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(c) Pester Lloyd / 13 - 2017    POLITIK      27.03.2017

60 Jahre Römische Verträge: Orbán, der innere Feind Europas

Nur wenn jede Nation sich selbst um seine Sicherheit und seinen Wohlstand kümmert, kann Europa funktionieren. Das ist die paradoxe Konklusion des ungarischen Premiers Orbán, die er beim 60. Jubiläum der Römischen Verträge ausstieß, obwohl er die gemeinsame Erklärung "gut für Ungarn" findet. Dass die EU bis heute keine wirksamen Mittel gegen ihre inneren Feinde und Rosinenpicker anwendet, ist eigentlich ihre größte Schwäche.

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Ungarns Premier Orbán in Rom.

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"Keine Feiererklärung wird irgendetwas ändern. Wir können nur stolz auf Europa sein, wenn wir auf unsere eigenen Länder stolz sind", erklärte der Premier, der erst noch vor wenigen Tagen rief, dass man "Brüssel stoppen" müsse und es "keine Europäer, nur europäische Nationen" gebe. Allen sei klar, dass man "auf große Herausforderungen reagieren" müsse. Wegen der Passagen, die die "Wichtigkeit des Grenzzschutzes" betonen sowie die Verantwortung der Einzelmitglieder, sei das Dokument "ein Gutes für Ungarn". - Und natürlich auch, weil es keinerlei konkrete Konsequenzen für seine Rosinenpickerei zeitigt.

In diesen Tagen sendet die Orbán-Regierung wiederum Fragebögen im Rahmen der sogenannten "Nationalen Konsultation" an die Wahlbürger, mit deren "Willensäußerung" Brüssel dauerhaft die Mitsprache beim Steuerrecht, bei staatlichern Subventionen, beim Wettbewerbsrecht (Preisdiktate u.a. in der Energiebranche) entzogen werden soll. Noch ist unklar, wie Orbán es anstellen will, durch nationales Recht EU-Recht außer Kraft zu setzen, dem man sich durch die Lissabon-Verträge verpflichtet hat. Doch diese Zweigleisigkeit prägt seine Politik gegenüber Brüssel seit 2010. Sie brachte politische Konfrontationen und eine Rekordzahl von Vertragsverletzungsverfahren - bisher aber keine materiellen Einbußen. Daher sieht er auch keinen Grund, von seiner destruktiven, egoistischen Europapolitik abzulassen.

Seiner Meinung nach sei Ungarn "heute das einzige Land in der EU, dass Vollbeschäftigung erreichen kann", denn "wir haben verstanden, dass Menschen nicht durch Wohlfahrt, sondern nur durch ihrer eigenen Hände Arbeit mehr Wohlstand erreichen können." Dass als Ergebnis seiner "Arbeitsgesellschaft" in seinem Land 35-40% der arbeitsfähigen Bevölkerung an und unter der Armutsgrenze leben müssen, machen seine Aussage zur Farce. Aber auch diese bleibt ohne Konsequenzen, eine soziale Protestbewegung ist in Ungarn nicht in Sicht, ein Gegenlenken Brüssels ohnehin nicht.

Wichtig sei, dass "Arbeitsplätze nicht durch Einwanderung, sondern durch familienfreundliche Politik besetzt" werden. Im Janaur beschleunigte sich der seit 27 Jahren permanente Bevölkerungsrückgang in Ungarn erneut. - Ungarn ist, nach Rumänien und Bulgarien, noch vor Polen das Land, das die höchste Quote an Wirtschaftsflüchtlingen innerhalb der EU stellt. Gleichzeitig müht man sich, Fachkräfte aus Rumänien, der Slowakei und nun auch der Ukraine anzuwerben, um die Anforderungen der Multis und ihrer in Ungarn stationierten Werkbänke zu erfüllen. Keine Einwanderung?

Stärkere Polemiken gegen die EU ließ Orbán diesmal aus. Wie schon bei der Wiederwahl Donald Tusks als Ratspräsident scheint der Deal mit seiner EVP zu halten, die ihn bei denkbaren Sanktionen wegen seiner permanenten EU-Grundlagenverstöße verschont wird, wenn er sich etwas zurückhält. Polen, dessen Regierungspartei nicht Teil der EVP-Familie ist, wird dafür stärker an den Pranger gestellt - wiewohl der Demokratie- und Rechtsstaatsabbau in Orbáns Ungarn viel weiter gediehen.

