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(c) Pester Lloyd / 51 - 2016    POLITIK     19.12.2016

Blass, aber sauber: Hat die Opposition in Ungarn Herausforderer für Orbán gefunden?

 

Ein Ex-EU-Kommissar könnte der Konsenskandidat von drei oppositionellen Parteien für die Wahlen 2018 werden. Hat schon die genannte Personalie wesentliche Schwächen gegen die Allmacht des Ein-Mann-Staates Orbán, verkennt die paralysiert scheinende Opposition immer noch ihr größtes Defizit: den Bürgern einen erneuten grundlegenden Wandel, - quasi die Neugründung einer europäischen, sozialen Republik Ungarn - schmackhaft zu machen.

Die Latte bei der demokratischen Opposition für die angestrebte Kür eines gemeinsamen Kandidaten scheint wahrlich nicht mehr sehr hoch zu liegen. "Gilt als in den letzten zehn Jahren nicht in einen Skandal verwickelt", genügt offenbar schon, um sich als Herausforderer des übermächtig scheinenden Orbán für die Wahlen 2018 (so sie denn dann stattfinden) zu qualifizieren.
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Mehrere Medien haben mit Bezug auf Kreise der sozialdemokratischen MSZP, der DK von Ex-Premier Gyurcsány sowie der links-liberalen Kleinpartei Együtt den Namen von László Andor (Foto) als gemeinsamen Spitzenkandidaten genannt. Eine offizielle Bestätigung ist das noch nicht - im Gegenteil, die forcierte Nennung u.a. auch durch Orbáns Pressemeute könnte gezielt einer “Verbrennung” als geeignet, also gefährlich scheinender Kandidaten dienen.

Für den 50jährigen spräche, dass er im innenpolitischen Ungarn noch als "unverbraucht" gilt, als "sauber" anzusehen ist, eine hohe Wirtschaftskompetenz mitbringt, beste Kontakte nach Brüssel und eine ruhige Ausstrahlung hat - also das ganze Gegenteil von Orbán oder jedem, den dieser aus seinen Reihen in Stellung bringen könnte. Der studierte Ökonom Andor war bis 2005 Herausgeber eines Wirtschaftsmagazins und im Anschluss bis 2010 im Vorstand der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung EBRD, einer wichtigen Quelle für die Finanzierung des Integrationsprozesses Ungarns in die EU. Von 2010 bis 2014 war er der ungarische Kommissar bei der EU-Kommission und dort für Soziales zuständig, ein Job, von dem in Ungarn nichts zu sehen oder zu spüren war, weil der "nationale" Filter und die mangelnde Dringlichkeit Brüssels für Sozialstandards eine Sozialpolitik, die diesen Namen auch nur ansatzweise verdient, wegsog.

Was wäre gegen ihn ins Feld zu führen: Für Fidesz wird es ein Leichtes sein, ihn zu demontieren: er ist MSZP-Mitglied, also nach gängiger Redensart ein "Sozi", somit mitverantwortlich für jegliche Unbill, die Ungarn seit den Türken ereilte. Als "Banker" ohnehin Teil des "elitären Mainstreams" (auch wenn die EBRD eine multinationale und keine Privatbank ist). Seine bedachte, ruhige Art, seine Intellektualität dürften - so traurig das klingt - im von Populimsus, Schlammschlachten und Diffamierungen geprägten Politik- und Konfrontationsstil in Budapest ebenfalls als Nachteil gereichen. Ein ausgeglichener, ruhiger Charakter wird als Schwäche wahrgenommen, Poltern, Hassen, Konfrontation statt Konsens sind angesagt.

Die Mehrheitsverhältnisse und
Umfragewerte legen nahe, dass die demokratische Opposition selbst bei totaler Einigkeit im Moment keine Chance hätte, Orbán durch Wahlen von seinem Ross zu stürzen. Dessen Fidesz kommt derzeit auf rund 53% der Wählerstimmen, was in neuungarischer Arithmethik fast Dreiviertel der Mandate bedeuten würde.

