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(c) Pester Lloyd / 39 - 2015   FEUILLETON    27.09.2015


888 gegen 444 oder: Die Arithmetik der Getriebenen

Rund um einen dubiosen Orbán-Berater formt sich die Fidesz-Spitze gerade ein Medien-Imperium - ganz nach ihrem Bilde. Gottgleich. Die Macher des aktuellsten Projektes verfangen sich in einem Dilemma: sie sollen die Weltsicht ihrer völkisch-kleptokratisch-psychopatischen Chefs in eine humorvolle, jugendnahe Sprache übersetzen. Hunor mit Humor sozusagen. Natürlich ist das Ergebnis ein trauriger Krampf, so als würde der Chefredakteur des Stürmers versucht haben, eine Monty Python-Show zu inszenieren...

orban888 (Andere)


Vor einigen Jahren haben sich Journalisten des führenden, unabhängigen Newsportals
www.index.hu  selbständig gemacht und mit www.444.hu  ein lautstarkes, witzig und innovativ gemachtes, regierungskritisches Portal geschaffen, das sich großer Beliebtheit erfreut. Dort werden oft durch sehr kurze, aber enorm pointierte Artikel, manchmal sind es nur entsprechend eingeordnete Zitate oder auch nur ein Foto, Politiker und ihre Handlungen auf eine Weise bloßgestellt, die längere Erläuterungen überflüssig machen. Die Truppe ist vor allem schnell und hemmungslos. Sympathisch und glaubwürdig macht sie ihre Machtferne.

Mediengalaxie rund um das schwarze Loch des Großen Vorsitzenden

 

Hemmungslos? Da es in Orbáns Mentalität liegt, nichts, aber auch gar nichts ungerächt zu lassen, das seine Gottgleichheit in Frage stellt, beauftragte er seinen "Geheimrat", den verurteilten Schläger Árpád Habony, der mit dubiosen Geldmitteln gerade dabei ist eine Fidesz-Mediengalaxie rund um das schwarze Loch des Großen Vorsitzenden zu kreieren, eine Antwort zu geben. Diese heißt nun passenderweise: www.888.hu und gehört zum Orbán-Habony Konglomerat: Modern Media Group (MMG), der Antwort auf die abtrünnigen Medien des in Ungnade gefallenen Oligarchen Simicska: Kettenbrücken-Radio, "Magyar Nemzet" und vor allem "Hír TV". Von dort warb man leitende Redakteure ab, die das Angebot gerne annahmen, so musste sie ihre Schleimspur nicht erst wechseln.

Orbáns Pein in einen Vers und eine URL gepresst

Schon die Namensgebung 888.hu belegt die Züge paranoiden Verfolgungswahns, von der diese Idee getrieben ist. Vielleicht startet 444.hu (die nannten 888.hu passenderweise das “staatliche 444”) bald ein 000.hu, um die Toilettensprüche des Mitberwerbers auf die Spitze zu treiben? Habony könnte dann mit einem märchenhaft kodierten 333.hu antworten, das teuflische 666.hu ist ja eher nichts für die Verteidiger des christlichen Europas, oder?

Die Altmeister von Index.hu haben bereits "recherchiert": 8 ist nicht nur eine chinesische Glückszahl, sondern auch das Symbol für Jesus und Sieg. Das kann ja jeder behaupten. Doch das Wichtigste haben sie übersehen, aber dafür gibt es ja unser Judenblatt. Im Alten Testament lesen wir unter Psalm 88.8: "Meine Freunde hast du ferne von mir getan; du hast mich ihnen zum Greuel gemacht. Ich liege gefangen und kann nicht herauskommen." in neuerer Übersetzung: "Dein Grimm drücket mich, und drängest mich mit allen deinen Fluten." Das ist der Hilferuf eines Getriebenen, Orbán in einen einzigen biblischen Reim und nun auch eine Webadresse gepresst.

Nun plagen sich die armen 888-Redakteure damit, die Linksextremisten von 444 zu widerlegen, kopieren dabei hilflos deren Stil und versuchen, eine völkisch-nationalistisch-kleptokratische Regierung und Ideologie - das humorloseste, das Ungarn seit den Árpáden erleben muss, mit Humor unter die Leute zu bringen. Hunor gegen Humor sozusagen. Natürlich ist das Ergebnis ein trauriger Krampf, so als würde der Chefredakteur des Stürmers versucht haben, eine Monty Python-Show zu inszenieren.

