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(c) Pester Lloyd / 46 - 2016    WIRTSCHAFT     18.11.2016

Unser kläglich Brot: Warum die Steuer- und Mindestlohnpolitik in Ungarn asozial ist

Der gesetzliche Mindestlohn in Ungarn wird 2017 enorm gesteigert, die Unternehmenssteuern und Arbeitgeberabgaben dagegen radikal gesenkt. Das klingt auf den ersten Blick nach geradezu paradiesischen Zuständen für Alle. Doch was dabei wirklich herauskommt, ist ein zynisches, Gaunerstück zwischen Neoliberalismus und Ständestaat - auf Kosten der Mehrheit. Analyse & Kommentar

Je nach dem, worauf sich die Regierung letztlich festlegt, wird der gesetzliche Mindestlohn 2017 um bis zu 25% steigen (Mehr dazu hier). Ganze 9% müssen Firmen zudem nur noch auf ihr Betriebsergebnis abführen (Mehr dazu hier), die Lohnnebenkosten sinken - nur für die Arbeitgeber - binnen zwei Jahren um nominal 6 Punkte.

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Zum Nationalfeiertag am 20. August formen Bäcker aus dem Mehl aus allen von Ungarn besiedelten Gebieten, also auch aus der Slowakei, Rumänien und der Ukraine das “Nationale Brot”. Geht die Entwicklung so weiter, werden bald die Kunden ihr Brot dort kaufen müssen, weil sie es sich in Ungarn nicht mehr leisten können werden...

Die Gewinne, jedoch nur die der mittleren und großen Unternehmen werden ab 2017 dank Orbáns Steuergeschenk steigen, teils drastisch. Für Firmen mit weniger als 500 Mio. Forint Jahresumsatz jedoch sinkt die neue Körperschaftssteuer nur um 1 Prozentpunkt, für jene darüber aber um satte 10 Prozentpunkte.

 

Gleichzeitig sind es die kleinen Unternehmen, die aus Überlebensgründen fast nur zum Mindestlohn einstellen können, diesen nun also um bis zu 25% anheben müssen, was die gleichzeitige, schrittweise Senkung des Arbeitgeberanteils an den Nebenkosten mehr als auffrisst.

Für die Großen bleibt die Lohnerhöhung indes freiwillig, bzw. muss sich nur am Markt mit seinem partiellen Fachkräftemangel, nicht aber an politischen Vorgaben orientieren, sieht man einmal von dem Appell Orbáns ab, die Löhne möglichst deutlich zu erhöhen. Sein Wirtschaftsminister Varga will sie sogar
um 40% in fünf Jahren steigen sehen - ein netter Versuch, mehr nicht.

Die Fachkräfte der großen Produzenten sind zwar im regionalen und internationalen Vergleich oft schlecht, sogar häufig unter dem ungarischen Durchschnittslohn beschäftigt, aber liegen doch über dem gesetzlichen Mindestlohn. So bleibt den Bossen die Wahl, was sie mit dem Zusatzprofit aus der Körperschaftssteuersenkung machen, Lohnanhebungen bleiben für sie somit fakultativ.

Den Kleinen bleibt diese Wahl nicht, sie müssen also entweder die Preise für Ihre Produkte und Leistungen erhöhen oder Leute entlassen oder noch mehr über "Teilzeitverträge" schummeln. Das ist, im Groben, der Deal, den Orbán mit seinem Steuerpaket 2017 angestoßen hat.

Umverteilung von Unten nach Oben, seit Jahren der Leitfaden der "Orbánomics", sowohl aus der Notwendigkeit, die Big Player von Daimler, Audi & Co. umschmeicheln zu müssen und für Investoren attraktiv zu bleiben, aber auch aus der Überzeugung, dass ein
illiberaler Ständestaat mit einem strukturellen Prekariat das am besten beherrschbare und nutzbare Konstrukt für die Machterhaltung und Raubzüge der Fidesz-Nomenklatura darstellt.

Zwei Dutzend Verbrauchssteuern wurden seit 2010 angehoben oder neu erfunden, Steuern, die also jene, die einen höheren Anteil ihres Einkommens für lebensnotwendige Ausgaben aufbringen müssen, deutlich stärker belasten als Besserverdiener. Das aus dem vorgeschlagenen neuen Minimum erzielbare Netto stellt indes ein Realeinkommen (also an den Preisindex angepasst) unter jenem der Vorgängerregierung dar - und das war schon erbärmlich.

2011 führte Orbán die Flat Tax auf Einkommen ein, 15% auf Alles, doch die Freibeträge für die niedrigsten Lohngruppen schaffte er ab, nahm ihnen also noch von dem Wenigen, während die oberen Einkommensgruppen zweistellige Einsparungen zugeschanzt bekamen. Subventionen für Häuslebauer, Familienentlastung - alles das kommt nur jenen Einkommensgruppen zu Gute, die eine entsprechnd reduzierbare Steuerbasis haben, d.h. die Ärmsten bleiben auch hier augeschlossen.

Wem das alles zu abstrakt ist. Heute rechnete der Innungsmeister der ungarischen Bäcker konkret vor, dass die Menschen ab Januar mal locker mit einer Erhöhung der Brotpreise um rund 30% rechnen dürfen. Dazu wird es zwar nicht in voller Höhe kommen, schon eher wird Lohn- und Arbeitszeitdruck auf die Betriebe steigen. Das Bäckereihandwerk ist ein Paradebeispiel für jene kleinen Betriebe, die jeden Forint fünfmal umdrehen müssen und auf die die Mindestlohnanhebung desaströs durchschlagen wird.

Zwar müsse jeder Bäcker selbst entscheiden, wie er seine Preise gestalte, sagte József Septe, Chef der Vereinigung der ungarischen Bäcker der "Magyar Hírlap", doch den ökonomischen Zwängen entkomme keiner: 3.000 Stellen seien schon heute unbesetzt, weil viele besser bezahlte Stellen im Ausland annehmen. Bei 160.000 Forint brutto (516.- EUR) für einen gelernten Bäcker kein Wunder, er geht mit netto rund 420.- EUR nach Hause, - weiter kommt er damit ohnehin nicht.

Von der vor Jahren gemachten Zusage, die Mehrwertsteuer auf Brot und andere Backwaren von derzeit 18% auf 5% zu senken, ist nichts mehr zu hören, beklagt Septe. Wie auch, irgendwer muss ja die durch die Steuersenkungen für Unternehmen aufreißenden Budgetlücken schließen.

 

Schon daran ist zu erkennen, dass Orbáns Steuer- und Lohnpolitik nicht sozial, sondern schlicht zynisch ist und offenbar der Todesangst entspringt, dass Audi, Daimler und Co. das Land verlassen könnten, wenn man ihnen nicht ständig fiskalisch in den Allerwertesten kriecht - und sei es auf Kosten der Hälfte der Bevölkerung.

Gestern schob Regierungssprecher Zoltán Kovács, sozusagen zum Trost, nach, dass der akuter werdende Fachkräftemangel in immer mehr Branchen keineswegs auf die
Auswanderung Hunderttausender in den Westen zurückzuführen sei, sondern darauf, dass die Regierung in den letzten Jahren "Hunderttausende Arbeitsplätze" (stimmt: zur Hälfte des Mindestlohnes in Kommunalen Beschäftigungsprogrammen!) geschaffen habe, die den Arbeitsmarkt leer gefegt hätten. Der Arbeitskräftemangel sei also ein Beleg dafür, dass die Regierung quasi zu gut arbeite. Den Verdacht hegen wir und die Millionen, die nach Westen gezogen sind schon lange...

red.

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