Hauptmenü

 

Unabhängiger Journalismus braucht die Hilfe seiner Leserinnen und Leser! - Was wir beim PESTER LLOYD vorhaben und wie Sie uns helfen können...

 

AUB6-PESTERLLOYD BANNER2

 

(c) Pester Lloyd / 05 - 2017    POLITIK      30.01.2017

"Volkspartei": Ungarische Rechtsextremisten auf Stimmenfang

Der Chef der neonazistischen Partei Jobbik, Gábor Vona, geht mit seinen Mitwölfen seit ein paar Jahren im Schafspelz hausieren, um sich als "bürgerliche Partei der Mitte" zu präsentieren - und Schafe zu fangen. Diese Camouflage präsentierte er am Wochenende wieder auf einem Parteikongress. Links und Rechts seien keine Kategorien mehr, er wolle für das ganze Volk regieren. "Wir brauchen weder Herrscher, noch Gutsbesitzer. Ungarn den Ungarn!"

1705vonaheute (Andere)
Bürgerlicher Zwirn, die Haare schön, “Volkspartei” aufs Pult gemalt. Nur den psyopathischen Blick bekommt er nicht weg. Gábor Vona am Wochenende auf seinem Parteikongress.

 

Er wolle "den Ungarn dienen" und eine "neue Ära der Reformen" anstoßen. Es sei offensichtlich, dass dies mit den bisherigen "Eliten" nicht funktioniert. Die sozial-liberalen "Herrscher" hätten das Land dem Ausland ausgeliefert, die Fidesz-Regierung würden sich als "Gutsbesitzer" aufspielen, so Vona vor 2.000 seiner Anhänger, unter denen neben "normalem" Parteivolk auch Abgeordnete, Bürgermeister sowie Uniformierte der "Ungarischen Selbstverteidigungsbewegung" und der "Neuen Ungarischen Garde" antraten.

Von Letzteren veranstalteten einige Dutzend eine Demonstration vor dem Veranstaltungsort, weil ihnen Vonas Verbürgerlichungsschow mittlerweile zu weit geht. Offenbar halten sie den Wandel ihres Parteichefs vom radikalen Saulus zum national-moderaten Paulus für bare Münze. Sie zeihen ihn des Verrats an den "wahren Werten" Jobbiks und verlangten, Vona möge seine Garde-Uniformjacke abgeben - immerhin war er einer der Mitgründer dieser militärisch organisierten Schutzstaffel gegen die "Zigeunerkriminalität", in deren Fahrwasser eine Mörderbande sechs Menschen umbrachte, just in den Orten, in denen die Garden zuvor aufmarschierten.

Das mit den ungarischen Roma, hier in Ungarn sagen alle Zigeuner, auch die Roma selbst, ist ein Thema, bei dem sich Vona seine ganze Schauspielkunst abverlangt. Man müsse "das Thema sensibel angehen", sagt er, das Thema des "Zusammenlebens von Ungarn und Zigeunern". Denn, und da kommt doch der alte Ton wieder durch, dies sei "eine tickende Zeitbombe". Nur wer bei Zeiten den Zünder bedient, das sagte Vona nicht.

Die rund 700.000 bekennenden Roma haben alle den ungarischen Pass, sind also nach zivlisiertem Verständnis Ungarn, für Vona bleiben sie Fremde im eigenen Land. So weit ist er damit nicht vom "Mainstream" entfernt, selbst die Verfassung unterscheidet schließlich zwischen nationenbildenden Elementen, alle echten Ungarn, wo immer sie leben mögen und staatsbildenden Elementen, zu denen die ethnischen Minderheiten definiert wurden. Das ist völkisch. Völkisch ist in Ungarn heute Mainstream.

1705vonagaborfreuher (Andere)
Vona, noch vor ein paar Jahren in der Kluft der “Garden” unterwegs, auch im Parlament, entlehnt den faschistischen Mörderbanden der Pfeilkreuzler, die übrigens unter dem “Konservativen” Horthy groß genug wurden, um bald darauf ein Terrorregime zu entfachen.

Nicht nur in Definitionsfragen hat Orbáns Fidesz die Jobbik längst rechts überholt. Vona blieb - wollte er nicht in den faschistischen Guerillakampf untertauchen - gar nichts anderes übrig als seine Partei neu, nach seiner Ansicht mittiger, zu positionieren. Die Rhetorik Orbáns gegenüber Flüchtlingen als "kriminelle, kulturfremde Eindringlinge", die versuchen "unsere Kultur zu zerstören, unsere Frauen zu versklaven" und "Terror zu verbreiten" und die daher "interniert und deportiert" gehören, ließe sich ohne Gaskammervokabular gar nicht mehr steigern.

Orbán hat eine Mauer gebaut, die Flüchtlinge entrechtet, sperrt sie ein, bildet Grenzjäger aus und vereidigt sie mit Worten, die selbst die Pfeilkreuzler wie Pfadfinder aussehen lassen. Die Roma lässt er in bewachten Arbeitskolonnen für Sklavenlohn schuften, in Schulen ist ein "nationaler" Lehrplan eingezogen, wird an der Waffe ausgebildet. Selbst die Todesstrafe ist für Fidesz kein Tabu mehr.

