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(c) Pester Lloyd / 39 - 2015   POLITIK    23.09.2015

 

Orbán bei Seehofer: Entfesselter Politdarwinismus Amok laufender Zaunkönige

Die bayerische CSU, Schwesterpartei der CDU und der ungarischen Regierungspartei Fidesz bei der EVP, hat Premier Orbán am Mittwoch mit einer offiziellen Einladung nach München einen roten Teppich ausgerollt und sich - ein weiteres Mal - mit dessen Politik gemein gemacht. Demokratie- und Rechtsstaatsabbau, antieuropäische und menschenrechtswidrige Flüchtlingspolitik und -behandlung. Die CSU verlässt damit den Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Aber es geht wohl um Größeres... 

- Ein Brachialkommentar -


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Wies´n kommt vor Menschlichkeit

 

Die CSU positioniert sich - in alter Tradition - wieder einmal am rechten Rand des "Establishments", ob aus innerer Überzeugung oder der strategischen Überlegung heraus, rechtsradikales Wählerpotential so zu binden. Rechtsverteidiger sozusagen. Die Grenzen gehören dicht gemacht, Orbán hatte "von Anfang an Recht", die Einladung Merkels an die Flüchtlinge wird uns noch "teuer zu stehen kommen", keine "Neuverschuldung für Flüchtlinge" sind Parolen aus der Münchener Parteizentrale, die ebenso gut von der Fidesz-Pressestellte hätten kommen können. Die Einstellung des Zugverkehrs zwischen Salzburg und Münschen, exakt bis zum Ende des Münchner Oktoberfestes ist dabei ein besonderes Schmankerl weiß-blauen Dünkels.

Kuscheln, Geisterfahrt, Provokation

Die Reaktionen der bayerischen Oppositionsparteien sind eindeutig: Die Einladung sei eine Provokation. "Widerlich" und "abenteuerlich" nannte die Fraktionschefin der Grünen das "Kuscheln" Seehofers mit dem "Rechtspopulisten Orban". Der Parteivorsitzende der Linken, Bernd Riexinger, warf der CSU vor, "Rassismus endgültig zur Chefsache" gemacht zu haben. SPD-Vize Ralf Stegner nennt die Flüchtlings- und Europapolitik der CSU "eine Geisterfahrt". "Die CSU macht sich zum Komplizen mit jemandem, der Stacheldrahtzäune baut und Flüchtlinge zusammenknüppelt. Eine Politik des Schlagstocks und des Tränengases kann doch hoffentlich kein Vorbild für Bayern sein."

Orbán-Seehofer-Pakt zur Sicherung der Reichsgrenzen?

CSU-Chef und Ministerpräsident Seehofer sieht Ungarn jedoch - auch das eine unheilvolle Tradition - als Verbündeten. "Zur Sicherung der Außengrenzen brauchen wir Ungarn", verteidigte er seine Einladung zum Orbán-Seehofer-Pakt. Auf einen Aspekt der Flüchtlingskrise wies Seehofer indes zu Recht hin: "Ein Landkreis in Bayern nimmt mehr Flüchtlinge auf als die große stolze Republik Frankreich." Doch dass die EU "schlicht nicht ihren Job macht", ist eine der typischen, frech-dreisten Lüger genau jener Europafeinde, die über den Rat der Regierungschefs einerseits stets verhindern, dass die EU-Institutionen ausreichende Kompetenzen und Werkzeuge an die Hand bekommen, diese aber anschließend beschimpfen, wenn sie von den Nationalstaaten nicht bewältigte Probleme nicht lösen können.

