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(c) Pester Lloyd / 44 - 2016    WIRTSCHAFT     04.11.2016

Fachkräftemangel in Ungarn: Regierung fordert 40% mehr Lohn in fünf Jahren

Schuld an der Massenauswanderung junger, qualifizierter Ungarn haben die Unternehmen. Das kommuniziert die ungarische Regierung ziemlich ungeniert und beklagt, dass der "Lohndruck" steigt. Das die Menschen von ihrem Einkommen leben wollen, - wahrlich eine Last. Doch die westlichen Investoren haben den östlichen Regierungen nur die Rolle eines serviceorinierten Zulieferers zugedacht, eines demokratisch legitimierten Lakaien, nicht die eines Forderungen stellenden Lehrmeisters...

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Dass die an sich einleuchtend anspornend klingende Idee, die Lohnnebenkosten für Arbeitgeber um den Prozentsatz zu senken, um den sie das Gehalt ihrer Angestellten erhöhen (bis maximal 6 Prozentpunkte,
hier Details dazu.), Stolpersteine für eine ehrliche und vertretbare Umsetzung enthält, erschließt sich bei einigem Nachdenken schnell. Die Idee drückt auch aus, dass man nicht ernsthaft erwartet, dass ein Unternehmen einen größeren Teil seiner Gewinne in die Pflege seines "Humankapitals" investiert als unbedingt nötig. In soweit hat selbst die Volksregierung in Ungarn den Kapitalismus noch verstanden.

 

Die Regierung kommunizerte diesen Schnellschuss als rettenden Geniestreich gegen den anstiegenden "Lohndruck", also die unverschämte Forderung von gefragten Arbeitnehmern, für ihre Leistung so bezahlt zu werden, dass ihnen das Leben im eigenen Land nicht ein Graus sein muss. Wie man die Umsetzung eines Deals: sinkende Kosten für höhere Löhne aber effektiv kontrollieren könnte und ob der Staatshaushalt das überhaupt aushält, darüber fängt man erst jetzt an nachzudenken. Nun sollen, so kündigte Orbáns Kabinettschef Lázár (Foto) auf der wöchentlichen Regierungspressekonferenz an, Konsultationen mit Arbeitgebern und Spezialisten beginnen, um die Art der Umsetzung auszuloten.

So oder so, "die Unternehmen kommen um Gehaltserhöhungen nicht herum", meinte Lázár dabei am Donnerstag mit Blick auf den immer akuter werdenden Fachkräftemangel in einigen Schlüsselbranchen des Landes. Wenn die ungarischen Arbeitskräfte "zu Hause keine adäquaten Löhne bekommen, werden sie das Land verlassen”. Er sehe "30-40 % Gehaltssteigerungen" in den kommenden fünf Jahren als realistisch an. "Werden verlassen"? Wirklich, Lázár? Knapp 1 Millionen sind bereits weg...

Varga, der Wirtschafts- und Finanzminister, dessen Hauptaufgabe es ist, seine manchmal ganz vernünftigen Ideen tagtäglich an die Launen seines Großen Vorsitzenden anzupassen, legte noch eine Schaufel nach und rechnete den gierigen ungarischen Arbeitnehmern vor, ihre Effektivität läge nur bei ca. 50% des Westens. "Was ein holländischer Arbeit an einem Tag schafft, das schafft ein ungarischer in zwei Tagen." beklagte er vor einem Parlamentsausschuss, der sich anhören wollte, was die Regierung gegen die desaströsen Werte im Bereich Wettbewerbsfähigkeit zu unternehmen gedenke. Immerhin, die "Realeinkommen" seien binnen eines halben Jahres um 7,5% gestiegen, so Varga.

