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(c) Pester Lloyd / 27 - 2015     POLITIK    02.07.2015

 

Feldzug gegen NGO´s in Ungarn: Eine Schlacht verloren, doch der Krieg geht weiter

Seit über einem Jahr ermittelte die ungarischen Staatsanwaltschaft auf Betreiben von Orbáns Kanzler Lázár gegen Nichtregierungsorganisationen (NGO) wegen des Verdachts auf "kriminelle Aktivitäten". Aber: Keine Spur. Die auf wilden Behauptungen basierenden Ermittlungen wurden jetzt eingestellt. In einer Demokratie würde der Verantwortliche nun zurücktreten. Doch Lázár sinnt auf Rache. Die Kampagne gegen NGO´s wächst sich zum ersten systematischen Fall politischer Verfolgung im Ungarn der Nachwende aus.

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“Bereitschaftspolizei” bei der Hausdurchsuchung bei Ökotárs und Energiaklub, September 2014, Foto: MTI

Schließlich ging es bei der - einem Putin alle Ehre erweisenden - Kampagne nie darum, Unregelmäßigkeiten in der Verwendung von Geldern fremder Länder (in diesem Fall aus den
EEA-Fonds Norwegens, aus denen von 2009 bis 2014 rund 90 Mio. EUR nach Ungarn flossen) nachzuweisen und zu beseitigen, sondern vor allem um den direkten Zugang der Fidesz-Regierung zu den noch zu vergebenden Mitteln von rund 150 Mio. EUR und die Kaltstellung der NGO´s, die mit ihren Sozial- und Umweltprojekten einen Kontrapunkt zu den gänzlich anders gelagerten Schwerpunkten der Regierung setzten - dieser also auch politisch ein Dorn im Auge waren.

Lázár und seine Exekutoren zogen das ganze Repertoire ab: Anschwärzung als fremdfinanzierte Feinde Ungarns und "Agenten fremder Mächte", Erstellung einer Schwarzen Liste "problematischer NGO´s", wilde Anschuldigungen über "finanziellen Missbrauch" ohne jeden Beleg, die Einschaltung von Kontrollinstanzen (KEHI), die gar nicht zuständig waren und
"kriminelle Akte" rapportierten, die vorauseilende Suspendierung der Steuernummern durch das hörige Finanzamt, was die Projekte geschäftsunfähig machte, der Entzug des gemeinnützigen Status`, letztlich eine medienwirksame Hausdurchsuchung, deren "Angemessenheit" im nachhinein von einem Gericht in Zweifel gezogen wurde - und der Auftrag an Orbáns Generalstaatsanwalt Polt, sich der "Liberalen" anzunehmen, wobei Lázár selbst das Urteil schon verkündete. Es lautete: Linke schieben sich gegenseitig öffentliche Gelder zum Schaden Ungarns zu. Eine Zusammenfassung der Ereignisse.

Die Norweger zogen recht schnell die Notbremse, froren sämtliche Gelder ein, erklärten Lázár, dass er sich nicht um norwegisches (auch isländisches und Liechtensteiner) Geld sorgen, sondern lieber an die zwischenstaatlichen Verträge halten solle. Im Übrigen solle die ungarische Regierung
"Respekt vor der Zivilgesellschaft"  lernen. Eine Antwort und ein Handeln, das man sich von der EU in Richtung Budapest seit Jahren wünscht - zumal es dort um Milliarden geht.

Die Gelder bleiben gesperrt bis sich die ungarische Regierung wieder an die trilateralen Abkommen hält, die vorsehen, dass eine gemischte Kommission, zur Hälfte aus NGO´s, zur anderen Hälfte aus Mitarbeitern des Entwicklungsministeriums besetzt, um die Vergabe der Projektmittel kümmert, während das Controlling bei einer unabhängigen, bei der EU assoziierten Behörde in Brüssel stattfindet.

 

Die ungarische Regierung lehnt das ab, denn auf diese Weise konnte sie sich nicht ausreichend in die Geldvergaben einmischen, obwohl unter den geförderten NGO´s bereits eine Reihe Fake-Vereine waren, die Gelder abzweigen konnten. Hinsichtlich der EU-Milliarden ging das leichter, nur mit wenig Protest aus Brüssel wurden die alten, schon intransparenten, aber wenigstens in Brüssel bekannten Abläufe im Entwicklungsministerium gestoppt, die Milliarden liegen nun direkt in Orbáns Vorzimmer, auf dem Schreibtisch Lázárs.