Für Seehofer ist die Konsequenz klar "Es wird mehr Zäune geben müssen", denn: "Es kann nicht sein, dass heute Flüchtlinge zu Hunderttausenden teilweise völlig unkontrolliert quer durch Europa wandern." Damit hat er klar gestellt, dass er gar keine einheitliche Flüchtlingspolitik, sondern eine einheitliche Abwehrpolitik will. Was Orbán auf dem Treffen sagte, ist völlig belanglos, denn es ist nur ein weiterer Durchlauf seiner Endlosschleife. Auf
diesen Seiten können Sie ohnehin mehr als genug davon lesen. Wer sich für den aktuellen Wahnwitz des “Grenzschutzkapitäns”, der die “Südgrenze Bayerns in Ungarn beschützt” interessiert, dem sei dieser Beitrag bei Spiegel online empfohlen.

An Menschenrechte wird "erinnert"

Manfred Weber, ebenfalls CSU und Vorsitzender der EVP-Fraktion im Europarlament, der Orbán kürzlich in Budapest besuchte und lobte, zieht sich auf die Budapester Linie zurück: Orbán mache "weitgehend" (interessanter Freudscher) "nur das, was ihm die Dublin- und Schengen-Regeln aufgeben". Aber er "erinnere ihn bei Gesprächen auch daran, dass er mit Flüchtlingen human umgehen müsse." Ein interessanter Standpunkt. Ungarn hatte Dublin einseitig ausgesetzt und erst dann wieder darauf gepocht als schon alle Dämme gebrochen waren. Die Schengenaußengrenze indes "schützt" er durch das Aussetzen der Genfer Flüchtlingskonvention, die Abschaffung eines geregelten Asylwesens mit Internierungslagern und durch die fortlaufende Missachtung von Grund- und Menschenrechten wie sie ihm in Artikel 1 und 2 der Lissabon-Verträge "aufgegeben" sind. Er hat durch Sonderegsetze einen Polizeistaat im Staate eingeführt, führt Sondertribunale ohne Rechtsschutz durch und hat das Militär auf Zivilisten angelegt.

Man braucht erst gar keine Zäune bauen, wenn man deren Wirkung nur zum Preis der Aufgabe unserer Zivilisation entfalten kann.

Das ist ihm aufgegeben worden, werte CSU? Die Einhaltung der Grund- und Menschenrechte ist nicht "zu erinnern", Herr Weber, sondern durchzusetzen und sei es per Artikel 7. Mit ein "aber er muss auch amoi a bisserl brav sein", kommt hier wohl nicht weiter. Tut man das nicht, gefährdet man die eigentliche Grundfeste Europas, nämlich genau jenen Teil, der uns von der Barbarei, auch von jener, vor der die Flüchtlinge gerade fliehen, unterscheidet. Man braucht erst gar keine Zäune bauen, wenn man deren Wirkung nur zum Preis der Aufgabe unserer Zivilisation entfalten kann. Denn dann ist sie auch ohne einen einzigen Flüchtling schon dahin. Wer diese Prämisse nicht versteht oder nicht akzeptiert, der sollte keine Politik machen dürfen.

Bayerische Analogien zur ungarischen Dauerpropaganda

Die CSU spricht von Kontingentierung, Grenzschutzanalagen, auch unabhängig von der Weltlage und schürt Ängste über die Integrationsunfähigkeit von vielen Ausländern. 2/3 der Bayern unterstützten das, ließ die CSU erforschen, so wie auch schnellere Abschiebungen und gekürzte Leistungen für Asylbewerber. Wobei hier Schutzsuchende wegen Kriegen gleich mit einbezogen werden - auch das eine Analogie zur Flüchtlingsehtze (= Schmarotzer, = Terroristen), jener ungarischen Dauerpropaganda, die Orbán just am Tag der Anschläge in Paris anstimmte.

Gerne argumentiert die CSU auch mit den USA, die ebenfalls einen deftigen Grenzzaun errichtet haben und denen deswegen "niemand vorwirft, sie seien keine Demokratie mehr." Nun, erstens stimmt das nicht so ganz, viele haben ganz begründbare Zweifel zumindest an der Qualität der dortigen Demokratie und zweitens haben die USA dennoch das Problem von Abermillionen "Illegalen" im Lande, ein Beleg, dass ein Zaun keine Lösung darstellt. Man sieht eben nur, was man sehen will oder zu sehen meint?!

