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(c) Pester Lloyd / 34 - 2015     WIRTSCHAFT    14.08.2015

 

Torschlusspanik? Ungarn will alle EU-Gelder auf einmal abrufen

Orbáns Kanzler, besser: Consigliere, János Lázár, machte gestern vor Medien eine einigermaßen überraschende Ankündigung. Die Regierung will per Dekret alle bis 2020 für Ungarn reservierten EU-Gelder bis Ende Juni 2017 verbindlich vergeben. Dabei handelt es sich um fast 30 Milliarden Euro, das sind 30% eines BIP. Ökonomisch ist das kurzsichtig bis grob fahrlässig, technisch schwierig. Warum also die Eile?

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Orbáns rechte Hand Lázár, dem die Vergabe der EU-Mittel vom Premier - aus naheligendem Grund - persönlich unterstellt wurde, will damit verhindern, so die offizielle Version, dass Gelder am Ende der Finanzierungsperiode übrig bleiben und womöglich verfallen oder wieder so ein Last-Minute-Chaos ensteht wie zuletzt. Daher sollen ab September 2015 bis Anfang 2017 die entsprechenden Ausschreibungen stattfinden, um 100% der Mittel in Projekten zu binden und nutzbar zu machen.

Die offizielle Begründung nimmt (gerade) Lázár jedoch kaum ein Beobachter ab. Vielmehr geht man davon aus, dass die überfallartige Ankündigung von Ausschreibungen, die für Projekte bis 2020 und darüber hinaus gültig wären, normal wirtschaftende Unternehmen in ihrer Planung überfordern müssen und so entsprechend vorbereitete Zirkel von der Aktion profitieren werden. Auf diese Weise müsste man nicht jede Ausschreibung umständlich einzeln manipulieren, sondern hätte seine Günstlinge - aber auch besonders protektionierte Wirtschaftsbereiche gleich durch die Ausschreibung selbst in die Pole Position gebracht. Es wäre ein logischer Schritt zur Systematisierung der
real existierenden Kleptokratie Ungarns.

Wir haben aber noch einen ganz anderen Verdacht. 2018 stehen in Ungarn Wahlen an. Zwar sitzt Fidesz, mangels Alternativen, nach wie vor fest im Sattel, doch nicht nur die kürzlichen erdrutschartigen Popularitätsverluste der Orbán-Partei, die jener nur durch radikale Hasskampagnen auf dem Rücken schwächerer stoppen konnte, sondern auch die traumatische Wahlniederlage 2002, haben aus dem Premier ein gebranntes Kind gemacht. Es ist - zumal in der irrationalen Welt des Viktor Orbán - absolut denkbar, dass die Anweisung zur Sicherung der EU-Mittel mit dem Wahltermin im Zusammenhang steht. Was man hat, das hat man.

Und selbst, wenn alles, wirklich alles mit rechten Dingen zuginge (ja, hier dürfen Sie schmunzeln!), - allein der statistische Effekt auf das BIP 2018 müsste so bombastisch ausfallen, dass das leicht zu begeisternde Fidesz-Wahlvolk mit Freuden nochmals dem Retter Ungarns die Stimmen geben wird. Ein so simples wie wahrscheinlich wirksames Kalkül. Geht die Wahl dennoch schief, kassiert man wenigstens nochmal kräftig ab.

Ökonomisch ist die Aktion, gelinde gesagt, idiotisch. Hieße das nämlich auch, dass alle Projekte, die sich erst nach 2017 bis 2020 ergeben, u.a. durch zuvor abzuschließende Investitionen oder neue Entwicklungen und Marktchancen, zwangsläufig leer ausgehen müssten. Ungarn hätte dann keine Reserven mehr bei der EU, die Wirkung wäre verpufft, eine Rezession vorprogrammiert. Direkte und indirekte Wirkungen zusammengenommen, hängt Ungarns BIP zu mindestens 10% am EU-Tropf.

Hinzu kommen eine Reihe technische Hürden, die es fraglich machen, ob Lázárs Express-Plan überhaupt so umsetzbar ist. Zunächst müssen der EU glaubwürdige und zu den Förderprogrammen passende Projekte eingereicht werden, die eine Reihe formaler Kriterien erfüllen müssen. Bei Projekten aus Ungarn gehen in der Brüsseler Poststelle schon heute sämtliche rote Warnlampen an,
Dutzende Projekte in Abermillionen Euro-Höhe liegen auf Eis und gänzlich hat man sich mit dem Kassenwart Lázár auch noch nicht abgefunden.

 

Man darf sich also ausrechnen, welchen Prüfaufwand Ungarn bei der EU auslöst, wenn Projekte über 30 Mrd. EUR (genau: 24,3 Mrd. EUR + ung. Eigenleistung, ohne Agrarsubventionen und Sonderfonds) eingereicht werden. Es ist fraglich, ob eine Volkswirtschaft mit rund 100 Mrd. EUR Eigenleistung binnen 2 Jahren Projekte von 30% des BIP darstellen kann, die in Brüssel genehmigt werden. Zudem müssen rund 15% Eigenbeteiligung erbracht werden, hier könnten Nationalbank, Entwicklungsbank und andere staatliche Institute mit Bürgschaften oder Reserven einspringen - allerdings erhöht sich so das Ausfallrisiko für den ungarischen Steuerzahler. Nicht zuletzt bleibt fraglich, ob die EU überhaupt bereit und in der Lage ist, bereits 2017 bzw. 2018 so viel Geld auf einmal flüssig zu machen.

cs.sz. / red.

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