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(c) Pester Lloyd / 45 - 2016    NACHRICHTEN     11.11.2016

"Eine Schaufel ist eine Schaufel": Orbán als Wirtschaftsweiser und Weltenretter

Der Wahlsieg von Trump bedeutet das Ende "liberaler Un-Demokratie". Punkt. Ein Fachpublikum der EBRD, Vertreter jenes Neoliberalismus´, dessen schleichendes wie zwingendes Scheitern die Tanzfläche bildet, auf dem Populisten vom Schlage Orbáns und Trumps als Krisengewinnler ihre Veitstänze vollführen, während die Bürger Europas, die Scherben der Champagnergelage der "sozialen” Marktwirtschaft auf eigene Kosten und die ihrer Kinder zusammenkehren; - diese Prototypen des zynischen Kapitalismus`, durften sich von einem anderen Protoytpen, jenem des zynischen Volkstribuns, einem politischen wie ökonomischen Scharlatan, eine Lektion erteilen lassen. Das musste amüsant werden...

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Große Wirtschaftsphilosophie und epochale Vorsehungen lieferte Ungarns Premier, der Philosoph unter den EU-Regierungschefs, dabei am Donnerstag bei dieser von der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) organisierten Konferenz in Budapest. Es war der Versuch, seinem antidemokratischen und europafeindlichen, planwirtschaftlichen Kurs einen theoretischen Unterbau anzudichten und die "feine" Populisten-Gesellschaft, in der er sich so wohlfühlt, zu legitimen Verfechtern von Volkes Interessen zu reimen. Immerhin gestand er akuten Reformbedarf in seinem Arbeiter- und Bauernparadies ein.

Es ist jener Orbán, der die sozial-ökonomisch geschürte Wut und daraus resultierende politische und menschliche Gleichgültigkeit zur Errichtung einer völkisch-kleptokratischen Postdemokratie ausschlachtete und mit einer Gründlichkeit demokratische Instrumente gegen die Demokratie einsetzte, die geradezu lehrbuchhaft erscheint.

Kein Paradoxon verwehrt ihm das Absondern einer ihm und seinen Anhängern schlüssig klingenden Begründung. Die zwei folgenden, besonders eindrücklichen Beispiele lohnen der Betrachtung:

1. Es ist Orbáns Wirtschafts- und Steuerpolitik zu verdanken, dass das vorher schon darbende Ungarn heute über ein
gut strukturiertes, stabiles Prekariat von rund 40% der Bevölkerung verfügt, das sich an und unter der Armutsgrenze amüsieren darf, während Besserverdiener mit einer Einkommens-Flat-Tax und anderen Mittelklasse-Vergünstigungen gesponsert werden. Hunderttausende aufgrund von Bildung oder Herkunft Benachteiligte werden zur Hälfte des sogenannten gesetzlichen Mindestlohnes beim Waldfegen beaufsichtigt, während andere Hunderttausende in hellen Haufen aus dem Land flohen, auf der Suche nach Perspektiven und lebenserhaltenden Gehältern.

2. Orbáns Investitions- und Finanzierungstrategie, sowohl für die Volks- wie für seine Günstlingswirtschaft und den Graubereich dazwischen, den das Land Stück für Stück zerreißen wird, fußt derzeit auf folgenden Säulen: EU-Milliarden, ausländische Direkt- und Re-Investitionen, Schuldenmanagement zunehmend durch Gelder aus China, den postsowjetischen Ölrepubliken, die Einbürgerung von Neureichen aus der dritten Welt gegen den Kauf von Staatsanleihen, ein 10 Milliarden EUR-Kredit aus Russland, Umverteilung von Unten nach Oben, notfalls die Enteignung von Volksvermögen (private Rentenbeiträge) oder die unsoziale Abschöpfung über Verbrauchssteuern.

Genau dieser Orbán stellt sich all so auf die Bühne der EBRD-Konferenz und trompetet: Dass er "eine Ära der wirtschaftlichen Entwicklung, die auf billiger Arbeit und Fremdkapital beruht, in Ungarn beendet" habe. Bravo! Krieg ist Frieden, das wusste schon Orwell. Denn, so wird man künftig keine Wettbewerbsfähigkeit erreichen, ergänzt der Premier jenes Landes, dass er in acht Jahren um drei Dutzend Plätze im Ranking der Wettbewerbsfähigkeit nach unten gewirtschaftet hat und im Moment, knapp
hinter Ruanda auf Platz 69 aufscheint.

