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(c) Pester Lloyd / 28 - 2015     WIRTSCHAFT    08.07.2015

 

"Feindlicher Akt": EU startet zwei Verfahren gegen Bodengesetz in Ungarn

Der Eingriff in die Eigentumsrechte bestehender Landpächter via standrechtlicher Enteignungen sowie die offensichtliche Diskriminierung von EU-Ausländern beim Landkauf gehen Brüssel nun doch entschieden zu weit. Die Regierung verteidigt offiziell "ungarische Bauern vor Spekulanten", in Wirklichkeit schützt sie nur die neuen Pfründe von Parteibonzen.

Wie zu erwarten war, wird die Europäische Union gegen das neue ungarische Bodengesetz doch mit mindestens zwei Vertragsverletzungsverfahren vorgehen. Das erste beruht auf einer Beschwerde Österreichs und kündigte sich schon im Oktober 2014 an. Es geht darum, dass die Nichtigerklärung laufender Pachtverträge österreichischer Landwirte als unzulässiger Eingriff in die Investoren- und Vermögensrechte betrachtet wird, weil es die Betroffenen von den Erträgen ihrer Böden ausschließt.

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Die Unschuld vom Lande. Felcsút-Bürgermeister Mészáros mit seinem Gutsherren Orbán...

 

Die Legislative ermächtigte sogenannte Bodenkomitees (oder, wo sich solche nicht gründeten, schlicht den zuständigen Bürgermeister), die sich aus kommunalen Politikern rekrutieren, Pachtverträge nach Augenschein als "Taschenverträge" zu qualifizieren. Ein Staatsanwalt verfügt dann die Enteignung, Richter dürfen nur noch die notwendige Änderung in den Grundbucheintragungen anweisen, d.h. es gibt kein ordentliches Verfahren. Den Betroffenen bleibt dann zwar noch der Gerichtsweg, aber aufgrund der Gesetzgebung ist dieser als aussichtslos zu betrachten, zumal eine Klage keinerlei aufschiebende Wirkung hat.

Das zweite Vertragsverletzungsverfahren wurde von der EU-Kommission selbst initiiert, es richtet sich gegen die Beschränkung beim Kauf landwirtschaftlicher Nutzflächen für EU-Ausländer auf einen Hektar. Brüssel sieht darin einen Verstoß gegen die Kapitalfreiheit, eine der Grundfesten des EU-Binnenmarktes. Die Kommission betonte jedoch immer, dass "Einschränkungen in bestimmten Fällen statthaft sind", wenn diese "angemessen und gerechtfertigt sind sowie dem allgemeinen Interesse dienen."

Diese auf einen Kompromiss ausgelegte Formulierung griff Ungarn nie auf, denn die Interessen sind in Ungarn eher speziell gelagert. Das neue Bodengesetz diente und dient den Günstlingen der Regierungspartei vor allem zur Aneignung von staatlichem Land in Pacht, um darüber EU-Agrarsubventionen abkassieren zu können und eigene Landwirtschaftsbetriebe aufzuziehen, in denen die zuvor auf den Ländereien tätigen Bauern dann als Abhängige arbeiten dürfen. Die Enteignungen über das Vehikel "Taschenverträge" spielt zudem lokalen Konkurrenten erfolgreicher ausländischer Erzeuger in die Hände, diese Mitbewerber amtlich los zu werden.

Die Systematik ist evident, Dutzende Fälle kleinerer und größerer Parteikader, die sich Ländereien - sogar über das gesetzliche Maximum von 400 Hektar hinaus - sicherten, obwohl sie nie zuvor in der Landwirtschaft tätig waren, sind dokumentiert, die Vergabeverfahren vollkommen intransparent.

Die Liste der Begünstigten reicht bis hoch zu
Orbáns Kanzler Lázár und zur Familie des Premiers selbst und deren Geschäftsfreundeskreis (hier ein: Best of), vor allem zum Bürgermeister von Orbáns Heimatgemeinde Felcsút, Mészáros, der sich zudem noch über diverse Staatsbeihilfen für Mast- und Zuchtanlagen freuen durfte und, zusammen mit zwei anderen Familien zum größten Landbesitzer der Gegend aufstieg - neben seinen Baugeschäften etc. etc.

Als Erweiterungen dieser Masche sind u.a. die versuchte Einverleibung der Naturschutzgebiete unter die Hoheit des "Nationalen Bodenfonds" zu betrachten, die derzeit wegen einer
verfassungsrechtlichen Beanstandung ruht sowie die weitere Einschränkung des Informationsfreiheitsgesetzes, die eine Gegenwehr der Betroffenen verhindern soll.

Aus Regierungsperspektive wird der Vorgang natürlich gänzlich anders dargestellt: "Ungarn wird sein Bodengesetz verteidigen und wenn es dafür vor Gericht ziehen muss," sagte der Landwirtschaftsstaatssekretär Attila István Simon auf die Ankündigung der EU am Montag. Das am 1. Mai 2014 - symbolhaft zehn Jahre nach EU-Beitritt des Landes - in Kraft getretene Gesetz "schützt die Interessen der lokalen Bauern gegen die Spekulanten". So eröffne man ungarischen Höfen Wachstumschancen.

 

Zuvor eröffnet die EU aber einmal die Vertragsverletzungsverfahren, die in Budapest  wieder zu einem nationalen Unabhängigkeitskampf stilisiert werden, das magyarische Synonym für den Schutz illegaler Pfründe. Nebenbei behält man so ein lohnendes Thema in der Hinterhand, sollte sich die derzeitige Flüchtlingshetze in ihrer Wirkung irgendwann erschöpfen.

Sollten die Brüsseler Forderungen nach Übereinstimmung mit EU-Recht nicht erfüllt werden, wandern beide Verfahren am Ende vor den Europäischen Gerichtshof, teure Straf- und Entschädigungszahlungen folgen dann. Doch Ungarns Landwirtschaftsminister, als Weisungsbefugter des Bodenfonds knietief im amtlichen Korruptionssumpf steckend, macht sich keine Gedanken über ausbleibendes westliches Know how und Kapital, er betrachtet die Verfahren, vor allem die Einwände der Nachbarn schlicht als "feindlichen Akt",
Österreich "schütze Betrüger"...

cs.sz.


 



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