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(c) Pester Lloyd / 33 - 2015     BILDUNG / FORSCHUNG    11.08.2015

 

Per KLIK zurück in den Stalinismus: Regierung in Ungarn verlangt von Lehrern totale Unterwerfung

Lehrer und Opposition erregen sich aktuell über einen erweiterten "Nationalen Ethik-Kodex", den hinfort 120.000 Schul- und 30.000 Kindergarten-Pädagogen als Teil ihres Arbeitsvertrages unterschreiben müssen. Ein solcher Kodex existiert bereits im Rahmen der "Karrierremodelle", wurde nun aber nochmals auf ein 26seitiges Werk ausgedehnt, das aus Lehrern Denunzianten und Untertanten machen und Gewerkschaften quasi abschaffen soll.

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Der "Nationale Ethik-Kodex", zu dem Lehrer bis Ende Oktober "ihre Meinung" einbringen dürfen und der ab dem Wintersemester 2016 in Kraft treten soll, beinhaltet u.a. Formulierungen, der die Pädagogen verpflichtet "stets sauber, gepflegt und sorgsam" zu sein, sich immer "professionell zu verhalten" und "von radikalen Äußerungen auch im Privatleben" Abstand zu halten. "Missverständliche Sprachverwendung oder aufreizende Kleidung" werden ebenso verboten wie das Unterrichten "unter Alkoholeinfluss und verbotenen Substanzen".

Zentraler Bestandteil ist - übrigens seit kurzem auch für Studenten, die einen Abschluss erhalten wollen - ein Treuebekenntnis zur ungarischen Verfassung, bekanntermaßen ein allein von Fidesz erarbeitetes und in Kraft gesetztes Dokument, mit Formulierungen, die sich u.a. bei Fragen der Nation und wer dazu gehört, den Minderheitenrechten und der Rolle "Gottes" jenseits des zivilisatorischen Standards in Europa bewegen.

Mit der Unterschrift unter den Kodex tritt der Lehrer automatisch einer vom Ministerium aufgesetzten Berufsinnung, NPK, bei, einer
staatlichen Einheitsgewerkschaft, die per Gesetz hinfort die Funktionen der bereits marginalisierten Berufsgewerkschaften übernehmen wird, was organisierte Arbeitskämpfe ausschließt und ein effektives Instrument darstellt, "Querulanten" zu disziplinieren.

Die Gewerkschaften der Lehrer kritisieren den Kodex auf verschiedensten Ebenen. Die schwammigen Formulierungen könnten als Vehikel für Kündigungsbegründungen dienen, die kaum beinspruchbar wären und würden Denunziationen fördern, denn ein Passus verpflichtet jeden Lehrer "Verstöße von Kollegen" den Vorgesetzten zu melden und vor "Ethikkomitees" auszusagen, die in ihrer Beschaffenheit an tiefste stalinistische Zeiten der "Selbstbezichtigung und Korrektur" erinnern. Diese ad hoc-"Volksgerichtshöfe", besetzt ausschließlich mit KLIK- und Ministeriums-Beamten, könnten Lehrer auch für das Nichtanzeigen von Verstößen anderer sanktionieren.

Teils greifen die Bestimmungen aber auch so tief ins Privatleben der Betroffenen ein, was Bürgerrechten und Verfassungsbestimmungen zuwiderlaufe. Allgemeine Sorgfaltspflichten seien ohnehin arbeitsrechtlich festgeschrieben, also unnötig gedoppelt, andererseits fehlen bei den vielen Verboten ausgerechnet Verbote zur Annahme von Schmiergeldern von Prüflingen und Schülern. Es sei bezeichnend, so ein Gewerkschafter, dass der Regierung ein langer Rock und saubere Fingernägel wichtiger sind als ehrliche, nicht käufliche Lehrer.

Die linke Opposition, aber auch die führende Lehrergewerkschaft findet es "himmelschreiend", dass ausgerechnet die beim Thema Selbstbedienung, Amtsmissbrauch und Korruption neue Maßstäbe setztende Orbán-Regierung von Lehrern einen "Ethik-Kodex" verlangt.

Außerdem gebe es wahrlich dringlichere Probleme im Pflichtschulsystem als das Verhalten der Lehrkräfte, u.a. die Misswirtschaft und das organisatorische Chaos bei der staatlichen Schulverwaltung KLIK, mangelnde, weil ständig zusammengestrichene oder fehlverwendete Finanzen, Segregation von Roma-Kindern, die ideologische Vereinnahmung der Schüler und Lehrer durch "patriotische" Aktionen wie Fahnenappelle und Pflichtsingen, Delegationen für Parteifeste, militaristischer Unterricht, rechtsradikale Gehirnwäsche, nationalistische Lehrpläne und Lehrbücher, nicht zu vergessen die nach wie vor massive Unterbezahlung der meisten Lehrer. Auch die Frage der Schließung etlicher Gymnasien ist noch nicht vom Tisch und eine riesige Bedrohung für künftige Generationen und die Zukunft des ganzen Landes.

 

Diese würden durch den Kodex jetzt ein weiteres Mal unter Generalverdacht und vor die Wahl gestellt, sich sklavisch dem ideologischen Bildungssystem zu unterwerfen oder zu gehen. Dieser Kodex "ist nicht nur demoralisierend, sondern völlig unnötig", fasst László Mendrey, Gewerkschaftschef die Stimmung der rund 150.000 von seiner Gewerkschaft vertretenen Lehrer zusammen. Man werde diese Maßnahme nicht einfach hinnehmen, sondern weiter selbst bestimmen, wie man sich organisieren wird. Von einem Streik oder konkreten Protesaktionen sprach Mendrey jedoch nicht, - dabei droht allen Lehrern, die das Machwerk nicht unterzeichnen die Kündigung "wegen Vertrauensverlustes", zumindest aber der Ausschluss aus Beförderungen und Gehaltserhöhungen.

MSZP-Budapest-Chefin Ágnes Kunhalmi sprang den Lehrern zur Seite, im TV prangert sie an: Wie kann es ausgerechnet diese Regierung der Korruption wagen, von Moral und Ethik zu reden? Was sie konkret dagegen unternehmen will - oder kann - das sagte aber auch sie nicht...

red.

Mehr im Ressort BILDUNG / FORSCHUNG
http://www.pesterlloyd.net/feuilleton/bildungforschung/bildungforschung.html

 

 


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