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(c) Pester Lloyd / 46 - 2016    WIRTSCHAFT     16.11.2016

Resignation vor der Kleptokratie: Ungarn geben Kampf gegen Korruption auf

Die Ungarn fühlen sich hilflos gegenüber der Korruption und die meisten glauben, dass man dagegen nichts unternehmen könne, weil auch die Politik durch und durch korrupt sei. Neben den großen Gaunereien, beklagen die Bürger vor allem die "Alltagskorruption", zum Beispiel in den Krankenhäusern. Doch nicht einmal die jungen Leute sehen noch einen Sinn darin, sich dagegen zu wehren...

Zu dieser deprimierenden, wenn auch wenig überraschenden Einschätzung gelangte József Péter Martin, Chef der ungarischen Sektion der weltweit tätigen NGO Transparency International. Er stellte am Mittwoch in Budapest eine aktuelle Studie vor, nach der die "Einwanderung" und die "Korruption" für die Mehrheit der Ungarn die drängendsten Probleme ihrer Zeit darstellen (29 bzw. 28% gaben diese an Platz 1 an). Über die Hälfte der Befragten sieht die Maßnahmen der Politik als "nicht unzureichend" an, rund ein Drittel hält die Politik insgesamt selbst für korrupt und für die meisten verschlimmere sich die Situation Jahr um Jahr.

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2014, ein letztes, massenhaftes Aufbäumen gegen die strukturelle Kleptokratie Ungarn. Seitdem gewinnt die Resignation an Terrain...

Als belastend befinden die Befragten - neben der allgemeinen Korruption in Politik und Wirtschaft - vor allem auch die "Alltagskorruption", hier wurde am häufigsten das "Handgeld" für Ärzte und Pflegepersonal in Krankenhäusern genannt. 22% gaben an, dies regelmäßig zu zahlen, weil sie glauben, andernfalls keine vernünftige Behandlung zu erfahren. Es gab immer wieder Anläufe, das Ärzte-Taschengeld zu bekämpfen, zuletzt wollte man es legalisieren. Aktueller Stand: man nimmt es hin, wenn es "nach der Behandlung" als "Dankeschön" gereicht wird, nicht aber als Vorschuss im Erwarten einer Gegenleistung, wie z.B. einer Bevorzugung bei Wartelisten oder bei besseren Pflegebedingungen. Kurz: man hat sich damit abgefunden. Mehr zu dem Thema in diesem Beitrag.

TI stellt in seiner Befragung eine zunehmende Resignation fest, so sei "der Wille, Fälle von Korruption zu melden" stark rückläufig, ein Hinweis darauf, dass man auch der Justiz nicht traut. Besonders erschreckend für Martin, die junge Generation reagiert noch lethargischer auf Korruption als die Älteren. Nur noch 14% Aller glauben überhaupt, dass es Sinn macht, gegen Korruption vorzugehen.

Zwar weisen Oppositionelle
immer mal wieder - auch auf dem Verfahrenswege - auf die Missstände hin, doch hat das weder zu einer geringeren Korruption, noch zu einer erhöhten Glaubwürdigkeit der Oppositionsparteien geführt. Letztes Highlight eines Aufbäumens gegen korrupte Strukturen war der Kampf gegen die damalige Chefin des Finanzamtes Vida, als publik wurde, dass begünstigten Unternehmen Steuern in Milliardenhöhe erspart wurden, während unliebsame Konkurrenten amtlicherseits gegegängelt wurden. Das rief sogar Einreiseverbote seitens der US-Regierung auf den Plan und führte zu Massendemos. In der Sache tat sich aber letztlich nichts, das Finanzamt wurde lediglich dem Finanzminister direkt unterstellt, um undichte Stellen für die Zukunft zu verhindern, die orbánhörige Staatsanwaltschaft unter Leitung seines Ex-Kabinettschefs Polt stellte ihre Ermittlungen bald wieder ein.

Bei der Präsentation von TI war auch ein Vertreter der Budapester Delegation der EU anwesend. Gábor Zupkó wies darauf hin, dass Korruption nicht nur das "Vertrauen der Öffentlichkeit" in die staatlichen Strukturen schwächt, sondern auch einen "starken, negativen Effekt auf Investitionsentscheidungen und die Wettbewerbsfähigkeit" habe. Die EU bereite gerade den nächsten Bericht zur Korruptionslage vor, der wiederum Vorschläge zur Verbesserung beinhalte - die man dann aber eben auch einmal umsetzen müsse.

In Ungarn wurden für das "Globale Korruptionsbarometer" von TI zwischen Dezember 2015 und Mai 2016 1.501 repräsentativ ausgewählte Bürger befragt, insgesamt nahmen an der aktuellen Studie 60.000 Menschen in 42 Ländern teil. 2015 lag Ungarn beim Index auf Rang 50 von 168 Ländern, gleichauf mit der Slowakei. Zum Vergleich: Tschechien auf Rang 37, Polen auf 62, Rumänien auf 58, Deutschland auf 10, Dänemark und Finnland auf den Rängen 1 und 2.

 

Bei der Wettbewerbsfähigkeit rutscht man ebenfalls seit Jahren ab und fand sich zuletzt auf Rang 69, noch hinter Ruanda. Mehr dazu.

Unter der Regierung Orbán wurden - abgesehen von der
Schwächung sämtlicher demokratischer Kontrollinstanzen im Parteiinteresse - vor allem im Bereich öffentlicher Ausschreibungen, staatlicher Monopole, Kontrollverfahren für staatliche und EU-finanzierte Projekte, bei der Informationsfreiheit, bei Interessenskonflikten sowie beim Steuergeheimnis und der Anonymisierung von Spenden systematisch Schritte unternommen, die Transparenz und Kontrollen weiter erschweren und vor allem die Korruption an den Schnittstellen zwischen Politik und Wirtschaft erleichtern. Ein besonders lukratives Beispiel dafür finden Sie hier. Der aktuelle Fall des Orbán-Zöglings Minister Rogán wirft ein beredtes Licht auf die strukturelle Günstlingswirtschaft in Orbáns kleptokratischem Regierungsverständnis.

red.

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