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(c) Pester Lloyd / 46 - 2016    GESELLSCHAFT     16.11.2016

"Besser für Landwirtschaft und Psyche": Ungarn will ständige Sommerzeit

Die Diskussion ist so alt wie die Sommerzeit selbst. Bringt das Drehen an der Uhr wirklich etwas? Ungarn, wo die Uhren politisch schon lange anders ticken, will nun Fakten schaffen und könnte schon in der kommenden Woche den Ausstieg aus der “Normalzeit” beschließen - im Alleingang, gegen geltendes EU-Recht. Doch auch in Brüssel ist die Begeisterung für den halbjährlichen Zeitsprung enden wollend....

46sommerzeit (Andere)
Der CDU-Europaabgeordnete Reul als leidenschaftlicher Vorturner gegen die Zeitumstellung... Foto: www.herbert-reul.de

 

Die Diskussion ist so alt wie die Sommerzeit selbst. Bringt das Drehen an der Uhr wirklich Energieeinsparungen und mehr Lebensqualität durch virtuell länger helle Sommerabende oder überwiegen die Nachteile der Umstellung, die Belastungen durch den Uhren-Jet-Lag und wir machen uns seit Jahrzehnten nur etwas vor?

Ungarn will nun vorpreschen und könnte schon in der kommenden Woche den Ausstieg aus der ”Normalzeit” und somit ständige Sommerzeit beschließen. Am Mittwochmorgen sprach sich der parlamentarische Ausschuss für Wirtschaft einstimmig für eine dahingehende Vorlage der rechtsextremen Jobbik aus, die Regierungspartei Fidesz kündigte daraufhin an, die Beibehaltung der sogenannten Sommerzeit für das ganze Jahr schon in der kommenden Woche dem Parlament zur Abstimmung vorlegen zu wollen. Die einbringende Jobbik-Partei zeigte sich ob der Zustimmung der Regierung sichtlich überrascht, liegt man mit der Orbán-Partei ja
seit Wochen im Clinch.

Die Ungarn begründen ihren Schritt damit, dass man die Auswirkungen der Zeitumstellung über Jahre studiert hätte. Vor allem die Landwirtschaft würde, so hat eine Kommission des Wirtschaftsministeriums herausgefunden, profitieren, aber auch die "physiologischen Effekte" für die Menschen wären "vorteilhaft", heißt es einigermaßen kryptisch.

Sollten die Parlamentarier zustimmen, würde Ungarn jedoch gegen EU-Recht verstoßen, denn die "Gemeinsame Europäische Sommerzeit" ist in der EU-Richtlinie 2000/84/EG, mit Nachträgen 2006 für die Neumitglieder geregelt.

Doch auch in der EU ist die Begeisterung für diese "Tradition" enden wollend, Bürgerinitiativen laufen schon seit Jahren Sturm mit Petitionen, aber auch EU-Parlamentarier trommeln gegen das ökonomisch "sinnlose Nerven" der Bürger. Allerdings laufen die Bemühungen dort eher auf eine Beibehaltung der Normalzeit hinaus.

Ironischerweise musste dieses Jahr ausgerechnet der ungarische EU-Kommissar, Orbáns Ex-Minister Navracsics ran, die Zeitumstellung zu rechtfertigen. Er brachte, hörbar lustlos und vor fast leerem Plenarsaal, die üblichen Argumente vor, dass es seit der Ölkrise in den 70ern den Wunsch gab, Energie zu sparen und mehr vom Tag zu haben. Die Kommission ist die Hüterin der Verträge, sie wird Änderungen nur vorschlagen, wenn es begründbare Erkenntnisse gibt. Diese trugen ihm in der Anhörung mehrere Parlamentarier, quer durch die Fraktionen vor, voran der EVP-Mann Reul (Foto). Dreiviertel der Bürger lehnten die Umstellung ab, ein wirtschaftlicher oder energiepolitischer Nutzen sei bis heute nicht schlüssig darstellbar. Man kommt zu dem Schluss: Schaffen wir die Zeitumstellung einfach ab, sie wird niemandem fehlen. Die Kommission verweist auf eine in Auftrag gegebene Studie und vertagt die Sache.

Auch die Balearen-Inseln Mallorca und Menorca wollen z.B. die Sommerzeit zur Normalzeit machen, die Türkei hat dies bereits umgesetzt. Länger helle Abende helfe dem Tourismus, ist man dort überzeugt.

 

Die Zeitumstellung ist übrigens keine Erfindung in Folge der Ölkrise, sondern wurde 1916 vom Deutschen Reich und Österreich-Ungarn eingeführt, um in abendlichen Schlachten des Ersten Weltkrieges länger bei Tageslicht metzeln zu können. Die Kriegsgegner folgten dem Vorgehen, zu Kriegsende ließ man davon aber wieder ab. Ein neuzeitlicher Kriegsherr, Kim Jong Un, in Nordkorea, hat sich auf besonders originelle Art zum Herrn der Zeit aufgeschwungen und eine Zeit für sein Land eingeführt, die genau um eine halbe Stunde zwischen den benachbarten Zeitzonen variiert.

Ungarns Vorstoß könnte die Debatte befeuern und für Bewegung in Brüssel sorgen, ein Alleingang Budapests würde allerdings dort nicht gern gesehen, davon hat man von der Orbán-Regierung seit 2010 mehr als genug erlebt. Formal müsste die EU gegen ein Ausscheren Ungarns sogar mit einem Vertragsverletzungsverfahren vorgehen, auch wenn man seit 2010 weiß, dass in Ungarn die Uhren, zumindest politisch, anders ticken, es quasi immer Fünf vor Zwölf steht.

red.

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