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(c) Pester Lloyd / 28 - 2015     POLITIK    06.07.2015

 

Griechenland und Ungarn: Warum Tsipras gehen muss und Orbán bleiben darf

"Ungarn fühlt mit dem griechischen Volk", lautet eines der jüngsten Statements Orbáns hinsichtlich der chaotischen Entwicklungen in Griechenland und der EU. Ohne ihn und seine “unorthodoxe” Politik sähe es in Ungarn heute genauso trostlos aus wie bei den Hellenen. Doch im Grunde genommen tut es das auch. Während Tsipras aber für sein Volk die Notbremse ziehen will, führt Orbán seinen faszinierten Parteigängern vor, dass Kapitalismus auch mit ganz wenig Demokratie funktioniert...

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Orbán schlachtet Griechenland-Krise für Eigenlob aus

"Unsere Gedanken sind mit dem griechischen Volk." Denn: so wie Ungarn wehren sich die Griechen gegen ein "europäisches Spardiktat", so wie Ungarn habe man den IWF vor die Tür gesetzt, beide Premiers kämpften für "ihr Volk". Das ist Orbáns Beitrag zum Thema. Dass auch die Russland-Politik des linken Premiers der Griechen ein wenig der Anbiederung ähnelt, die der rechtsnationale ungarische Premier betreibt, lässt er lieber unausgesprochen. Zumal seine Schleimoffensive gen Moskau bisher vor allem die Spaltung der EU und die ökonomische Abhängigkeit von Moskau (10 Mrd. EUR-Kredit) förderte, positive Effekte für die Mehrheit der Ungarn bis heute aber nicht erkennbar werden.

 

Orbán schlussfolgert aus dem Geschehen rund um den möglichen Grexit jedoch, dass seine Politik Ungarn, das 2010 "Gefahr lief in die gleiche Richtung wie Griechenland zu driften", das Land gerettet habe, worin mitschwingt, dass Europa seine "unorthodoxe" Politik nicht nur endlich anzuerkennen habe (was es längst tut, wie er meint), sondern sie möglichst gleich als Vorlage für eine eigene Kurskorrektur nutzen sollte. Dass Griechenland, im Gegensatz zu Ungarn, den Euro hat, die Lage also auch auf dem monetären Acker gar nicht direkt vergleichbar ist, lässt Orbán im Eigenlob einfach unter den Tisch fallen.

Zum Ausgang des Referendums, bei dem 61% der Wähler ihrer Regierung in Athen mit einem "Oxi" folgten, gibt es bis zur Stunde noch keine regierungsamtlichen Stimmen aus Budapest.

Forintschwankungen etc... - Grexit in Ungarn schon eingepreist

Lediglich erklärte ein Staatssekretär, bereits vorige Woche, dass die "möglichen Ausfallrisiken" für Ungarn bei einem Grexit "bereits im Budget 2016" einkalkuliert seien. Der Notfonds über 200 Milliarden Forint, also rund 700 Mio. EUR soll im Fall der Fälle einspringen. Diesen Fonds gab es allerdings auch schon die Jahre zuvor. Von der Handelsseite schlägt Griechenland nicht ins Gewicht, nur 0,4% aller Exporte gehen dorthin, Niederlassungen hellenischer Banken gibt es auch keine in Budapest.

Allerdings nimmt man zur Kenntnis, dass durch die Griechenland-Kapriolen der Forint leidet (er durchstieß mehrfach die 317er Marke zum Euro und schwächelt vor allem gegenüber dem Schweizer Franken noch stärker) und sieht sich hier im Sog der Euroschwäche. Das stimmt nur teilweise, denn andere Ostwährungen leiden bei weitem nicht so wie der Forint. Die Landeswährung wird nicht nur wegen der Verletzlichkeit Ungarns belastet, sondern ist seit Monaten ein beliebtes Spekulationsobjekt der Zocker. Die Zinsen für Staatsanleihen ziehen etwas an, um 20-35 Basispunkte von Polen bis Ungarn, was aber als nicht so dramatisch anzusehen ist.

