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(c) Pester Lloyd / 35 - 2016   POLITIK     03.09.2016

Abwehr von EU und Flüchtlingen: Aktuelles aus der ungarischen Politik

Während die Regierung das am 2. Oktober abzuhaltende Referendum über die Flüchtlingsfrage zur "nationalen Angelegenheit" stilisiert, ruft der größte Teil der linken Opposition zum Boykott auf. Neue Grenzzäune, Orbáns Terminplan, EU-Vertragsverletzungsverfahren und der Ausbau der Medizin-Unis waren weitere Politikfelder, die Orbáns Kabinettschef auf seiner wöchentlichen Presse-Show thematisierte.

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Die Regierung werde "noch Jahre mit dem Problem der Einwanderung zu kämpfen haben", daher sei es "unumgänglich die Zaunbauten an den Grenzen und deren Schutz voranzutreiben", erklärte Kabinetsschef Lázár am Donnerstag in Budapest, auf die Ankündigung seines Chefs Bezug nehmend, der einen zweiten, noch massiveren Grenzwall an der serbisch-ungarischen Grenze umsetzen lassen will. Mit diesen Bauwerken und zusätzlichen, tausenden Grenzpolizisten werde man "das Leben und die Werte der Ungarn" schützen.

Durch das von der Regierung geforderte "Nein" zur Referendumsfrage am 2. Oktober (“Wollen Sie zulassen, dass die Europäische Union bestimmen darf, dass nichtungarische Bürger in Ungarn ohne Zustimmung des nationalen Parlamentes angesiedelt werden?") würde der "ungarische Wähler der Regierung helfen, genügend Stärke zu haben, um die EU-Entscheidung (zur Verteilung von bereits in der EU befindlichen Flüchtlingen) abzuwehren." Wer das Referendum boykottiere, sei "schwachherzig" und "unfähig, seinen Standpunkt zu artikulieren." Die Regierung werde daher ihre "Informationskampagne" in den verbleibenden Wochen bis zur Abstimmung verstärken. Dazu gehört auch, dass soeben der sogenannte "Einwanderungsnotstand" verlängert wurde.

Während auf Regierungsplakaten bisher vor allem solche Sätze wie "Wußten Sie, dass seit dem von der EU erlaubten Eindringen von Einwanderern der Terrorismus zugenommen hat...?" (
Mehr zum Referendum) die Stimmung aufheizen sollten, solle auf kommenden Plakaten und Anzeigen auch mehr die Person Orbán zu Wort kommen, kündigte, ja drohte Lázár den Pressevertretern an. Man werde mit der Kampagne gegen die "Stimmungsmache von Soros, der keine Anstrengungen scheut, durch die Finanzierung von NGO´s, die Meinung der Wähler zu beeinflussen" vorgehen.

Für einiges Aufsehen sorgte die Bemerkung von MSZP-Generalsekretär Gyula Molnár, dass man unter Umständen bereit sei, die Regierung bei ihren Bemühungen gegen eine Flüchtlingsquote zu unterstützen. Wie groß, fragen sich Kommentatoren, muss die demoskopische Verzweiflung, die strategische Orientierungslosigkeit bei den "Sozialdemokraten" mittlerweile sein, dass man sich so billig an den "rechten Mainstream" in Ungarn anschmiert. Lázár kommentierte eine Nachfrage zu dieser "möglichen Unterstützung" geradezu gnädig. Dies sei wohlwahr "ein großes Zeichen", letztlich aber entscheide der Wähler darüber. Soll heißen: wir brauchen Eure Unterstützung nicht, "unser Volk" haben wir auch so im Griff. Noch unwichtiger könnte eine "größte Oppositionspartei" gar nicht sein.

Lázár gab einige Highlights aus Orbáns nächstwöchigem Terminplan bekannt. Am Montag steht ein Treffen mit dem serbischen Amtskollegen in Belgrad an, am Dienstag und Mittwoch weitere Absprachen mit den Visegrád-Vier-Partnern in Polen. Mitte der Woche wird Orbán dann in Balatonfüred zur jährlich Klausur der Fraktion Fidesz-KDNP erwartet, üblicherweise der Rahmen für die Befehlsausgabe der kommenden Saison sowie die Abstrafung von Abweichlern. Bei einem offiziellen Auftritt am Mittwochabend wird man dann einige Hinweise auf die Regierungsagenda der kommenden Monate erhalten, die weitere "Reformierung" der öffentlichen Verwaltung, die Forcierung der Privatisierung staatlichen Landbesitzes sowie "Regionalentwicklung" sollen, so Lázár im Mittelpunkt stehen - vom Referendum einmal abgesehen.

Der Kabinettschef, im Range eines Ministers, "informierte" so dann über den Stand von 21 anhängigen bzw. abgeschlossenen
Vertragsverletzungsverfahren der EU gegen Ungarn, die Thema der letzten Sitzung des "strategischen Kabinetts" waren, wie der innere Orbán-Zirkel offiziell genannt wird. "Manche haben wir gewonnen, z.B. zum Tabak-Monopol" (was für Lázár vor allem auch ein persönlicher Erfolg ist, ist er ja engstens mit den hier profitierenden Figuren vernetzt), andere "seien schwierige Fälle" wie z.B. jener über die Sanktionierung von Landkauf durch Ausländer in Ungarn, durch das sog. Bodengesetz. Die EU wolle hier keine Einschränkungen für EU-Ausländer, Ungarn schon. Nach viel Geschwurbel schloss Lázár dieses Kapitel mit der stolzen Festellung, dass "Brüssel kein Verfahren wegen der Schließung der Grenzen" angestrengt habe...

 

Lázár kündigte weiterhin an, dass die Regierung Ungarn zu einem Hot-Spot der medizinischen Ausbildung machen wolle. Dazu werde man Geld in die Hand nehmen, um vor allem die Leuchttürme, also u.a. die Uni-Klinik in Szeged und die Semmelweis-Uni in Budapest, aber auch alle anderen medizinischen Bildungseinrichtungen auf den neuesten Stand zu bringen. Die Motive dahinter: es winken EU-Mittel, man lockt zahlungskräftige Auslandsstudenten an und hofft außerdem der Abwanderung von ungarischen Jungmedizinern etwas entgegensetzen zu können.

Weiterhin teilte Lazár mit, dass ein zentrales Kriegerdenkmal für die ungarischen Gefallenen des Ersten Weltkrieges errichtet und öffentlich finanziert werden wird. In diesem Zusammenhang sollen alle vorhandenen Weltkriegsmahmale aus öffentlichen Mitteln renoviert werden sowie eine Datenbank erstellt werden, die alle Gräber der 650.000 gefallenen ungarischen Soldaten vor allem an der galizischen (ukrainischen), serbischen und italienischen Front "lokalisiert". Dem Volk soll so ein "besseres Gedenken" ermöglicht werden. Einen Einblick in die sensible Gedenkpolitik der Orbán-Regierung finden Sie
hier.

red.

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