Dem Oberstaatsanwalt wurde sehr bald klar, dass in der Sache der NGO´s rechtlich nicht viel zu holen war, zumal die Norweger und das gesetzlich zuständige Controlling in Brüssel keine substantiellen Beanstandungen hatten und die Stiftungen und Vereine ihren Rechenschaftspflichten weitgehend nachkamen. Er delegierte die Sache daher an die Kollegen in Budapest, die nun die Ermittlungen ohne Ergebnis schließen mussten. Die Sprecherin der Staatsanwaltschaft teilte Anfang der Woche mit, dass man bei drei Stiftungen und zwei Vereinen "keinerlei Rechtsverstöße" festellten konnte, lediglich kleinere verwaltungstechnische Unregelmäßigkeiten - z.b. ein noch nicht publizierter Jahresbericht bei einem Verein - wurden angemahnt, diese seien aber behördlich zu klären und bedürfen keines Einschreitens der Judikative. Übersetzt: die Ermittlungen hatten nie eine ausreichende Basis und wurden nur auf politischen Druck eingeleitet.

In den Staatsmedien liest sich das freilich ganz anders. Die amtliche Nachrichtenagentur MTI musste gestern folgende Headline publizieren: "Unregelmäßigkeiten bei von Norwegen unterstützten NGO´s aufgedeckt". Es folgt eine Rechtfertigung aus dem KEHI, Lázárs persönlicher Denunziationsabteilung, in der man feststellt, dass drei (Föld Napja, Civil Kollégium, Szivárvány Misszió) von den fünf zur Prüfung übergebenen NGO´s, wörtlich "mit Gesetzen in Konflikt geraten" sind. Diese hätten nun Auflagen erhalten, um die Unregelmäßigkeiten zu beseitigen. Dass es sich dabei um nichts strafrechtlich Relevantes handelte, verschwieg man. Zwei weitere NGO´s, die Magyar Teleház
Alliance und die Erdei Iskola Stiftung müssten mit ihrer Auflösung wegen "Inaktivität" rechnen, so KEHI. Bei Letzterer handelt es sich allerdings um ein Fidesz-U-Boot, zur Abzweigung von norwegischen Mitteln für Projekte in Siebenbürgen, das übrigens immernoch in Rumänien liegt.

Dass die am massivsten ins Visier geratene NGO, Ökotárs, die sich vor allem mit Projekten des Umweltschutzes, Erneuerbarer Energien und des nachhaltigen Wirtschaftens und fairen Handels befasste, völlig unbelastet aus den umfangreichen und teils illegalen Ermittlungen von Behörden und Gerichten hervorging, erwähnten weder das KEHI, noch die Staatsanwaltschaft - und schon gar nicht der Leiter des Amtes des Ministerpräsidenten, János Lázár.

 

In normalen Demokratien, wie gesagt, wäre eine öffentliche Entschuldigung und Wiedergutmachung das Mindeste, ein Rücktritt des Verantwortlichen normal und angemessen. Neben Lázár wäre das auch der besonders vom NGO-Jagdfieber besessene Staatssekretär Csepreghy. Er betonte, dass die Aufgabe der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft "keine Reinwaschung" der NGO´s bedeute. Offenbar hat man vor, noch mehr Schmutz zu werfen.

Im heutigen, von einer rechthaberischen, rachsüchtigen Regierung beherrschten Ungarn dürfte das Kapitel "Kampf gegen NGO´s" jetzt erst richtig Fahrt aufnehmen. Lázár, der erst im Februar noch einmal tüchtig
Öl ins NGO-Feuer goss als er von der "Eliminierung" von "Schädlingen" sprach, womit er offen zugab, politische Verfolgung zu betreiben, soll schon an weiteren Plänen schmieden, sogar die Kolportierung eines "Geheimdienstberichtes" über "antiungarische Aktivitäten" wurde schon beraten, von der Qualität solcher Berichte konnte sich das Publikum bereits in der Vorwoche überzeugen. Die Geheimdienste unterstehen übrigens einem gewissen János Lázár.

red.
 


 



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red. / cs.sz.
 




 

 

 

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