Hauptmenü

 

Unabhängiger Journalismus braucht die Hilfe seiner Leserinnen und Leser!

Bitte unterstützen auch Sie den PESTER LLOYD!

 

Effizient werben im
Pester Lloyd!
Mehr.

 

(c) Pester Lloyd / 2016-33   GESELLSCHAFT

Spielsucht: Das Streben nach Glück

Spielsucht ist ein weit unterschätztes Thema. 1,5 Prozent der Deutschen weisen problematisches bis krankhaftes Spielverhalten auf. Die Sucht kann ganze Leben zerstören. Um solche harten Schicksale zu vermeiden, sollen Präventionsmaßnahmen schon in jungen Jahren greifen – in Baden-Württemberg gibt es nun sogar eine Smartphone-App gegen die Spielsucht.

3 (Andere)
Spielsucht wird oft unterschätzt, doch 1,5 Prozent der Deutschen haben damit Probleme. Foto: massimofusaro – 287164913 / Shutterstock.com

 „Meine Frau habe ich verloren, mein großes eigenes Haus am Falkensee auch – das habe ich ihr überschrieben. Zum Glück.“ Harry Hildebrand erzählt gefasst von der Sucht, die sein Leben zerstört hat: Spielsucht. „Angefangen hat es mit Geldspielautomaten, die zwanzig Pfennig noch kosteten“. Der heute 56-jährige spricht im Interview mit der Sueddeutschen offen über seine Glücksspielsucht. Er hat die Rente seiner Schwiegermutter verzockt, seine Ehe und seine Gesundheit zerstört.

 



Mittlerweile leitet Harry Hildebrandt eine Selbsthilfegruppe für Suchtkranke in Berlin. Er will anderen helfen, damit sie nicht das durchmachen müssen, was ihm widerfahren ist. „Man kann normalerweise nie der Gewinner sein an Glücksspielautomaten“, sagt er nachdenklich. „Davon lebt ’ne ganze Automatenindustrie.“

Spielsucht kann ganze Leben zerstören – Internet macht den Einstieg leicht

Dass Spielsucht ein ganzes Leben zerstören kann, zeigt sein abschreckendes Beispiel. Und er ist kein Einzelfall. Rund 1,5 Prozent der deutschen Bevölkerung weisen problematisches oder gar krankhaftes Spielverhalten auf. Die Verlockungen werden auch nicht kleiner. Allein das Netz ist voller
harmlos erscheinender, bunter Angebote. Die Hürde, überhaupt erstmal eine Spielbank aufzusuchen, besteht nicht mehr. Zudem stehen mittlerweile viele Automaten in Bars oder ähnlichen Einrichtungen herum, wer hier mal ein paar Münzen hineinwirft, wird noch lange nicht schief angeschaut. Für viele Süchtige sind Sportwetten der Einstieg ins Glücksspiel.

Glücksspielsucht entsteht meist in drei Phasen. Zu Beginn begrenzen die Spieler ihr Zocken auf ihre Freizeit. Verluste werden in dieser ersten Phase schnell wieder ausgeglichen. Gleichzeitig beginnen die Spieler aber, das Glücksspiel immer besser kennenzulernen, und ihre Risikobereitschaft steigt. Die zweite Phase ist die sogenannte Verlustphase. Der Betroffene spielt nun immer häufiger. Um Gewöhnungseffekte beim Glücksspiel auszugleichen, brauchen sie höhere Gewinne. Hier gibt es meist erste familiäre und finanzielle Probleme. Anschließend daran erfolgt die dritte Phase, in der das Spiel für den Betroffenen zum Lebensmittelpunkt wird. Er hat die
Kontrolle über seine Glücksspielsucht verloren. keine Kontrolle mehr über seine Glücksspielsucht.

Gleich bei ersten Anzeichen zum Psychiater – bevor es zu spät ist

1 (Andere)

Bei den ersten Anzeichen von Spielsucht sollte ein Psychiater aufgesucht werden. Foto: Photographee.eu – 361254713 / Shutterstock.com

Wie jede Sucht kann sich auch Glücksspielsucht rasend schnell entwickeln. Experten raten deshalb dazu, schon bei den ersten Anzeichen einer Sucht professionelle Hilfe in Form eines Psychiaters aufzusuchen. Am besten schon dann, wenn Menschen sich nur stark zum Glücksspiel hingezogen fühlen. Sollte aus der Anziehung schon Sucht geworden sein, ist es extrem schwer, die Betroffenen wieder davon loszubekommen, erklärt etwa die Schweizerische Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie.

Auch
professionelle Suchtberatungsstellen können den Patienten bei ihrem langen, harten Weg zurück ins normale Leben Unterstützung bieten. Beraterin Kim Suer von der Beratungsstelle der Caritas Steinfurt erklärt: „Es ist wichtig, dass man damit ganz offen umgeht. Aber Angehörige müssen auch konsequent sein.“ Es bringe etwa nichts, wenn Familienmitglieder geschützt werden – die Süchtigen denken dann, sie müssten nichts ändern. „Da müssen wir auch bei den Angehörigen viel Aufklärungsarbeit leisten“, so Suer.
Nach dem ICD-10-Katalog, der alle Krankheiten auflistet, gibt es sechs Kategorien, an denen man eine Sucht erkennt. Sind drei der folgenden Punkte erfüllt, kann man schon von Sucht sprechen.

