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(c) Pester Lloyd / 01 - 2017    POLITIK     07.01.2017

Giftbecher der Demokratie: Ungarns Linke als Wahlhelfer für Neonazis?

Soll man mit Belzebub paktieren, um den Teufel zu vertreiben? Die ungarische Opposition sucht weiter nach einer Erfolg versprechenden Strategie für die voraussichtlichen Wahlen 2018. Im Zentrum der bis dato fruchtlosen Debatten steht, neben der Suche nach einem gemeinsamen Spitzenkandidaten, aktuell auch die denkbar gewordene Kooperation mit der neonazistischen Jobbik, die nicht nur einen Tabubruch, sondern mutmaßlich die größte aller denkbaren Katastrophen bedeuten würde. Eine Analyse.

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Gábor Vona, Chef der rechtsextremen Jobbik, kann abwarten und Popcorn essen. Um ihn buhlen Fidesz und die Linken...

Ungarn im achten Jahre des Herrn Orbán: Wer in dem Land eine parteiübergreifende Bürgerbewegung sucht, die sich gegen Orbáns völkisch-ständestaatliche Kleptokratie auflehnt, sucht vergebens. Stellvertreterkriege und Hetzkampagnen gegen Flüchtlinge und alles "Liberale", ein Krieg gegen unabhängige Medien, eine systematische Umwandlung der Republik in einen postfeudalen Untertanenstaat mit rekordverdächtigen Armutsquoten und Milliarden-Steuergeschenken für die Oberklasse, Günstlingswirtschaft und Raubzüge an EU-Milliarden, planwirtschaftlicher Staatskapitalismus zwischen Konzernen und Nomenklatura, Zertrümmerung demokratischer Kontrollmechanismen, Vertreibung der qualifizierten Jugend in den Westen, Volksverdummung in den Pflichtschulen, Zusammenstreichen der Hochschulbildung - und es wehrt sich niemand...

Schande über das Land, seine Demokraten und seine Opposition: Die sogenannte links-liberale Opposition, fragmentiert zwischen der lange regierenden MSZP sowie der DK (Ex-Premier und MSZP-Chef Gyurcsány), grün bis links-, bis nationalliberalen Gruppen von LMP (einst grün, jetzt eher nationalliberal bis orbán-opportunistisch), über Együtt (initiiert von Ex-Premier Bajnai), PM (LMP-Abspaltung) oder Ein-Mann-Parteien wie der MLP (Ex-SZDSZ-Chef) und MoMa (Ex-Minister Bokros), ist nun nochmal in sich gespalten. Nämlich bei den zwei Fragen:1. Soll man 2018 mit dem Belzebub paktieren, um den Teufel vom Thron zu stürzen? 2. Soll es einen gemeinsamen Spitzenkandidaten geben und wenn ja, wer soll das sein?

Im Lichte der prekären Lage, in die sich die ungarische Opposition manövriert hat, erscheint die immer häufiger zirkulierende Idee, sich der Wählermassen der Ultrarechten zu bedienen, um in Ungarn einen Machtwechsel um jeden Preis herbeizuführen, attraktiv. Nein. Eigentlich klingt diese Idee wie der Ruf nach dem Schierlingsbecher der letzten Demokraten.

1702medgyessy (Andere)Kurz nach Weihnachten meldete sich Péter Medgyessy, einst Ministerpräsident einer MSZP-SZDSZ-Koalition im regierungskritischen TV-Sender ATV zu Wort und erklärte, dass die Analyse von Wählerdaten und Umfragen nur einen Schluss zulasse: die MSZP sowie die DK müssten sich mit der rechtsextremen Jobbik zusammentun, wenn sie 2018 Orbán und dessen Fidesz von der Macht ablösen wollen.

Auch die linke Philosophin und Holocaustüberlebende Ágnes Heller rät zu einer Kooperation mit Jobbik.

Sie sollten, so sein Vorschlag, sich so abstimmen, dass sie sich in den Einzelwahlkreisen, in denen mehr als die Hälfte der Mandate vergeben werden, keine Konkurrenz machten, sich also auf den jeweils aussichtsreichsten Kandidaten einigen, in mehr als der Hälfte der Fälle wäre das wahrscheinlich ein Jobbik-Kandidat. Nur so könnten sie die Fidesz-Kandidaten schlagen und genügend Direktmandate einfahren, um den zu erwartenden Vorsprung der Regierungsparteien bei den Landeslisten aufzufangen und Orbán zu besiegen. Für diesen Vorschlag solle man ihm nicht böse sein, so Medgyessy, er gebe nur wieder, was die Daten sagen.

