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(c) Pester Lloyd / 40 - 2015   WIRTSCHAFT    30.09.2015


Der Fluch der Monokultur: Was kostet Ungarn der VW-Skandal?

Der VW-Abgasskandal hat auch in Ungarn eingeschlagen. Noch warten wir auf eine Stellungnahme des größten Motorenherstellers des VW Konzerns, der Audi Hungária Motor Kft. in Győr. Doch der Regierung schwant bereits Schlimmes, auch wenn sie beschwichtigt.  Jahrelange Warnungen vor einer zu großen Abhängigkeit einer solch volatilen Branche hatte man in den Wind geschlagen, auf die Unerschütterlichkeit deutschen Ingenieurs- und Geschäftssinnes bauend - und natürlich auf die eigene Unfehlbarkeit.

In Győr wurden rund ein Viertel der 11 Millionen Aggregate hergestellt wurden, die bei Abgasprüfungen maniuplative Daten lieferten, auch die betroffenen TT- und A3-Modelle stammen zum Großteil aus Győr. Klar ist also, dass sowohl die Werksleitung wie der Konzern wussten und wissen, dass sie mit drin stecken. Doch wie weit und welche Folgen hat das? Die freundliche Pressestelle gab uns den Zwischenbescheid, dass die Sache "aktuell analysiert" werde.

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Die Weihe des ersten, vollständig in Ungarn zusammengeschraubten Audi TT brachte Ungarn-Chef Orbán und Audi-Ungarn-Chef Faustmann 2014 zusammen. Heute stellt sich die Frage: Saßen in dem Auto nun ein oder zwei Betrüger?

Wir fragten dabei direkt nach Verwicklung, Verantwortlichkeiten und möglichen Folgen, personell, konjunkturell und betrieblich. Da will jede Formulierung wohl überlegt sein, zumal Audi in Győr bisher sozusagen das Flagship-Store der ungarischen "Erfolgsgeschichte" war. Orbán sprach noch 2014 in einem seiner manischen Anfälle davon, dass sogar ganz "Ungarn ohne Audi unvorstellbar" sei. Nun sind es ausgerechnet die zuverlässigen Deutschen, die als Betrüger bloß gestellt wurden, ist das Vorzeigewerk in Győr nichts weiter als eine Schummelwerkstatt? Das will verdaut sein. Wir hoffen dennoch auf eine erschöpfende Antwort und reichen Sie unseren Lesern, von denen viele bereits bei uns anfragten, hier nach.

Eine Kleinigkeit ist ein schwächelnder VW-Konzern oder eine erschütterte deutsche Autobranche für Ungarn jedenfalls nicht. Immerhin steht Ungarns Automobilindustrie für 13% aller Exporte und 22% der Industrieproduktion und ca. 8% des BIP. Audi trägt mit seinen Zulieferern fast ein Drittel davon, Mercedes, Suzuki, General Motors sind die anderen Big Player auf den verlängerten Werkbänken. Wirtschaftsminister Mihály Varga äußerte sich - die Auswirkungen des Jahrhundertskandals bei VW für seinen Standort noch nicht kennend - vorauseilend, dass die Weisheit der Orbán-Regierung ohnehin seit Jahren daran arbeitet, die Industriezweige zu diversifizieren. "Pharmazie, medizinische Instrumente und Maschinenbau sollen gefördert werden" erklärte er jetzt etwas hilflos im Radio.

Mehr als ein Plan ist das aber noch nicht, denn, ganz im Gegenteil, niemand wurde von Orbán in den letzten Jahren so gepampert wie die Autohersteller. Bei jeder Werkseröffnung oder Erweiterung war Orbán persönlich vor Ort und am Lenkrad irgendeines neuen Modells zu sehen. Bei den staatlichen Subventionen überbot man nicht nur die Nachbarländer, sondern sogar sich selbst, so sehr, dass Steuergutschriften und andere Lockmittel für das letzte Upgrade bei Audi so ausarteten, dass die EU-Kommission sie jetzt
als "unzulässige Staatsbeihilfe" prüft. 12% bis 20%, ja manchmal bis zu 30% der Investitionskosten als Subvention flossen an die Konzerne. Bei Daimler in Kecskemét summierte sich der Benefiz auf über 100 Mio. EUR.

Während Orbán Banken, Telekoms, Handel und Energieunternehmen - also alle, die vom Binnenmarkt abhängig sind - mit Sondersteuern schröpfte bis es quietschte und er sie entweder handzahm hatte oder aufkaufen bzw. durch Günstlingsunternehmen verdrängen konnte, schmierte er den Autobauern und anderen produzierenden Gewerken Honig und ein maßgeschneidertes Arbeitsrecht ums Maul, wissend, dass ihr Abzug aus Ungarn im Lande ökonomisch die Lichter ausgehen lassen würde. Entsprechend selbstbewußt verhandeln die großen Marken mit der besonderen Marke Orbán. Ein Mercedes-Lobbyist, der frühere CDU-Politiker Eckart von Klaeden,
forderte sogar direkt - ein paar Wochen vor einem Merkel-Besuch in Budapest - eine Absenkung der Körperschaftssteuer, nur für seine Branche auf 10% (sonst 19%). 

 

Wenn nun das Vertrauen in den VW-Konzern erschüttert ist, zudem ja auch Audi gehört, werden weniger Motoren, weniger Fahrzeuge aus Győr gebraucht. Die nachträgliche Umrüstung wird ebenfalls teuer. Entlassungen (Audi beschäftigt direkt ca. 7000 Mann, mit Zulieferern und Umwegrentabilität hängt praktisch ganz Győr und Umgebung daran) werden die Folge sein, sinkende Steuereinnahmen in Größenordnungen und - ganz wichtig - schlechtere Zahlen für die PR fürs Volk werden folgen. Eine schwächelnde Konjunktur bedeutet auch sinkende, verschobene oder ganz ausbleibende Investitionen für die Zukunft. Rover z.B. hat bereits die Slowakei Ungarn bei seiner jüngsten Standortentscheidung vorgezogen, obwohl die Ungarn mehr Subventionen boten. Eine politische Entscheidung also, Orbán als Wirtschaftsbremse.

Laut Minister Varga stammen rund 2,5 Millionen der 11 Millionen bei VW manipulierten Motoren aus Győr. Der Minister hofft, dass den Standort seine Modernität schützt und zuerst andere Fabriken eingeschmolzen oder ganz geschlossen werden. Außerdem "brauche die Welt weiter Dieselmotoren, denn sie sind effizienter als Benzin-Motoren", so Varga, ganz der Kenner. Die Regierung will die Lage nun "beobachten", mit einem BIP-Rückgang von 0,6% rechnet man aufgrund schwächelnder Autokäufe in Europa schon jetzt, ohne den VW-Effekt. Jahrelange Warnungen vor einer Auto-Monokultur in Ungarn hat man in den Wind geschlagen, eben auch auf die Unerschütterlichkeit deutschen Ingenieurs- und Geschäftssinnes bauend - und natürlich auf die eigene Unfehlbarkeit.

red.

 

 

 

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