Orbán erkennt nun einen gewissen "Lohndruck" als ein "Phänomen, dem man sich stellen muss". Lohndruck, vielleicht hätte man ihm das erklären müssen, ist eines dieser Worte aus der Schmiede der Rhetorik-Barbarei des angewandten Neoliberalismus`, das dessen ganze Menschenverachtung ausdrückt. In dieser Sparte nimmt sich der Volksbefreier ja nicht viel mit seinen westlichen Kollegen, nur die Spielarten sind andere. Lohndruck bedeutet nämlich, dass die Arbeiter in einer Situation, in der sie gefragt also rar sind, die Frechheit aufbringen, für sich
einen angemessenen Anteil an den von ihnen geschaffenen Werten zu fordern. Das "Humankapital", um eines der schönsten Schöpfungen des neoliberalen Neusprechs zu nutzen, muckt sozusagen auf. Das ist natürlich nicht schön.

Es müssen also
höhere Löhne her, erkennt der clevere Orbán, wenn Ungarn die Arbeiter halten will, die die Investoren brauchen. Freilich dürfen die Löhne nicht so steigen, dass sich die scheuen Rehe erschrecken und Audi und Co. irgendwann fragen, warum sie überhaupt noch in der Puszta und nicht im Ruhrpott produzieren lassen sollen. Also "nicht auf Kosten der Wettbewerbsfähigkeit" bitte, hat der große Rechenmeister Orbán erkannt und gibt dies in seiner "Keynote-Speech" zum kopfnickenden Besten. Er scheint doch einer von uns zu sein, schmunzelt es mild in der Runde der Gästeschar.

Der Staat, also Orbáns Werkzeugkasten, wolle diesem Suchen nach Balance zwischen Wollen und Könnnen der Wirtschaft helfend beistehen. Die "Vereinfachung" der Körperschaftssteuer, die Reduzierung der arbeitgeberseitigen Abgabenlast und die Senkung der Einkommenssteuer sowie die Anhebung der Förderungen für Forschung und Entwicklung nannte er als Beispiel. Auch hier wissend-mildes Lächeln der Firmenbosse, die einen Teufel taten, die daraus resultierenden Zusatzprofite in ihr "Humankapital" zu stecken, nun aber "mehr" vom Staat fordern, damit die Leute nicht abhauen. Schweigend übergeht man auch, dass Orbán lediglich die produzierende, also exportorientierte Wirtschaft förderte, während er all jene Branchen, die auf den Binnenmarkt angewiesen sind, also Telekoms, Handel, Banken etc. schröpfte bis sie quietschten, - ausgenommen freilich jene, die dem immer größer werdenden Staatssektor zuzuordnen sind.

Orbán beklagt die "demographischen Probleme", die das ungarische Volk binnen 40 Jahren um bald eine Million Menschen reduzieren wird. Kulturfremde Einwanderung kommt natürlich nicht in Frage, lediglich die christlichen Nachbarländer, am liebsten von dort auch nur die magyarisch genisierten Teile, dürfen um Ausbeutung im Mutterland anfragen. Außerdem will er das Kinderkriegen anstacheln, durch "Benefits", freilich auch diese nur für genehme Kreise. Bisher beschränkte man sich eher auf das gutchristliche Verdammen von Abtreibung, was eher noch mehr junge Frauen ins Ausland trieb. Auch der Erfolg von Anbahnung von Ehen durch "staatliche Tanzveranstaltungen" blieb im nicht messbaren Bereich. Die geförderte Zuteilung von Land und Einfamilienhäusern scheitert derzeit noch am Eigenbedarf der Nomenklatura...

