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(c) Pester Lloyd / 49 - 2016    GESELLSCHAFT     06.12.2016

Armut in Ungarn: Selbst die geschönten Zahlen sind erschreckend

Ungarn überflügelt bei der Armutsquote seit Jahren seine Nachbarn und liegt auf einem Niveau mit Rumänien, Bulgarien und Griechenland. Die Tendenz bleibt steigend, denn Armut ist in Ungarn systemimmanent. Die Regierung negiert das, doch perfiderweise: Orbáns zynische Politik hin zu einem völkisch illustrierten Ständestaat braucht einen "Bodensatz" an Armut. Als Pool für Billigarbeit und Instrument der Abschreckung zur Disziplinierung der Mittelschicht.

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Essensausgabe einer NGO am Ostersonntag 2015 in Budapest...

 

Statistiken weisen aus, dass der Zuwachs an Armen und armutsgefährdeten Menschen in Ungarn seit Orbáns Regierungsantritt mit am stärksten ist, bei der Kinderarmut liegt das Land - laut UNESCO - auf dem vorletzten Platz der Gemeinschaft und ist das Land mit dem höchsten Anstieg. Die Regierung negierte diese Tendenzen und Fakten stets und stellt ihre Bemühungen zur Armutsbekämpfung, die indes ineffizient und selektiv sind, als Erfolge aus, ohne diese empirisch zu belegen. Doch der Vergleich mit den Nachbarn Slowakei, Polen oder auch Tschechien offenbart die wachsende Kluft.

Orbán behauptete mit der Einführung eines Essensprogramms für Schüler und Kindergartenkinder (das diese nur dann kostenlos in Anspruch nehmen können, wenn die Eltern gleichzeitig auf Sozialhilfe verzichten) sogar, dass "die Kinderarmut in Ungarn beendet wurde." Von einem Tag auf den Anderen sozusagen. Wo das Elend nicht zu verbergen ist, macht man das Erbe der "Sozialisten" oder die "Extraprofite, die Multis zum Schaden ungarischer Familien aus dem Lande schleppen" verantwortlich - gleichzeitig senkt man die Körperschaftssteuer auf das niedrigste Niveau in der EU, hebt dafür aber permanent Verbrauchssteuern an, die vor allem jene treffen, die einen höheren Anteil am Einkommen für das Lebensnotwendige aufwenden müssen.

Der für Soziales zuständige Minister, Ex-Pfarrer Zoltán Balog machte es sich noch leichter, er ging in Orwellscher Manier sogar soweit, den "Begriff Armut" in einem internenen Memo aus dem Sprachgebrauch der öffentlich Bediensteten einfach zu tilgen. Für ihn scheint es sich

Dabei veröffentlicht selbst das amtliche und damit parteilich kontrollierte Zentrale Statisitkamt KSH von Zeit zu Zeit Statistiken, die eine Ahnung von den herrschenden Zuständen verschaffen. Die Schwelle für das "Existenzminimum" wurde zwar per Gesetz abgesenkt, womit die Statistiken geschönt werden. Die Daten kollideren dadurch mit Erhebungen der EU (Eurostat) und anderen internationalen Organisationen (Links dazu unter dem Text), sind aber immer noch beeindruckend genug.

Laut der aktuellsten Erhebung des KSH leben 26,3% der Ungarn "mit dem Risiko der Armut oder der sozialen Segregation", damit gelten 2,54 Millionen der knapp 10 Millionen Ungarn als arm, armutsgefährdet oder als sozial ausgeschlossen (Stand Ende 2015). Wichtig für das KSH ist der Ausweis, dass dieser Wert gegenüber 2014 um 1,9 Prozentpunkte gesunken sei, gegenüber 2012 sogar um fast 7 Prozentpunkte.

Eurostat, UNICEF und andere internationale, von der nationalen Regierung unabhängige Organisationen, sagen indes genau das Gegenteil und setzen den obigen Wert zwischen 33 und 36% an, mit stetig steigender Tendenz. Lediglich Rumänien und Griechenland weisen ähnliche Werte und Tendenzen auf. Ein Drittel der Jungen unter 18 Jahren sind in Ungarn als arm zu bezeichnen, bei den Erwachsenen zwischen 18 und 64 liegt die Quote bei 27,2% bei den über 65jährigen bei 15,1%

Besonders stark betroffen sind Haushalte mit alleinerziehenden Müttern, 62,3% gelten als arm oder armutsgefährdet. Menschen nur mit primärer Schulbildung gehören zu 43% zur Risikogruppe, Menschen mit mindestens Abitur und / oder Beurfsabschluss zu 22,8%, Menschen mit Hochschulabschluss zu 10%. 70,4% aller Arbeitslosen oder Beschäftigungslosen gelten als armutsgefährdet oder arm, selbst von den Beschäftigten sind es noch 18,4%. Jeder fünfte Rentner gilt als arm. Besonders hoch ist und bleibt der Anteil der Armen bei den ungarischen Roma, knapp 83% gelten als arm oder gefährdet, sozial ausgeschlossen ohnehin.

 

Orbán hat durch seine Steuer- und Arbeitsmarktpolitik, aber auch durch Subventionen gezielt eine zunächst imaginäre Mittelschicht sowie Unternehmer und Besserverdiener gefördert, das Entstehen eines zementierten Prekariats von rund einem Drittel der Bevölkerung nicht nur in Kauf nehmend, sondern aus ideologischen Gründen sogar wollend. Diese Bevölkerungsgruppe dient sowohl als billiges Arbeitskräftepotential wie auch als Abschreckung für eine zu disziplinierende Mittelschicht, die so mit Belohnung und Angst besser gelenkt und instrumentalisiert werden kann. Diese ständestaatliche Rechnung geht für Orbán bisher auf, dem die langfristigen, explosiven Risiken wachsender Armut - wie Radikalisierung, Abwanderung, soziale Spannungen zwischen Bevölkerungsgruppen etc. -  offenbar nicht real genug bzw. vernachlässigbar erscheinen.

Zum besseren Verständnis, warum Orbáns Behauptung Politik "für das Volk" zu machen, eine Behauptung, der auch viele westeuropäische Orbán-Versteher und Wutbürger folgen, eine Lüge ist, nutzen Sie bitte auch die Informationen aus diesen Beiträgen.

AKTUELL:
Unser kläglich Brot: Warum die Steuer- und Mindestlohnpolitik in Ungarn asozial ist

Eurostat: Armut wächst nur in Griechenland schneller als in Ungarn

UNICEF: Kinderarmut in Ungarn höchste in der EU

Giftbecher und Osterglocken: Episoden der Armut aus Ungarn

Hungern als Lifestyle: Sozialhilfe für bedürftige Familien in Ungarn wird halbiert

Elend mit System: Ungarn verarmt unter Orbán immer weiter

Dünne Suppe, dick aufgetragen: Wachstums-, Arbeits- und Schuldenrekorde im ”Tigerstaat” Ungarn

Balogs Sprachpolizei: Ungarn schafft "Armut" und "Fußballstadien" ab

Der Untertanenstaat: Orbáns schöne neue Arbeitswelt in Ungarn (Arbeitsrecht)

Armut als Verbrechen: Ungarn verbietet Obdachlosen Aufenthalt in "Weltkulturerbestätten"

red.

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