Es gibt nicht wenige bei "den Linken", die diesem Vorschlag etwas abgewinnen können. Der Frust über die schier unantastbare Sattelfestigkeit Orbáns sitzt so tief, dass man ausblendet, dass es vor allem die eigene katastrophale Performance ist, die Orbán so stark macht. Die Daten sind klar: Orbán verfügt über eine Wählerbasis, die, je nach politischer Wetterlage zwischen 28 und 38% aller Wahlberechtigten beträgt. Theoretisch wäre er also schlagbar. Das von Fidesz bearbeitete Mehrheitswahlgesetz sowie die Fragmentierung und Auto-Marginalisierung der Opposition jedoch, gekoppelt mit einer schier absoluten Medienmacht lassen
in aktuellen Umfragen jedoch bis zu 54% der Wählerstimmen und also bis zu einer 3/4-Mandatsmehrheit aufscheinen, die jeden Gedanken an einen Machtwechsel 2018 absurd erscheinen lassen.

Medgyessy und die "Genossen", die seiner Idee folgen, übersehen einige Aspekte, die eine Kooperation mit Jobbik zu einem katastrophalen Bumerang werden lassen. Zunächst ist und bleibt die Partei rechtsextrem, menschenfeindlich und rassistisch, ja neonazistisch, auch wenn ihr Vorsitzender tonnenweise Kreide frisst, auch wenn ein Gericht deren Betitelung als extremistisch den Medien verbietet. Und: Jobbik bleibt eine wichtige Machtstütze für Fidesz, auch wenn die beiden führenden Rechtsparteien derzeit einen
"Warme-Bruderkrieg" führen und Jobbik einige Gesetzentwürfe, am spektakulärsten die geplante Verfassungsänderung zur Flüchtlingspolitik verhindert hat, obwohl sie Fidesz früher immer wieder bei der verfassungsändernden Mehrheit aushalf.

Vergessen wir auch nicht, dass Orbán sich Jobbik über Jahre bewußt warm gehalten hat, um die Opposition und potentielles Protestwahlpotential säuberlich in links und rechts zu trennen und so zu schwächen. Links zerlegte sich freiwillig weiter, wurde aber Jobbik zu stark, erfüllte Orbán einige Forderungen derer Anhänger und radikalisierte Fidesz soweit es eben für die Machtbalance nötig war. Grenzen und Skrupel kannte Orbán dabei nicht, so dass es zu dem Punkt kam, dass Jobbik den Fidesz offen vor sich her trieb. Dann zog Orbán die Notbremse und erklärte der rechten Flanke den Krieg.

Diese Verstimmung glaubt die Linke nun nutzen zu können: Unterstützen demokratische Oppositionsparteien aber die Jobbik bei den Wahlen 2018, halten sie letztlich den Steigbügel für die Machtergreifung einer im Grunde nazistischen Partei. Denn nichts anderes, die Machtübernahme, ist das Ziel von Gábor Vona, dem Jobbik-Chef und seinen Strategen und Finanziers im Hintergrund, von regionalen Günstlingen bis hin zu russischen Geheimdienstkreisen. NATO- und EU-Austritt wären eine Folge, Diskriminierung und offene Verfolgung, ja Deportation von Minderheiten und Andersdenkenden eine andere. Alles nachzulesen in den Reden und Statments der Partei und ihrer Spitzenvertreter. Die “Garden” würden dann freie Hand bekommen. Da Orbán die demokratischen Kontroll- und Schutzmechanismen bereits in ein tiefes Koma legte, wäre es für Jobbik nur eine Sache von Wochen, die Stecker endgültig zu ziehen.

All das bekümmert einige "Strategen" auf der linken Politseite Ungarn wenig, sind sie doch nur auf eine Ablösung Orbáns fixiert und kommen gar nicht mehr auf den Gedanken, selbst durch entsprechende Oppositionspolitik, Programmatik, Mobilisierung und Personalpolitik, für eine Änderung der Mehrheitsverhältnisse zu sorgen.

Trotz der wachsenden Zustimmung für eine Links-Rechts-Achse gegen das Orbánsche Parteien- und
Medienbollwerk, haben die Skeptiker noch die Mehrheit im Diskurs. Sowohl die MSZP-Spitze, als auch die kleineren Linksparteien, u.a. die Liberalen, aber auch PM und Együtt, schließen eine Kooperation mit Jobbik weiter aus. Das Maximale, was man sich hier vorstellen könnte, wäre, mit Jobbik zu stimmen, um einen Premier Orbán zu verhindern, wenn es die Konstellation 2018 zuließe. Doch was wäre dann die Alternative? Ein Reichskanzler Vona? Glaubt wirklich jemand auf der linken Seite, dass Jobbik keine Koaltion mit Fidesz "im nationalen Interesse" eingehen würde, um zunächst ein Stück vom Kuchen zu bekommen, bevor man sich die ganze Torte holt?
 