Chefredakteur des Projektes ist Gábor G. Fodor, der frühere Strategiechef der "Fidesz-Waschmaschine" "Századvég", ein "Meinungsforschungsinstitut", das, Jahr für Jahr, für Jahr für Jahr, für die Anfertigung einiger tausend Seiten sinnloser Studien Abermillionen an Steuergeldern von der Regierung abcasht. Habony ist so ein Századvég-Absolvent, Ex-Regierungssprecher Giro-Szász ebenso. Tausende nutzlose Seiten für viel Geld? Der Mann mach eine Internetseite für uns!

Die Zielgruppe ist im Ausland oder bei Jobbik

888.hu - das man gemäß gängiger Kodierungen in deutschen Orbán-Fankreisen wohl auch als Heil-Heil-Hitler missverstehen könnte (dabei ist Hajra-Hajra-Hungaria gemeint) wendet sich an ein Publikum unter 40, meint der Chefredakteur. Das ist eigentlich der beste Witz, den das Portal bis heute - schließlich ist man seit 17. September online - geliefert hat, denn das bedeutet: an gar keinen. Wer nämlich als Ungar heute unter 40 ist, der arbeitet entweder im Ausland und hat eine eher reservierte Meinung zur Fidesz-Erfolgsbilanz oder ist längst bei Jobbik, der folgerichtigen Endstation Orbánscher Dialektik angekommen.

Angst haben, aber Spaß dabei!

Die aktuelle Ausgabe von 888 lässt uns wissen, dass "die österreichische Politik in Panik" ist (ist sie nicht, ist ja österreichisch), "Präsident Áder den UN-Generalsekretär um Unterstützung gebeten habe" (in Wirklichkeit hörte er sich eine Standpauke über Menschenwürde und -rechte an) und dass der Druck an der Südgrenze nicht nachlasse. Es gibt neben der Ankündigung des kommenden Angry Bird-Movies eine hübsch bebilderte Story über die Unmenschlichkeit des französischen Grenzregimes bei Calais und den nahenden Untergang Brittaniens im Lichte des Anturms der Jünger Mohammeds. Ach und die Katalonier kämpfen - wie die Székler - um ihre Autonomie. Als Kurzmeldung wird schonmal eingestreut, was für unsägliche Loser die linken Schreiberlinge sind, die sich auch noch trauen, Orbán lächerlich machen zu wollen. Schon ist Schluss mit lustig.

Subtext: die Andern sind doof, wir im Recht, werden aber immer als Volk zweiter Klasse behandelt und ihr Leute, die ihr das lest: habt gefälligst Angst, aber Spaß dabei! Andere Kurzbeiträge versuchen die "Generation Neuland" mit bunten Bildchen und viral aufgepeppten Altherrenwitzen einzufangen, um sie letztlich auf eines der Essays zu locken, die uns erklären, wie wir demnächst vom Muselmann überrant werden, weil das amerikanische Finanzjudentum (das steht da so natürlich nicht) noch immer nicht an seiner Gier erstickt ist. Die neue Weltordnung will uns auffressen, nur Orbán kann denen die Suppe noch versalzen, in dem er uns zur Suppe und ungenießbar macht. Das ist - unter dem Strich - die eigentliche Message aller Regierungsmedien.

Ihr Redaktionethos heißt Treue...

Habony, das Substrat an Eitelkeit und Verderbtheit dieser Mannschaft, hatte zuvor bereits ein eher traditionell gehaltenes Regionalportal unter der Supervision seiner MMG (MGM merken sie was?) gestartet, das einmal monatlich auch kostenlos als Printversion in allen Haushalten landet. Es existiert zwar wohl noch, aber man hat seit Gründung nie wieder etwas Substantielles davon gehört. Die ehedem angesehene Wirtschaftszeitung "Napi Gazdaság" wurde vom
Lázárschen Tabakskollegium aufgekauft und zum neuen Zentralorgan des Fidesz demoliert. Sie heißt jetzt "Magyar Idök" "Ungarische Zeiten"  - also Hungarian Times und liest sich wie das "Neue Deutschland" um 1971. Sie soll die Kernwählerschaft binden und bei der Stange halten. Das ist ein bisschen wenig für ein Imperium?! Zum Glück: Die nicht direkt kontrollierbaren rechten Medienanbieter, u.a.: Echo TV, N1-TV mit ihrem Prügel-Staff, aber auch Magyar Hírlap mit Hassprediger und Orbán-Intimus Bayer, changieren freiwillig so mühelos zwischen Fidesz und Jobbik wie Orbáns Politik selbst, - deren Redaktionsethos heißt Treue, die machen das sogar ohne Geld. Ok, fast ohne.

