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(c) Pester Lloyd / 05 - 2017    POLITIK      02.02.2017

Putins Werk und Orbáns Beitrag: Die wirkliche Agenda zwischen Russland und Ungarn

Beim heutigen unter höchsten Sicherheitsmaßnahmen stattfindenden Besuch des russischen Präsidenten in Ungarn werden viele warme Worte und heiße Luft gewechselt. Putin und Orbán, Zar und Pinscher, werden sich als gute, faire Partner präsentieren, deren Kontakte das natürlichste von der Welt sind und nur den gegenseitigen Interessen dienen. Doch was steckt wirklich hinter der Achse Moskau-Budapest, welche Deals werden geschlossen, was will Putin von Orbán und umgekehrt?

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Orbáns Kabinettschef Lázár verbat sich schon vor Wochen jede Kritik an dem im Westen kritisch beäugten Treffen. Er untersagte "jegliche Provokationen bezüglich des Vorwurfs der Aufgabe nationaler Interessen". Das soll heißen, jegliche Kritik an der ökonomisch-politischen Auslieferung Ungarns an den Kreml sei substanzlos und falsch. Baute man Paks 2 nicht, würde die Energieabhängigkeit zu Russland noch steigen, so Lázár. "Wir wollen nicht, dass die Russen über die Karpathen kommen", daher sei man für "korrekte, faire und auf gegenseitigem Respekt basierenden" Beziehungen interessiert. Wie die aussehen, haben wir hier einmal für Sie zusammengefasst und mit weiterführenden Links versehen.

AKW Paks II

Moskau finanziert den Ausbau des AKW Paks II bis 2026 um zwei weitere Reaktorblöcke sowie die Erneuerung der bestehenden mit einem Kredit von 10 Milliarden Euro, 2 bis 3 Milliarden will Ungarn aufbringen. Das Refinanzierungs- und Ausfallrisiko trägt in Gänze der ungarische Staat, also der Bürger. Für
das Projekt selbst sowie die intransparenten Kreditbedingungen hat Orbán je 30 Jahre Geheimhaltung angeordnet. Beide Seiten wollen sicherstellen, dass die EU möglichst wenig bei den Auftragsvergaben mitredet, damit die Gelder in die "richtigen" Taschen fließen.

Ein EU-Vertragsverletzungsverfahren wegen des Verstoßes gegen Ausschreibungsrichtlingen, also das EU-Wettbewerbsrecht, konnte Dank des massiven Lobbyismus kernenergiefreundlicher Kreise der EVP,
namentlich Oettinger, sowie Mr. Russland, Ex-Daimler-Manager Klaus Mangold, bereits zu Gunsten Ungarns beendet  werden. 55% des Auftragswertes sollen nun EU-weit ausgeschrieben werden, vor allem General Electrics und Siemens sowie französische Unternehmen werden zum Zuge kommen, der "Rest" wird auf dem kurzen Dienstweg verteilt.

Orbán hat im Handstreich die von der EU vorgeschriebene
"unabhängige Atomaufsicht" entmachtet und kann Genehmigungen für den AKW-Bau und -Betrieb per Dekret erteilen, Vorgaben der internationalen Kundmachung der Umweltprüfungen werden missachtet, Österreich erwägt eine Klage. Experten - selbst solche aus der AKW-Branche - halten das Projekt für energiepolitisch unsinnig, sicherheitstechnisch für gefährlich sowie politisch für fatal.

Die EU beäugt außerdem die Finanzierung unter dem Stichwort "unzulässige Subvention". Auch hier steht noch ein Verfahren im Raum. Mit dem AKW will Ungarn bis zu 75% seines Strombedarfs mit Kernkraft (heute ca. 52%) decken und zum regionalen Stromexporteur aufsteigen. Interne Studien des Betreibers MVM zeigen indes, dass das AKW nur mit einem erheblichen Anstieg der Stromkosten - bis zur Verdopplung - rentabel werden kann, - deren Reduzierung ist eines der Hauptverkaufsargumente Orbáns an sein Volk.

Erdgasgeschäfte

Orbán versucht hier, möglichst günstige Bedingungen bei Gasprom zur Befüllung der heimischen Gaslager, die nach und nach verstaatlicht wurden, zu bekommen. Im Gegenzug musste Ungarn die
Belieferung von Erdgas an die Ukraine einstellen und die russischen Pipeline-Projekte gutheißen. Als Dankeschön lassen die Russen ungarische Regierungskreise im sogenannten grauen Gasgeschäft mitnaschen (neben etlichen anderen priviligierten, diskreten Geschäftskontakten).

Mit Hilfe von Off-Shore-Konstruktionen und unter Einrichtung staatlicher Quasi-Monopole bei Lagerung und Beförderung, fallen Gewinne im dreistelligen Millionenbereich an, die dezent abgeleitet werden. Der Skandal - denn es ist ein dreister Raubzug auf Kosten der ungarischen Gaskunden und Steuerzahler - machte unter dem Namen MET die Runde, dazu lesen Sie eine detaillierte Recherche hier sowie die Publikation belastender Dokumente hier. Konsequenzen: keine.