Eine offene Kooperation mit der neonazistischen Jobbik, die sich vom heimlichen Kooperationspartner
zum ersten Feind des Fidesz transformiert hat, bleibt augeschlossen, eine Duldung durch diese, um Orbán abzulösen wäre denkbar, aber nur zu einem sehr hohen politischen Preis an die extreme Rechte zu haben. Doch selbst dazu bräuchte es wesentlicher Verschiebungen in der Wählergunst.

Als vorletzte Möglichkeit (die letzte wäre ein Putsch) der Machtsicherung bliebe Orbán außerdem jederzeit noch die Ausrufung von Neuwahlen aus irgendeinem an den Haaren herbeigezogenen Gründen (Wir wollen die Bestätigung des Volkswillens für unsere Anti-Flüchtlingspolitik etc. blabla), womit der die Opposition in einem Moment der Schwäche abpassen könnte, um sich weitere vier Jahre zu inthronisieren.

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Das einzige verfügbare Foto von Andor und Orbán gemeinsam, bei einem EU-Gipfel 2014. Andors Nachfolger als ungarischer Kommissar in Brüssel wurde Orbáns Ex-Minister und treuer Mitstreiter Navracsics.

Worauf es für Ungarns Demokraten ankommt (also die Bürger und Parteien, die weder mit Fidesz-KDNP noch Jobbik zu tun haben), ist die Schaffung eines schlüssigen, umsetz- und vermittelbaren Wahlprogramms. Ein Aspekt, dem immer noch viel zu wenig Beachtung geschenkt wird, denn die inhaltlichen Aussagen der Parteien sind entweder zu einsilbig auf "Orbán muss weg!"  beschränkt oder zu fragmentiert, um dem entscheidenden Teil des ungarischen Wahlvolkes, nämlich jenen rund 30%-40% Unentschiedenen oder Frustrierten einen Grund zu geben, an die Wahlurnen zu gehen.

Andor könnte hier konkret und gleichzeitig pro-europäisch punkten, schließlich kennt er als Ex-Kommissar für Soziales die systemimmanenten Mechanismen der Verarmung, aber eben aus seiner Praxis auch Beispiele für den gelungenen Kampf dagegen. Mindestens
35% der Ungarn an und unter der Armutsgrenzen sind nicht einfach ein Wählerpotential, sie sind eine Armee, allerdings eine, die sich auch von Extremen anlocken lässt...

 

Die oppositionellen Parteien Ungarns scheinen paralysiert, unfähig für strategisch-komplexe Handlungen, sie beschränken sich indes auf die Kritik an den systematischen Verfehlungen Orbáns, gestalten aber kaum eine in sich geschlossene Programmatik, die eine - notwendige - erneute komplette Umgestaltung des Staates, seiner Institutionen und die Schaffung eines neuen gesellschaftlichen Konsenses, einer neuen politischen Kultur schmackhaft macht. Demokratie ist schwerer erklärbar, komplizierter als populistischer Nationalismus aus Angst und Lügen. Und das alles in einem europäischern Umfeld, in denen menschenverachtende Führertypen und extreme Parteien gerade en vogue sind. Immerhin gilt es nicht weniger, als die Republik Ungarn neu zu gründen.

Derweil dominieren Schuldzuweisungen, Abgrenzungen und persönliche Eifersüchteleien in den Reihen der Oppositionellen, die den Kontakt zum Volk verloren haben oder in unpassender Weise herzustellen versuchen, in dem sie sich auf populistische Vereinfachungen einlassen. All das spielt dem Potentaten in die Hände, der zudem über ein fast unbesiegbar scheinendes Netzwerk seiner Parteisoldaten, auf die gesamte von ihm kontrollierte öffentliche Verwaltung, die wirtschaftlichen Möglichkeiten eines Ein-Mann-Staates und - nicht zuletzt - auf fast unbeschränkte Medienmacht verfügt, die es auf dem Weg zu den Herzen der Menschen zunächst zu überwinden gilt.

red.

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