Bei wem genau, fragt die demokratische Opposition, auch nicht gerade Kandidaten für den Wirtschaftsnobelpreis, nach. Könnte es vielleicht an der Günstlingswirtschaft, den immer intransparenter werdenden Eigentümerstrukturen in vielen Branchen, sprich an Korruption und Amtsmissbrauch liegen, dass die Experten Ungarn nicht mehr unbedingt als attraktiven Wirtschafts- und Investitionsstandort sehen - abgesehen von den gepamperten Branchen? Fast sämtliche Gesetze mit dem Ziel der "Wirtschaftsförderung" der Orbán-Ära seien an den Benefiz einer bestimmten Günstlingsgruppe gekoppelt, analysieren oppositionelle Politiker.

Das sei alles Quatsch, alles Tun der Orbán-Regierung diene "sozial-ökonomischen Zielstellungen und nicht einer bestimmten Zielgruppe". Im Übrigen entscheidet sich das Wohl und Wehe einer Ökonomie nicht durch die Höhe von öffentlichen Geldeinschüssen, sondern durch den "Unternehmergeist und die Innovation" der Akteure. Ungarn sei so stark, dass es sogar "ohne EU-Mittel" vorwärts kommen könnte, wenn es sich "einige Unternehmen nicht so bequem gemacht hätten", mit staatlichen Subventionen. Ehrliche Selbstkritik und größenwahnsinniger Realitätsverlust in einem Satz.

Dass es nicht nur an den - realtiv im Vergleich mit benachbarten Volkswirtschaften - hohen Lohnnebenkosten liegt, dass Gehaltserhöhungen nur zögerlich (an)kommen, sondern auch daran, dass solche durch die permanente Anhebung von Verbrauchssteuern verpuffen, erwähnte Lázár natürlich nicht. Lieber spielte er den Ball an die Unternehmer zurück und gesteht dem Staat lediglich eine justierende Rolle zu.

Das wäre in einem normalen Land auch ganz richtig so, allein ist in Ungarn jeder dritte Arbeitsplatz direkt oder indirekt steuer(mit)finanziert, vom Öffentlichen Dienst, über die Staatsunternehmen und -beteiligungen, bis hin zu den Hunderttausenden in kommunalen Beschäftigungsprogrammen, die weder ein normales Einkommen, noch eine Qualifizierungsperspektive haben und somit zwangsläufig Teil des Problems des Mangels an Fachkräften sind. Wer kann, geht. Wer nicht kann, der taugt auch nicht für Audi & Co. Orbán, das sollte man nicht vergessen, hat - anteilig an der Bevölkerung - die größte Welle an (Wirtschafts-)Flüchtlingen, er nennt sie "Wirtschaftstouristen", in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg ausgelöst.

 

Sich nun hinzustellen und zu sagen, die Unternehmen müssten ihre Gehälter eben anheben, damit die Leute nicht abwandern, die man längst schon vertrieben hat, das ist der typische Zynismus der Orbánomics. Und er kann ein Eigentor werden. Die ausländischen Investoren sind in erster Linie wegen der geringen Gehälter in Ungarn, verbunden mit einer guten (staatsfinanzierten) Infrastruktur und einem für sie kuschenden Verwaltungsapparat. Sie sind nicht in Ungarn, um das Volk wohlhabend und die Regierung zufrieden zu machen und ihr beim Aufbau einer parallelen Plan- bzw. Raubwirtschaft zu assistieren.

Sie sehen die Aufgabe der Regierung, ähnlich einem manchmal etwas bummeligem, aber notwendigem Zulieferer darin, sie weiterhin mit ausreichend qualifizierten und billigen, folgsamen Arbeitskräften zu versorgen, - seien sie nun aus der Ukraine oder den Kommunalen Beschäftigungsprogrammen. Erfüllt die Regierung Ungarns ihre ihr zugewiesene Rolle als - um einmal den polemischen Stil er Regierung zu übernehmen - Lakai des Kapitals nicht, werden nach den Menschen auch die Unternehmen abwandern, nur die schicken dann kein Geld mehr "nach Hause", im Gegensatz zu den jungen Ungarn in London, Wien und Berlin, die mittlerweile in der Heimat für 5% des BIP aufkommen.

red.

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