EU-Sanktionen / Ukraine-Politik

Beim Putin-Besuch vor zwei Jahren, die Sanktionen der EU waren noch frisch,
schlug die russische Seite den Ungarn einen Deal vor. Ihr macht in der EU Stimmung gegen die Sanktionen, dafür organisieren wir euch den Absatz der sanktionierten Produkte über Drittstaaten (z.B. Kasachstan, Aserbaidshan etc.), sogar eine Befreiungsliste für ausgewählte Firmen war im Gespräch, ob diese umgesetzt wurde, lässt sich nicht kontrollieren.

Die ungarische Regierung kommt ihrem Teil der Verabredung treu nach und trommelt bei jeder Gelegenheit gegen die Sanktionen,
von Anfang an. Sie führten zu nichts, kosteten die armen ungarischen Bauern Millionen (was Quatsch ist, jeder Hagelschauer ist teurer, nach Russland exportierte man nur deshalb gerne, weil man dort Produkte los wird, die in der EU schlicht nicht konkurrenzfähig sind.) ja, die EU versuche sogar, Russlands Führung zu stürzen, was kontraproduktiv sei, so Orbán, man müsse die Größe und Wichtigkeit Russlands, ebenso wie jene Chinas und der Türkei anerkennen, allein stabile Verhältnisse in diesen Ländern seien von Nutzen für Europa, dazu solle man nicht ständig über Menschenrechte reden.

Ungarn sitzt in der Ukraine-Politik zwischen den Stühlen, fordert zum Einen
von der EU komplette Visafreiheit, äugt auf den Import dringend benötigter Arbeitskräfte beim Nachbarn und muss aus Staatsräson auch die Interessen der ungarischen Minderheit im Auge behalten. Auf der anderen Seite hat sich Orbán Putins Ukraine-Politik mehr als einmal angedient und für die "neurussischen" Gebiete im Osten der Ukraine sogar das "Recht auf Autonomie" ins Gespräch gebracht. Mehr zur ungarischen Ukraine-Politik hier.

Politisches Bündnis

Orbáns politischer Größenwahn, sein Narzissmus und seine Käuflichkeit machen ihn zum bevorzugten Saboteur Putins gegenüber der EU. Das Ziel besteht darin, die EU und die NATO als starke Staatengemeinschaft bzw. militärisch-politisches Bündnis zu schwächen, was als "Europa der Nationalstaaten" verkauft wird. Putin kann seinen Einfluss in die einzelnen Länder ungestörter erhöhen, wenn die EU nicht durch Normen und Kontrolle, gar gemeinsame "Werte" dazwischenredet.

Im Sinne dieser Schwächung, die vor allem auf Sicherung des Energiemarktes, die Ungestörtheit seiner Expansionspolitik, die Kaschierung der eigenen wirtschaftlichen Debilität und die Etablierung postdemokratischer Herrschaftssysteme hinausläuft, spielt Putin auch die Flüchtlingskrise in die Hände, in der seine Medien und Trollarmeen aktiv in den Diskurs im Westen eingreifen, um die "Eliten" als Feinde ihrer Völker darzustellen - kalt lächelnd auf Kosten eines ansteigenden Nationalismus. Die unflexible, unsoziale Politik der letzten Generation des Kalten Krieges im Westen, die keine Antworten auf die neuen Herausforderung findet und / oder sie verweigert, spielen ihm dabei mehr in die Hände als nötig.

In Ungarn muss sich Putin bei seinem Werk dabei nicht der Unterstützung rechtsextremer Parteien bedienen (wiewohl auch die Jobbik Kontakte nach Moskau hat und von dort finanziert wird) wie in Frankreich, Deutschland oder Österreich. Orbán liefert selbst, schließlich ist er der erste Rechtspopulist auf einem Regierungschefsessel in der EU.

 

Orbán seinerseits orientiert sich mit seinem präsidial-autokratischen Führungsstil, dem Kampf gegen die Zivilgesellschaft, der  konzentrierten Medienmacht, der Instrumentalisierung der Gewalten für Parteiinteressen und Günstlingswirtschaft, der gezielten Gleichschaltung oder Abschaffung demokratischer Kontrollinstanzen 1:1 an dem, was Putin seit Jahren mit "seinem" Russland veranstaltet. Putin nimmt diesen vorauseilenden Gehorsam dankend an, die Belohnungen laufen über: siehe AKW Paks und Gasgeschäfte.

Orbán betont stets, dass er Ungarn als kleines Land in gutem Einklang mit allen Machtgrößen führen will, unterschlägt dabei aber, dass er mit dem EU-Beitritt, den er übrigens 1998-2002 wesentlich mit ausgehandelt hatte, vertragliche Verpflichtungen eingegangen ist, die sich nicht auf den Bezug von EU-Geldern beschränken.

Putin, Orbán, Erdogan, Trump, die Brexit-Fraktion, vielleicht bald Le Pen, Strache usw.; selbsternannte Volkstribune mit maximaler Verachtung für Grund- und Menschenrechte, Pluralismus und Demokratie, mit zumindest äußerst auffälligen, persönlichen Verhaltensmerkmalen, gepaart mit Gier, kaum noch unterscheidbar von Potentaten in Afrika und Asien, werden die Politik der kommenden Jahre im transantlantischen und euro-asiatischen Raum prägen. Der
Aufruf von Donald Tusk zur Geschlossenheit Europas - ein Beleg auch, dass aus dem Osten nicht nur Böses kommt - sollte, vor allem auch mit seiner EU-Selbstkritik - gehört werden, wenn wir unseren Kontinent als Gemeinschaft des Friedens und der relativen Prosperität behalten wollen.

red.


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