Die offizielle Sprachregelung lautet: Ungarn steht heute auf einem viel stabileren ökonomischen Fundament (dazu werden die "Fabel"werte bei Arbeitslosigkeit (7% zu 20%) und Staatsschuldenquote (77% zu 180%) herangezogen und ist daher weniger angreifbar. Ansonsten werde man mit der "monetären Politik" die richtigen Antworten finden.

Geht es Ungarn wirklich besser?

Orbán zeigte bei seinen bisherigen Äußerungen mit dem Finger gen Süden und behauptet, dass es ohne ihn in Ungarn heute auch so aussähe. - Im Grunde tut es das auch, nur dass - volkswirtschaftlich besehen - die äußeren Schulden Griechenlands, in Ungarn in eine innere Verarmung fast der Hälfte der Bevölkerung umgemünzt wurden. In Griechenland ist zu allererst der Staat Pleite, in Ungarn sind es die Menschen, die durch ihr erzwungenes Elend, den Staat zahlungsfähig halten, zusammen mit der deutschen Autoindustrie, den EU-Milliarden und den Geldsendungen von Hunderttausenden ungarischen Wirtschaftsflüchtlingen. Die drei letzten Positionen machen mittlerweile rund die Hälfte des ungarischen BIP aus. Über 40% leben an und unter der Armutsgerenze. In allen Armutsstatistiken matcht sich Ungarn nur noch mit Griechenland und Bulgarien. Nicht zu vergessen, die geradezu sagenhafte Kleptokratie, die hier etabliert wurde. Sind das stabile Fundamente?

Genau diese Politik, die systematische Umverteilung von Unten nach Oben, wollten Tsipras und Syriza nicht mehr mitmachen - und dies macht in diesem Falle auch den klaren Unterschied zwischen den beiden Politikern aus, auch wenn die Opposition zu Europa rhetorische Ähnlichkeiten aufweist. Orbán macht unter dem Deckmantel des "Nationalen" Politik für seine Klientel und baut - nebenbei - Demokratie und Rechtsstaat ab.

Tsipras muss weg - Orbán darf bleiben

 

Tsipras hingegen versucht zumindest "im Zweifel für den Schwächeren" zu arbeiten und erfüllt damit den eigentlichen Wortsinn von Demokratie, auch wenn ihm wohl die Instrumente und das Kleingeld fehlen, seinen Weg erfolgreich zu Ende zu gehen. Immerhin waren es die bürgerlichen und schein-sozialdemokratischen Regierungen, die das Land Jahrzehnte in den Abgrund fuhren. Das Scheitern darf man nun dem "linken Demagogen" anheften. Die Griechen sehen das mehrheitlich aber anders und haben längst verstanden, dass sie sich - so oder so - in Zukunft ohne fremdes Geld aus dem Sumpf ziehen müssen.

Tsipras muss weg. Denn seine Politik stellt das in Europa vorherrschende Machtgefüge in Frage, das sieht keine Selbstbestimmung der arbeitenden Menschen vor und genau deshalb wird ein Orbán - vor allem von der EVP - gestützt und immer gestützt werden, egal wie viele rechtsstaatliche Normen und Grundrechte er auch einschränkt und unterläuft. Ein Tsipras aber wird verteufelt, ja am besten zu Fall gebracht, denn er untergräbt das Primat des Kapitals - Orbán will dort nur mitnaschen, möglichst ungestört auf seinem Thron in Budapest. Daher ist an Tsipras, dem Kommunisten, ein Exempel zu statuieren, nicht an dem Hampelmann in Budapest. Die Art von Kapitalismus, die derzeit Mainstream ist, funktioniert nämlich auch mit ganz wenig bis gar keiner Demokratie, ein Umstand, der Orbáns Parteigänger ziemlich zu faszinieren scheint...

red. / m.s.


 



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