Eigentlich gehört auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk nach seiner erneuten "Reformierung" zu diesem etwas wirren Medienplan. Die grottige Performance des als News-Channel gedachten
Dauerpannenstreifens M1 passt jedenfalls zum Portfolio medialer Grausamkeiten. M1 verlor unterdessen 2/3 seiner ohnehin schon wenigen Zuschauer. Macht aber nichts, Fidesz hat auch keine 2/3 mehr, reagiert aber als hätten sie 8/7. M1 transportiert diese Message nicht mehr, ihm fehlt einfach das Sieger-Image.

RTL und Origo als Übernahmekandidaten?

Da die feindliche Übernahme von Marktführer RTL Klub zunächst an den "Brüsseler Lobby" gescheitert scheint (auch hier ist das letzte Wort noch lange nicht gesprochen!), schwant uns bald ein MMG-TV-Sender, Rumpelstielzchen-TV sozusagen. zu haben wäre noch Origo.hu. Eigentümer Magyar Telekom, Tochter der teilstaatlichen Deutschen Telekom, hat es bereits vom Ballast der Glaubwürdigkeit befreit als es
den Chefredakteur nach einem Anruf von Kanzler Lázár feuerte. Wie zu hören ist, werden gerade Käufer sondiert, während die verbliebenen Redakteure fleißig an der Wiederherstellung eines Rufes arbeiten, der längst zerstört ist. Ein Anruf Lázárs wird auch hier den richtigen Käufer vermitteln - und die Telekom wird wieder einknicken. Milliarden für den Breitbandausbau winken als Lohn.

Die Macht liegt im Dorf

Das eher stille, aber umso wirksamere mediale Machtfundament des Fidesz besteht indes außerhalb großer Broadcaster und bunter, landesweiter Blätter und Portale. Es sind dies tausende kleine "Mitteilungsblätter der Gemeinde XYZ", lokale TV-Sender und Rundbriefe, in der die Fidesz-Dorfältesten weniger informieren als propagieren, übrigens auf Steuerkosten. Wenn der Bürgermeister schreibt, dass ohne Zaun morgen 1 Mio. Neger auf dem Dorfplatz stehen, dann glauben das Laci und Ági, denn in der gleichen Zeitung stand auch, dass die Apfelernte letztes Jahr schlechter ausfiel - und das stimmte auch!

Selbstentlarvung durch multiplizierten Medien-Exhibitionismus?

 

Wie Heine schon feststellte, gibt es nur "nur eine Macht der Welt, die der Presse schaden kann, und das ist die Presse selbst." So wie "es die Theologen sind, die dem lieben Gott am meisten schaden." Medien sind per se ehrlicher als sie das selbst oft wollen. Form und Inhalt lassen sich dauerhaft schlicht nicht so verbiegen oder aufblasen, dass die dahinterstehende Idee sich gänzlich verbergen könnte. (So sehen Sie schon an unserem Namen, dass der angelsächsische Weltimperialismus quasi Programm ist.) Im Falle der Fidesz-Medien, das muss man ihnen lassen, marschieren Form und Inhalt aber heute so kongruent wie es nicht einmal die tapfersten Parteisoldaten schaffen - nicht einmal mit steuerbefreiter Pálinka-Infusion. Sie sind provinziell, nationalistisch, gierig und unverschämt - und sie kümmern sich in Wirklichkeit einen Dreck um ihr "Volk". So liegt in der Wahn getriebenen Multiplikation des medialen Exhibitionismus` vielleicht auch die Chance, dass die Entlarvung Orbánistans durch die Protagonisten selbst besser gelingt als durch die erbärmliche Opposition.

red. / m.s.



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