern schüttelten einige Granden die Köpfe - ob des mangelnden "Stils".

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Ein Zitat des ungarischen Staatsgründers, des Heiligen István, gerichtet als weiser Rat an seinen Nachfolger (nach dem er vorher anderen Kandidaten die Augen mit Blei ausgießen ließ...). Sinngemäß: Ein Volk von nur einer Sprache und nur einer Kultur ist schwach und arm... Das Zitat verwandte Staatspräsident Áder im Januar. Die Aktivisten hauen ihm es jetzt erneut um die Ohren.

Dabei ist es gerade dieser Stil, die unhöfliche Du-Form, die Plumpheit der Aussagen und die Falschspielerei, Asylbewerber aus Syrien oder dem Irak auf Ungarisch anzusprechen, die den Vater des Gedankens sehr treffend benennt. Ein spezielles Plakat der Gegenkampagne geht denn auch in das kleine Örtchen Felcsút. Es ist der Heimatort Orbáns. Zwei Steinwürfe von dessen Anwesen, direkt neben dessen Fußballstadion wird dann zu lesen sein: "Wenn Du Ministerpräsident von Ungarn bist, befolge unsere Gesetze!" - Keine Anspielung, sondern ein Wink mit dem Zaunpfahl für den Kleptokratenpremier.

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Die Sujets (wir aktualisieren, sobald Fotos vorliegen) wollen nicht nur klarstellen, dass viele Ungarn vor Krieg fliehenden Menschen (das betrifft z.Zt. rund 2/3 derjenigen, die über Ungarn in die EU kommen) Respekt und Hilfe entgegenbringen, sondern auch die Verlogenheit der Regierungskampagne entlarven, die letztlich als Stellvertreterkrieg zur Ablenkung von der innenpolitischen Misere diente. Daher gibt es ebenso Hinweise auf Versäumnisse und Schandtaten in der Gesundheits-, Sozial- und Bildungspolitik, auf den Unfug der frömmelnd argumentierten Sonntagsschließung, auf die stetig wachsende Armut im Lande.

Die Realität hat mittlerweile monströse Dimensionen angenommen, Fakten wurden geschaffen, die den Betrachtern der Gegenkampagne das Lächeln und das Mutmachen nehmen werden, das diese kleine Aktion intellektuellen Widerstandes eigentlich hätte leisten sollen.

Flüchtlinge sind seit Dienstag per Gesetz pauschal zu illegalen Eindringlingen degradiert und werden auch dementsprechend behandelt. Die Regierung lässt der monatelangen Hetze gegen "Kulturfremde", ja die personifizierte Terrorgefahr, nun Taten folgen. Ungarn baut wieder Zäune, höher als im Kalten Krieg. (
Alles dazu in diesem Bericht mit umfangericher Chronologie)

 

Gerichte und Zivilinitiativen der Nachbarländer, selbst kaum in der Lage - oder Willens, wertes Österreich - Flüchtlinge adäquat zu betreuen, verhindern aktuell wieder die Rückschiebung von Flüchtlingen nach Ungarn, wegen menschenunwürdiger Zustände in den dortigen Flüchtlingsgefängnissen. Diese Flüchtlingskonzentrationslager sind überfüllt, erbärmlich geführt und zu gefährlichen Dampfkesseln der Not und des Frustes geworden, die nicht mehr nur kurz vor dem Bersten stehen. "Wenn Du nach Ungarn kommst..."

Auch der "Krieg der Plakate" wird weitergehen, die Regierung kündigte nicht nur an, die Flüchtlingskampagne zu verlängern, sondern nun soll auch eine "Positivkampagne" ergänzend eingreifen, um das Stimmungsbild wieder hinzubiegen. Die glänzende Familienpolitik der Regierung soll diesmal das Thema sein. "Zufälligerweise" genau das Politikfeld, auf den die Kuscheloffenisve der Jobbik ihren Schwerpunkt legte. Aber auch das ein Gebiet, bei dem die Lücke zwischen Schein und Sein breiter ist als die pannonische Tiefebene mitsamt den Karpaten ringsum oder - um im "Shitstorm"-Jargon zu bleiben -, die nächste Volksverarsche... - Zwangsläufig fragt man sich da: Sind Plakate wirklich alles, was die ungarische Opposition heute aufstellen kann?

m.s.

 



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