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Bliebe die Bildung. "Die Qualität der Arbeit muss verbessert werden, sowohl die bestehenden wie auch die künftigen Arbeitskräfte brauchen höhere Levels, größere Flexibilität und Kreativität." Daher "müssen wir zuerst die Qualität der Bildung, vor allem der höheren Bildung verbessern." Nun,
Bildung in Orbánistan, das ist so ein eigenes Thema. Die Zahl der Hochschüler hat man gedreiviertelt, die Budgets der Unis halbiert und deren Fachleitungen "Kanzlern" von der Modernität sowjetischer Politkommissare unterworfen. Die Hälfte der Gymnasien steht auf einer Schließungsliste und die "duale Ausbildung" nach deutschem Vorbild, die man als Wundermittel anstrebte, dient vor allem dazu, die Schüler möglichst einseitig den Produzenten zuzuführen und von akademischen Höhenflügen abzuhalten. Kurz: wer etwas werden will, fährt immer noch besser damit, ins Ausland zu fahren. "Höhere Flexibilität" heißt derweil nichts anderes, als dass das bestehende an das 19. Jahrhundert angelehnte Arbeitsrecht möglichst auf die Standards zu Zeiten Hammurapis anzupassen ist.

Um den Motor der Ökonomie (der Ungarn für ganz Mitteleuropa sein will) am Laufen zu halten und den "neuen Tigerstaat Ungarn" (Nationalbankchef Matolcsy) nicht zu einem hungernden Kätzchen verkümmern zu lassen, brauche es natürlich auch ein "wettbewerbsfähiges Bankensystem" und einen vitalen "Bereich von Finanzvermittlern". Orbán exerziert, u.a. mit dem
MKB-Coup oder der Eximbank und erst Recht mit der Nationalbank vor, dass von ihm und seinen Regionaloligarchen kontrollierte Strukturen, die anderswo als organisierte Kriminalität qualifiziert würden, das Mittel der Wahl sind, während die Geschäftsbanken sich noch immer vom Forex-Zwangsumtausch erholen. Die Runde dürfte über Orbáns Bankenpolitik begeistert sein, zumal auch die EBRD-Mittel sämtlichst höchst transparent und effizient eingesetzt und abgerechnet werden...

Aus den wahrlich verwirrenden Sümpfen volks- und betriebswirtschaftlicher Ebenen, schwang sich Orbán dann zurück auf die lichten, weiten Felder der Politik, dorthin, wo sich des Turuls Schwingen ungestört entfalten können. Zum Brexit und zu Trump steuerte Orbán noch ein paar Weisheiten bei, von denen uns allen die Ohren klingeln sollen.

Der
Brexit - das weiß Orbán, gerade aus London zurück, aus erster Hand - sei weder eine Tragödie noch ein Beinbruch, sondern eher "die Chance für eine Nation, ihren Weg auf einem anderen als den herkömmlichen Wegen zu suchen." Wir sollen das daher "eher als Möglichkeit, denn als Problem" erkennen. Der Brexit sei keine "Niederlage, sondern der Versuch einer großen Nation sich selbst erfolgreich zu machen, auf eine Weise, die noch keiner probiert hat." Na dann. Auf zum Hunxit?!

 

Und auch Trump wird uns nur Gutes bringen, denn: "Die westliche Zivilisation befreit sich (durch den Wahlsieg Trumps, aber auch durch ihn: Orbán) von den Zwängen einer Ideologie." Demokratie, Rechtsstaat, Grund- und Menschenrechte, Freiheit sind also eine Ideologie, ebenso wie die Gegenteile davon, man habe sozusagen die Wahl wie an einem Buffett. Wenn dem Volk das eine nicht schmeckt, nascht man eben am anderen. Jedenfalls: "Die Epoche der liberalen Un-Demokratie ist vorbei." Folgt nun also, was zumindest sprachlich logisch wäre, die "unfreie Demokratie"? Orbán ist "überzeugt, dass es immer von Gewinn für eine Kultur und den Westen ist, wenn er auf die Basis der Realität zurückfindet. Von der Paralyse und der Political Correctness können wir zum Geradeaus zurückkehren, zu offenen Worten und wir können eine Schaufel eine Schaufel nennen (altes Felcsúter Sprichwort, Anmerkung). Wir gehen großen Zeiten entgegen!"

Nun, man darf dann einen Orbán auch einen Scharlatan nennen, wenn wir so offen und geradeaus sein dürfen wie er und Trump. Mit den großen Zeiten, denen wir entgegen gehen, damit hat Orbán aber zweifelsfrei Recht und dieser Beitrag doch noch ein versöhnliches Ende gefunden.

red / ms..

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