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(c) Pester Lloyd / 44 - 2015   POLITIK     27.10.2015


Alter Traum und neuer Feudalismus: Finaler Schlagabtausch zur "Bodenreform" in Ungarn

Die Privatisierung von knapp einem Drittel staatlichen Agrarlandes erfülle einen "Jahrhunderte alten Traum" ungarischer Bauern, befindet der zuständige Minister. Die Opposition - geeint wie lange nicht - sieht darin den ultimativen Raub am Wertvollsten, was das Land habe, nach dem Motto: "Ein Dorf für jeden Oligarchen." Verhindern kann sie den Raubzug aber nicht, nur warnen und ein bisschen drohen. Ungarn legt nun auch ökonomisch die letzten Attribute von Rechtsstaat und Demokratie ab.

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Die “Landnahme” ist einer der gepflegten und völkisch instrumentalisierten Gründungsmythen Ungarns, die mit Staatlichkeit und Christianisierung verknüpft werden. Im Grunde handelt es sich jedoch um einen Raubzug nomadischer Spätaussiedler, gewalttätige Wirtschaftsflüchtlinge also, die das Recht des Stärkeren durchsetzten. Damals mit Gewalt, heute mit den Gewalten.

Die Mitte November anlaufende Privatisierung von knapp einem Drittel staatlichem Agrarland erfülle einen "Jahrhunderte alten Traum" ungarischer Bauern. Sie diene der "Steigerung der Produktivität kleiner Bauern", helfe ihnen "gegen Konkurrenz großer Agrarunternehmen" und "schützt das Land vor dem Verkauf an ausländische Spekulanten." Endlich erhielten jene das Land, "die es auch beackern." So fasste Landwirtschaftsminister Fazekas am Montag nochmals die Regierungs"argumente" für die Privatisierungen zusammen, die Orbán bereits zuvor vorbrachte.

Die Begrenzung auf 300 Hektar je Käufer, das Vorkaufsrecht für Pächter und die "transparente Umsetzung" der geplanten Auktionen, verhindere jedweden Missbrauch und die Preisgestaltung mit einem Rufpreis von "10% über dem lokalen Verkehrswert" nutze außerdem der Staatskasse. Wer das nicht einsieht, gehe eine "unheilige Allianz mit Spekulanten und Konzernen" ein und handele "gegen die Interessen des ungarischen Kleinbauern", woran man wieder einmal erkenne, wer die Auftraggeber der ungarischen Opposition seien.

Diese Opposition, hier einmal geeint von links bis ultrarechts, sieht in dem Vorhaben nichts weiter als den finalen Ausverkauf ungarischer Erde an Fidesz-Günstlinge. Denn diese seien es, die sich seit 2010 die besten Pachtverträge (rund 400.000 Hektar) - auch gegen eingesessene Bauern - gesichert hätten und nun die Einverleibung vollenden. Pächter und Ex-Pächter würden so zu Leibeigenen, die Auktionen sind so gestaltet, dass anonyme Kommissionen Bewerber ausschließen könnten, kurz: es ist alles ein großer Betrug, um an steuerfreie Pachteinnahmen, EU-Agrarsubventionen und an persönlichen Besitz zu kommen, ohne wirklich am Aufbau einer dezentralen, nachhaltigen Landwirtschaft interessiert zu sein.

Dass die Privatisierungen auch noch durch staatlich garantierte Niedrigzinskredite (der Entwicklungsbank MFB, hier die Details dazu - also auf Kosten und Risiko der Allgemeinheit - finanziert werden, setzt dem mafiösen Vorgehen die Krone auf.

 

Die langjährige "sozialdemokratische" Regierungspartei MSZP forderte, dass, wenn man überhaupt eine Entstaatlichung von rund 380.000 Hektar in Angriff nimmt, vor allem die Kommunen ein Vorkaufsrecht bekommen müssten. Das Argument, den Zugriff multinationaler Unternehmen zu verhindern, ziehe nicht, denn nur die schützende Hand des Staates könne das verhindern, während private Eigner über Taschenverträge das Land weitergeben könnte - jenen Mechanismus, den Fidesz vorgab, bekämpfen zu wollen. Außerdem sei es letztlich unerheblich, ob Ausländer oder inländische Netzwerke auf dem Rücken der wirklichen Landwirte mit Boden spekulierten.