1. Ein starker Wunsch oder eine Art Zwang, ein Suchtmittel zu konsumieren
2. Verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Beendigung und der Menge des Konsums des Suchtmittels.
3. Ein körperliches Entzugssyndrom bei Beendigung oder Reduktion des Konsums.
4. Nachweis einer Toleranz: Um die ursprünglich durch niedrigere Mengen des Suchtmittels erreichten Wirkungen hervorzurufen, sind zunehmend höhere Mengen erforderlich.
5. Fortschreitende Vernachlässigung anderer Interessen und Vergnügen zugunsten des Suchtmittelkonsums und/oder erhöhter Zeitaufwand, um die Substanz zu beschaffen, zu konsumieren oder sich von den Folgen zu erholen.
6. Anhaltender Substanzgebrauch trotz des Nachweises eindeutiger schädlicher Folgen (körperlicher, psychischer oder sozialer Art).

Dieser Katalog ist auf Drogenkonsum ausgerichtet, kann aber genauso auch auf Glücksspiel angewendet werden.

Prävention ist wichtig – Spielautomaten haben das größte Suchtpotential

Damit es gar nicht erst zur Sucht kommt, sollen Präventionsmaßnahmen ausgebaut werden. Markus Weiß, Facharzt für Psychiatrie und Suchtmedizin am St.-Vinzenz-Hospital Haselünne in Niedersachsen, erklärt: „Möglichst frühe Prävention ist nötig, um die Zahl der Spielsüchtigen zu senken.“ Dem Mediziner zufolge sind Spielautomaten die Orte mit dem größten Suchtpotential. Das liegt an deren Funktionsweise, regelmäßig kleine Gewinne auszuschütten. „Das hält den Spieler bei Laune. Wenn er über längere Zeit nichts gewinnen würde, wäre er frustriert“, so Weiß.

2 (Andere)
Spielautomaten gelten am gefährlichsten. Regelmäßige Kleingewinne fördern die Sucht. Foto: welcomia – 360575711 / Shutterstock.com


Deshalb muss auch der Dachverband der Deutschen Automatenwirtschaft Stellung beziehen. Dieser betont, dass den Herstellern die Prävention und die Frühintervention ein wichtiges Anliegen sei. Unternehmer, die Spielautomaten aufstellen, müssen ein Sozialkonzept mit vorbeugenden Maßnahmen gegen die „sozialschädlichen Auswirkungen des Glücksspiels“ vorlegen.

Langjährige Spielsüchtige hingegen erklären, von diesen Maßnahmen nichts bemerkt zu haben. Die Auflagen, wie zum Beispiel Gewinn-und-Verlust-Limits in einer bestimmten Zeit und pro Automat können leicht unterlaufen werden. „Ich habe an bis zu zwölf Automaten gleichzeitig gespielt“, sagt der 28-jährige Oliver Groß, der
über Jahre hinweg Tausende Euro verzockte. Im Gegenteil, Spielhallen sind darauf ausgelegt, dass die Zocker jegliches Zeitgefühl verlieren. „In den Spielhallen gibt es nirgendwo eine Uhr. Auch die Handys haben meistens keinen Empfang. Es gibt keine Berührung mit dem realen Leben draußen“, erzählt Thomas Hofmann, 45 Jahre alt, der über 30 Jahre hinweg der Spielsucht frönte.

Folgen von Glücksspielsucht kosten den Staat Millionen – Prävention im jungen Alter

Während die
Glücksspielindustrie von den Süchtigen profitiert, kosten sie den Staat viel Geld. Einer Studie der Universität Hohenheim zufolge betrugen die Folgekosten von Glücksspielsucht in Deutschland im Jahr 2008 geschätzt 326 Millionen Euro. Diese Zahl dürfte sich bis heute nicht entscheidend verändert haben. Umso wichtiger ist Prävention. In Kehl etwa, dem Landkreis mit der höchsten Spielautomaten-Dichte in Baden-Württemberg, ist dieses Jahr ein entsprechendes Projekt gestartet worden. Da die Zielgruppe des Projektes „WinLose“ vor allem junge Menschen zwischen 14 und 30 Jahren sind, arbeiten die Initiatoren auch mit Schulen zusammen.

Die Staatliche Lottogesellschaft Baden Württemberg greift währenddessen zu neuen Mitteln und hat eine App namens „Joker“ entwickeln lassen. Diese soll bei der Aufklärung über die Gefahren des Glücksspiels gerade bei Heranwachsenden helfen. Damit sich Schicksale wie die von Harry Hildebrandt, Oliver Groß und Thomas Hofmann in Zukunft nicht wiederholen.

Z.T.

 

 

 

 

 

Spielsucht: Das Streben nach Glück

3 (Andere) (2)
Spielsucht ist ein weit unterschätztes Thema. Die Sucht kann ganze Leben zerstören. Um solche harten Schicksale zu vermeiden, sollen Präventionsmaßnahmen schon in jungen Jahren greifen – in Baden-Württemberg gibt es nun sogar eine Smartphone-App gegen die Spielsucht.

ZUM BEITRAG

 

 

Das Pester Lloyd Archiv ab 1854