Beim Anblick von Orbáns kleptokratischem Ständestaat bekommt man in München feuchte Höschen

Unabhängig davon, dass die CSU ihre Machtspiele - wohl auch mit insgeheimer, wahlstrategischer Duldung der CDU - vollführt, sendet sie durch die Hofierung Orbáns ein unglaublich destruktives Signal aus. Sie adelt den wohl größten Antieuropäer, den Europa derzeit in seinen Reihen hat, der eine zynische, ständisch-völkische Politik betreibt, die nicht nur Flüchtlinge, sondern ebenso Unterprivilegierte im eigenen Land als Menschen zweiter Klasse nicht nur behandelt, sondern definiert. Der eine völkisch definierte Kleptokratie aufzieht, in der das Elend von 40% der Bevölkerung eine kalkulatorische Größe und Rechtsextremismus ein Machtfaktor ist.

Orbán wird dennoch als ernstzunehmender Verhandlungspartner behauptet, seine martialischen und menschenfeindlichen Aktionen, von der Hetzpropaganda gegen die "Feinde des christlichen Europas" bis hin zu seinem martialischen Spiel mit dem Feuer, also u.a. dem Einsatz der Armee gegen Zivilisten, werden so legitimiert.

Links zu Artikeln und aktuelle News zur Flüchtlingspolitik

Orbán kann sich aufpudeln

Das ist keine Befürwortung mehr, das ist Mittäterschaft. Denn letztlich wertet die CSU Orbán auch innenpolitisch auf, der sich mit seiner Audienz bei Seehofer genauso aufpudeln wird, wie er es mit dem Besuch von Merkel und Putin im Februar in Budapest tat, um sein verängstigt-fanatisiertes Wahlvok bei der Stange zu halten. Diese Machtmechanismen, die Orbán in Ungarn vollzieht, die Ermächtigungen, ja, diese Allmacht, erschrecken die CSU nicht, warnen sie nicht, nein, sie scheinen sie geradezu zu faszinieren. Das sollte dann zumindest den deutschen Wählern eine Warnung sein.

Nicht Flüchtlinge oder Einwanderer können Europa zerstören, "Europäer" können Europa zerstören

Es ist fraglos richtig, dass Bevölkerung und Politik gleichermaßen überfordert sind, von der Lage und der völlig offenen Perspektive. Die Bevölkerung hat das Recht dazu nicht weiter zu wissen, aber auch das Recht dazu, Antworten von den Politikern zu bekommen, die im Rahmen unserer Rechts- und Werteordnung gegeben werden müssen. Wer das nicht kann, muss aus der Politik verschwinden.

 

Die CSU und ihr pannonischer Außenposten Orbán aber geben gar keine Anworten, sondern schüren Ressentiments und Chaos genau dort, wo ihr eigenes Versagen offensichtlich geworden ist. Denn beide wussten, was auf sie zukam. Doch anstatt die Flüchtlingskrise in Kooperation mit europäischen Partnern zu lösen - der einzige Weg, der überhaupt zu etwas führen kann -, nutzen sie das Chaos für ihre Ideologie und ihre Machtinteressen.

Es stimmt, die Proeuropäer haben derzeit keine erkennbare, konsistente Strategie und zu wenig Macht. Das gibt den Frevlern Raum. Das macht dem gemeinen Volke Angst. Doch auch die Europafeinde und -schmarotzer haben nichts Konstruktives zu bieten. Was die nämlich Politik im Interesse ihrer "Völker" nennen, ist sichtbar nichts weiter als Propaganda auf Erster-Weltkriegsniveau, sodann exekutive Panik und abscheuliches Kalkül auf dem Rücken der Schwächsten, - ein entfesselter Politdarwinismus Amok laufender Zaunkönige, die in kürzester Zeit - wir versprachen Ihnen ja einen Brachialkommentar - zu aasfressenden Geiern am europäischen Kadaver mutieren werden - wenn man sie denn lässt.

red.  / m.s.

 



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