Hauptmenü

 

Das Pester Lloyd Archiv ab 1854

Ost-West-Drehscheibe
Pester Lloyd Stellenmarkt

 

andrassy2015neu2

 

(c) Pester Lloyd / 29 - 2015     GESELLSCHAFT    12.07.2015

 

Freiheitsparade: Die Budapest Pride als Statement des liberalen Ungarn

Als die traditionelle Budapest Pride Parade, Abschluss der gleichnamigen Festivalwoche der LGBTQ-Bewegung, am Samstagnachmittag auf dem Andrássy Boulevard begann, musste sie - auch das eine notwendige Tradition - wieder von einem massiven Polizeiaufgebot gesichert werden, inklusive Metallgittern und Straßensperren, Einsatzkräften in voller Kampfmontur. Doch dieses Jahr war etwas anders...

29pridetitel (Andere)
Fotos: MTI

 

In diesem Jahr war die Schar hysterisch brüllender, gewaltbereiter "echter Ungarn" deutlich kleiner, ihr fuchtelndes Auftreten am Rande in seiner Verlorenheit noch grotesker, dafür die Teilnehmerzahl der Pride rekordverdächtig hoch. 15.000 bis 20.000 Menschen gaben ein Statement für das eigentlich Selbstverständliche ab, nämlich zu leben, zu lieben und sich auszudrücken wie es jedem beliebt und so lange es den anderen nicht in seiner - der gleichen Freiheit - nicht einschränkt.

Die Pride 2015 war nicht einfach nur die "Homoparade" aufgebrezelter, exhibitionsitischer Party-Gockel, auf die sie in manchen westlichen Szenen, aber auch von ihren Gegner reduziert wird, sondern sie war ein Treffen von Menschen, denen es - eben gerade im heutigen Ungarn - ein Bedürfnis war, Freiheit und Toleranz öffentlich zu demonstrieren, als unveräußerliche Grundbedingungen einer demokratischen, einer lebenswerten Gesellschaft.

Die Pride-Veranstalter konnten sich der Unterstützung von zwei Dutzend Botschaftern erfreuen, etliche Unternehmen sponsorten das Event - auch das ein Statement. Allerdings waren die meisten dieser Sponsoren aus dem Westen, so wie auch nur einer der Botschafter (Slowenien) ein Osteuropäer war. Eingeladen waren Bürgerrechtsgruppen, die sich für die Belange anderer drangsalierter, geschmähter Minderheiten einsetzen und so sah man im Meer der Regenbogenfahnen auch Transparente, die sich mit den Roma des Landes und den Flüchtlingen solidarisierten.

Der weltberühmte Dirigent István Fischer, der auf einem der Wagen mitfuhr, fasste alles in dem simplen Satz zusammen, dass die "Welt nicht schwarz und weiß, sondern bunt" ist. Ein Satz, der sich im heutigen Ungarn erst wieder Gehör und Geltung verschaffen muss, wo man das "für uns oder gegen uns" zur Schicksalsfrage manipuliert, wobei dieses "uns" nichts weiter sein darf als ein der Regierungspropaganda blind folgendes Schaf. Vertreter anderer Meinungen werden hier mal eben aus der "Nation" ausgeschlossen, andere Rassen und Lebensweisen als "artfremd" verdammt und auch so behandelt.

29pride1 (Andere)


Eine Gesellschaft, die Homophobie weitgehend überwunden hat, dürfte auch in anderen Belangen der Freiheit wenig Probleme haben. In Ungarn heute ist Homophobie jedoch etabliert, ja als Identifikationsmerkmal für den "echten Ungar" sogar fast erforderlich, jüngste Äußerungen Premier Orbáns, des Budapester OB Tarlós, der Partei- und Regierungssprecher Kocsics und Kovács haben das wieder belegt. Der Rausschmiss eines Funktionärs einer linken Oppositionspartei wegen haarsträubender Ansichten zeigt jedoch auch, dass es nicht nur eine politische Frage, auch ein Mentalitäts-, vielleicht Generationsproblem ist.

Die Gleichberechtigung gleichgeschlechtlicher Paare hat durch das Referendum in Irland und den Entscheid des Obersten Gerichtes in den USA riesige Fortschritte erlebt. Orbán erklärte, dass man darauf in Ungarn nicht warten solle, denn hier sei eine gleichgeschlechtliche Ehe schon von der Verfassung (seiner Verfassung) untersagt. Man dürfe "uns Ungarn" nicht Lebensweisen aufzwingen, die "nicht unsere sind". Also wieder: der Ausschluss des Andersartigen. Wer schwul ist, kann kein Ungar sein. Geistiges Mittelalter.

 

Im Staatsfernsehen ließ man die Sache zu den Hauptnachrichten einfach unter den Tisch fallen. Später veröffentlichte die amtliche Nachrichtenagentur zunächst ein Foto eines etwas zerrupft wirkenden Transvestiten, das nichts weniger als die üblichen Klischées bedienen sollte, erst später konnte man dann von einer Berichterstattung, zumindest bildseitig, sprechen. In den News bei M1 wurde dann von "ein paar tausend" gesprochen, die ihre Partikularinteressen verbreiteten, die Sache wurde klein geredet, der Umstand, dass sie stattfand, als Beweis für Ungarns demokratischen Status dargestellt. Dass diese Art Freiheit und die Liebe nur unter Polizeischutz und sogar gegen den Widerstand der regierenden Politiker möglich ist, davon kein Wort. Wie es der "Szene" wohl erginge, wenn nicht 25 Botschafter aus aller Welt ihr Patronat anböten? Die neuen Medien nicht als unvermeidbare Zeugen anwesend wären?

Der lange Zug von der Oper in der Andrássy út, über den Széchenyi Platz und die emblematische Kettenbrücke, war ein buntes Statement der Freiheit und der Lebensbejahung, in einer durchaus unfreien Zeit in Ungarn, in der ideologisch verbohrte und kalt rechnende Ideologen Menschengruppen gegeneinander ausspielen, die Ungleichheit, vor allem auch im sozialen Bereich als gottgegeben etabliert haben und sich Anmaßen zu bestimmen, was "die Menschen" wollen, tolerieren und was nicht.

Und so war der Umzug, dieser Karneval der Kultur, das Aufzeigen eines Gegenentwurfes zu Orbáns monochromer Welt. Hier die Individuen, die eine Gesellschaft aus Respekt und Toleranz formen wollen, dort der Autokrat, der die Freiheit des Einzelnen einer kollektiven Psychose unterwirft, die wieder nur Einzelnen nutzt. Die Pride wurde von der "Schwulendemo" zum universellen Botschafter für das andere, ein normales Ungarn...

a.l.


 



Unabhängiger Journalismus braucht
die Hilfe seiner Leserinnen und Leser!
18watchingYoupl (Andere)
Bitte unterstützen auch Sie den PESTER LLOYD!


 

 

Effizient werben im
Pester Lloyd!
Mehr.

Unterstützen Sie den Pester Lloyd!