Was bleibt da noch zu tun, als sich an Fidesz struktureller Kleptokratie zu weiden, an der Jobbik-Funktionäre noch immer weitgehend ausgeschlossen sind. Noch. Jahrelang konnte sich Jobbik auf Fidesz verlassen. Sie waren - Orbán lernte das von der Kreml-Partei - eine Art gelenkte Opposition. Ein willkommener Schwamm für Protestwähler, für die "links" unwählbar war und ist. Eine gespaltene Opposition ist eine gute Opposition. Während sich Links selbst zerlegte, wurde Rechts jedoch einig und immer stärker, überholte die MSZP und stieg in Umfragen zur Nr. 2 auf. Wurde es nötig, stimmte Jobbik mit Fidesz. Bis zu jenem Tag im Vorjahr als Vona Orbán ein Ultimatum stellte, dessen
Verfassungsänderung zu Fall brachte und sich so den Zorn des Großen Vorsitzenden zuzog.

Seitdem sind die beiden rechtsradikalen Parteien Ungarns im Krieg. "Man will uns komplett vernichten", mahnt Vona die Anhänger und spielt damit auf die Seit Monaten laufende Gegenkampagne der Regierungspartei an. Deren Medien stellen Jobbiks Moskau-Kontakte (als wenn Fidesz keine hätte) und damit die Partei als 5. Kolonne dar, versuchen Vona in einen Topf mit den Sozis als vom Ausland gesteuert und gegen das Volk gerichtet, von Brüssel gelenkt hinzustellen. Vona selbst sah sich vom Fidesz-Zentralorgan
als homosexueller Gangbanger geoutet - er sagt: diffamiert. Naja, nichts genaues weiß man nicht.

Vona stellt nun auf den Kampf gegen "die Politspiele" der Mainstream-Kasten ab, die Ungarns "politische Luft verpesten". Er dagegen wolle "Brücken bauen" zwischen "Menschen mit verschiedenen Lebensarten, Charakteren und Weltsichten", mit dem Ziel "Freiheit und Sicherheit" zu errichten, gegen das Konzept von "Herrschern und Gutsbesitzern", das die etablierten Parteien anzubieten hätten.

Selbst das Thema Großungarn, einst Jobbik-Domäne, ist ihm abhanden gekommen. “Sich um alle Ungarn, egal zu kümmern, egal wo sie wohnen, sei fundamental für den Erhalt der Nation.”, ist alles, was Vona noch herausbekommt. Das ist weniger, als ein normaler Fidesz-Redner an einem faulen Wochenende zusammenbringt. Vona, der vor Jahren noch in die Nachbarländer einmarschieren wollte, muss tonnenweise Kreide gefressen haben.

 

Er, also Jobbik, sei "die Volkspartei" und sogar näher an ihren Prinzipien denn je. "Jeder Ungar ist uns wichtig", wir werden auf jeden Einzelnen hören. Es genüge nicht, Einwanderung zu stoppen und Grenzen zu schließen, sondern es brauche auch "angemessene Löhne, eine gute Gesundheitsversorgung und Bildung für alle". Anstelle "die Entwicklungsgelder (EU-Gelder, Anm.) zu stehlen, muss ein gerechtes Sozialsystem errichtet werden". Roma-Väter in Arbeitslager, ihre Kinder in staatliche Umerziehungsheime, die Mütter zwangssterilisiert - das forderten Jobbik-Funktionäre früher. Es sind die gleichen Gestalten, die sich ihre Uniformjacken auszogen und nun in Nadelstreif säuseln.

Jobbik schwächelt derzeit
in den Umfragen - auf hohem Niveau. In der Sonntagsfrage lagen sie Anfang 2015 bei 28%, jetzt ringen sie um die 20%. Das reicht noch immer deutlich für Platz 2, so dass selbst linke Oppositionskräfte von DK bis MSZP offen eine Kooperation für die kommende Wahl anstreben. In der Frage ist man noch gespalten, aber die Verzweiflung auf der linken Seite ist so groß, dass man sogar mit dem Belzebub paktieren würde, um den Teufel auszutreiben. Mehr dazu hier.

Ist eine Machtübernahme seitens Jobbik so unwahrscheinlich? 5 Prozentpunkte von Links, 5 von Fidesz ind 10 aus dem Lager der Nichtwähler und man stünde, zusammen mit den 20% Stammwählern bei 40%. Das genügte sogar für eine absolute Mehrheit im Parlament. Selbst wenn es 10% weniger werden, könnte Jobbik stärkste Partei, zumindest aber “Königsmacher” werden, Fidesz müsste sich dann noch mehr nach den wirklichen Wünschen dieser Neonazis richten.

red.


46pllogo (Andere)
Der PESTER LLOYD hat sich für 2017 viel vorgenommen.
Was genau, das lesen Sie hier.

Unser Hauptziel bleibt, denen eine Stimme zu geben, die für ein demokratisches und europäisches Ungarn einstehen und auch jenen, die im Kampf der Mächtigen übergangen werden. Denn was in Ungarn geschieht, geht uns alle an, werden hier doch Präzedenzen geschaffen, die ganz Europa in Frage stellen könnten.

Wir würden uns freuen, wenn Sie uns auf unserem Weg unterstützen, durch eine Spende oder ein virtuelles Abo. Weitere Infos. Direktkontakt: online@pesterlloyd.net









 

 

Effizient werben im
Pester Lloyd!
Mehr.

 

 

 

 

Das Pester Lloyd Archiv ab 1854