MSZP-Chef Gyula Molnár hat den Blick noch recht klar, zumindest wahlstrategisch. "Die Kräfte mit Jobbik gegen die Regierungsparteien zu vereinen, würden Land und Wähler in eine Sackgasse führen". Natürlich: MSZP-Wähler wären gezwungen Jobbik-Kandidaten anzukreuzen. Bei der DK von Gyurcsány kam das auf lokaler Ebene schon vor, eben um einen Fidesz-Bürgermeister zu verhindern. Nun hat man dafür einen Jobbik-Bürgermeister... Auch der Liberalen-Chef Gábor Fodor, heute MLP (ein Sitz), früher SZDSZ, will nichts von einer Kooperation mit Jobbik wissen, fordert stattdessen die Einheit der Demokraten gegen Jobbik und Fidesz ein.

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Diese, zwar informelle, aber klare neue Einheit, solle sich schon bald bei der Kür des Staatspräsidenten im Parlament (Fidesz-Mann Áder bekommt eine zweite Amtszeit) manifestieren, in dem die linke Opposition den unabhängigen Verfassungsjuristen und ehemaligen Ombudsmann für Grundrechte, László Majtényi (Foto), aufstellte und gemeinsam unterstützen soll.

Dessen Kandidatur ist zwar nur symbolisch, denn er hat gegen die Fidesz-Mehrheit keine Chance, zumal Jobbik bereits ankündigte, keinen Kandidaten zu unterstützen, weil man die Direktwahl des Präsidenten durch das Volk fordere. Doch ist die Abstimmung eine gute Gelegenheit, Majtényi bekannt zu machen.

Der hat klare Ansichten darüber, was in Ungarn gerade Not tut und bittet darum, dass ihn nur die Parlamentarier unterstützen mögen, die diesen vier Punkten zustimmen: 1. Die Wiederherstellung der (Demokratischen) Republik, 2. Wiederherstellung fairer Wahlen, die Machtwechsel ermöglichen, 3. Konzertierter Kampf gegen die Massenarmut, 4. Kampf gegen die institutionalisierte Korruption. Er ergänzt: "Ich bin mir über die Chancen im Klaren, aber auch darüber, dass meine Kandidatur Möglichkeiten eröffnet, Angelegenheiten zu benennen, die uns alle angehen."

 

Die demokratische Opposition müsste sich nun bald einigen: Soll es László Majtényi, der einzig parteilich nicht belastete Kandidat machen, der sogar im bürgerlichen Lager Anhänger findet oder doch der schon genannte Ex-EU-Kommissar Andor, gar MSZP-Bürgermeister von Szeged, Botka oder taucht am Ende doch wieder der tödliche Running Gag der ungarischen Linken, Ferenc Gyurcsány, auf, um dem Land zu erklären, dass nur er es retten kann?

Jobbik sieht der schmerzlichen und noch kaum ernst zu nehmenden Positionsfindung auf der Linken gelassen zu. Man wird nun von Links und Rechts hofiert, wenn auch verhasst und mit zusammengekniffenen Zähnen. Vona kann behaupten, Orbán stürzen zu wollen, ohne ihn stürzen zu müssen, bevor er selbst als Nachfolger feststeht.

Orbáns Fidesz kommentiert die Gedankenspiele höhnisch und angesichts der Umfrageergebnisse auch völlig gelassen. Die regierungseigene Nichtregierungsorganisation CÖF (Friedensmärsche, öffentliche Geldverteilung) ließ Gyurcsány und Vona zusammen plakatieren mit dem Spruch "Sie haben sich gefunden."

Orbán hat alle Fäden in der Hand. Sollten die Korruptionsskandale aus dem Ruder laufen, die Flüchtlinge und somit die machterhaltende Grundlage der Angst ausbleiben und ihm auch sonst nichts Großes einfallen, wird er irgendeine Bedrohung kreieren (z.B. EU) und "das Volk nach seinem Willen" fragen, also Neuwahlen ansetzen, zu einem Zeitpunkt, der ihm den Sieg quasi garantiert.

red.

46pllogo (Andere)
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