Die DK des gescheiterten Ex-Premiers Gyurcsány verlas eine Liste von berühmten Fidesz-Landeignern, die "in den letzten Jahren aus dem Nichts zu Großgrundbesitzern aufgestiegen" sind. Dazu gehört der
Orbán-Intimus Lőrinc Mészáros (Foto unten), Bürgermeister und Pate in Orbáns Heimatort Felcsút, der als Statthalter der Interessen der "First Family" gelten darf. Das Motto der Regierung für die Versteigerungen sei "Ein Dorf für jeden Oligarchen". Denn die neuen Besitzverhältnisse werden ganze Kommunen in die Abhängigkeit eines oder weniger Landbesitzer stoßen - eine Rückehr in den Feudalismus also.

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Für die grün-national-liberale LMP, die sich als neue, unabhängige Kraft gegen die alten Strukturen positionieren will, geht es hier nicht nur um die Frage über die ländlichen Lebensbedingungen, sondern "über die Zukunft der gesamten ungarischen Gesellschaft". Seit 25 Jahren hätten "alle Eliten gestohlen, was sie in die Hände bekamen" und nun "wird gestohlen, was noch übrig war", die "wertvollste natürliche Ressource des Landes".

Die linksliberale "Együtt", eine LMP-Abspaltung, die den zunehmend nationaleren Kurs der "Grünen" nicht mehr mitgehen mochte, sieht in der Privatisierung einen "schweren Bruch ungarischer Gesetze", einen "Diebstahl", der nach einem Regierungswechsel rückgängig gemacht werden müsse. "Fidesz-Kader und ihre Freunde und Oligarchen werden von den Ungarn eines Tages zur Rechenschaft gezogen werden."

Die neonazistische Jobbik, zweitstärkste politische Kraft in Ungarn und selbsterkärte "Schutzmacht" des kleinen Mannes, will als "Wachmannschaft" neben jeder Auktion harren, um Unregelmäßigeiten aufzudecken. Es gebe bisher kein "einziges überzeugendes Argument" für die Privatisierung. Es sei außerdem "eine Schande für den Parlamentarismus", dass erst die Opposition eine öffentliche Debatte zum Thema erzwingen musste. Jobbik werde alle Informationen und Signale "aus der Öffentlichkeit" aufzeichnen und jeden Verdacht über Unregelmäßigkeiten rechtlich verfolgen.

Die Oppositionsparteien hatten zu "zivilem Ungehorsam" aufgerufen und weitere Demos und Blockaden angekündigt. Die ersten Auktionen von Farmland werden ab 16. November abgehalten.

 

Die Privatisierung staatlichen Landes ist in eine Reihe zu stellen mit den anderen strukturellen Raubzügen und punktuellen "Versorgungsaktionen", die sich Fidesz seit 2010 geleistet hat. Die Einverleibung der privaten Rentenbeiträge, der Schwindel bei Ausschreibungen mit EU-Milliarden, die filmreifen grauen Energie-Geschäfte regierungsnaher Off-Shore-Firmen im Umfeld der "Energiepreissenkungen", die Verstaatlichung und Reprivatisierung von Banken, die Tabakhandelslizenzen, die Sonntagsschließung und anderen Aktionen im Einzelhandel sowie die Landverpachtungen, die bereits klar den Weg in die heutige Feudalisierung wiesen, seien hier als emblematische Beispiele genannt, bilden aber nur die Spitze eines gigantischen Eisberges von Korruption, Amstmissbrauch und Rechtsbeugung auf praktisch allen Ebenen, auf denen öffentliche Mittel (eigene und EU) verteilt werden. Wer den Preis für diese “Politik” bezahlt, lesen Sie hier.

Gekennzeichnet ist diese Art von kleptokratischem Staatskapitalismus durch die legislative Absicherung. Per Gesetz werden eigentlich unrechtmäßige Vorgehensweisen legalisiert, notfalls wird dafür auch höheres Recht, z.B. die Verfassung, geändert. Unterfüttert werden diese Verfahren durch national betonte Stellvertreterkriege, die einen "Volkswillen" und "Nutzen" unterstellen, aber praktisch nicht erbringen. Der qualitative Unterschied zur Korruption und zum Amtsmissbrauch früherer Regierungen: dieser war noch weitgehend reparabel, das Rechts- und Gesetzsystem war noch in Takt, Vergehen konnten geahndet werden. Das ist - im heutigen ungarischen Rechtssystem - nicht mehr möglich, da die Protagonisten formal rechtens vorgehen können - sich so Ungarn aber auch im ökonomischen Bereich de facto von Rechtsstaat und Demokratie verabschiedet, - so wie es das bereits bei Menschen- und Grundrechten tat.

red.


 

 

 

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