Die parlamentarische Opposition betonte die Überlebensnotwendigkeit einer starken EU für Ungarn. Wer "die Gemeinschaft schwächt, arbeitet gegen Ungarn und seine Menschen", sagte der MSZP-Europaabgeordnete István Újhelyi und zitierte eine aktuelle Umfrage, nach der rund 60% der Ungarn die EU-Mitgliedschaft des Landes unterstützen - eine beachtliche Zahl nach den jahrelangen Kampagnen der Orbán-Regierung gegen die "neue Sowjetunion", die als "Handlanger der internationalen Hochfinanz und Erfüllungsgehilfe der Linken ungarische Familien angreift" und "liberale Antidemokratie" vertritt, wogegen er für die "illiberale Demokratie" als "Vertreter des Volkswillens und der Nation" stehe.

Viele Ungarn sehen - trotz aller Kritik - die, wenn auch mehr als harmlos und zahnlos agierende EU als Garanten gegen den korrupten Größenwahn ihrer eigenen Politiker. Für dieses Bündnis zu demonstrieren oder gar die Politik in ihrem Land in eine andere Richtung zu drängen - so weit reicht die Begeisterund dann aber noch nicht wieder.

Die Demokratische Koalition (DK) von Ex-Premier Gyurcsány bekennt sich zur Idee der "Vereinigten Staaten von Europa", stellt sich also in größtmögliche Opposition zu Orbáns "Europa der Nationen" (und der Selbstbedienung für die Seinen). Entsprechend konstatiert die DK ein "verlogenes Falschspiel" bei seinem Auftritt bei den anderen europäischen Führern. Orbán promote "Reinrassigkeit" statt Vielfalt, Korruption statt Wettbewerb, Egoismus statt Solidarität.

Die LMP, zwischen Taktieren mit der Regierung und Opposition lavierend, befindet, Orbán solle "seine Beziehungen zur EU klären" und "mehr Vertrauen in eine effizientere, gerechtere und vereintere Gemeinschaft" haben. Die Kleinpartei Együtt wiederum sieht in Orbán den Repräsentanten eines "verlogenen Politikstils".

Ungarns Außenminister Péter Szijjártó sieht hingegen, dass Ungarns Politik, vor allem was die "illegale Einwanderung" betrifft, "immer mehr Unterstützung" findet. Hätten EU-Partner Ungarn zunächst noch "Faschismus vorgeworfen", weil man einen Zaun errichte, werde man darin nun unterstützt. Selbst die Innenminister Italiens und Deutschlands erkennten die Notwendigkeit der Errichtung von Auffanglagern in Afrika, was Ungarn schon lange fordere. Und die schwedische Regierung trete nun auch für einen aktiven Schutz der EU-Außengrenzen ein. Ungarn "brauchte seine Position nie ändern". Dennoch gehe "die Schlacht in Brüssel weiter".

Die Kommission wolle noch immer "Polen und Ungarn bestrafen und Illegale in die EU lassen." Ungarn lasse das nicht zu, hier kommt nur ins Land, wer die gesetzlichen Verfahren durchlaufen habe. Dass diese
Verfahren in Teilen menschenrechtswidrig sind  und Ungarn sogar erwägt, aus der Europäischen Menschenrechtskonvention auszutreten, das verschwieg der Außenminister.

 

Die EU muss Polen und Ungarn "bestrafen", wenn sie EU-Recht verletzen, das nun einmal die Grundlage einer Gemeinschaft darstellt. Wer diese Grundlagen, in denen demokratische Mechanismen, Rechtsstaatlichkeit und Respekt vor Grund- und Menschenrechten als Artikel 1 und 2 oben anstehen, permanent missachtet oder nicht akzeptieren will, der möge den Weg der Briten gehen, die nun lernen werden, was Rosinenpickerei, Isolation und nationaler Egoismus bedeuten und kosten.

Dass die EU bis heute keine wirksamen Mittel gegen ihre inneren Feinde anwendet, das ist eigentlich ihre größte Schwäche. Die Gemeinschaft braucht mehr Härte und Militanz bei der Durchsetzung ihrer Verträge, ihrer Ideale, sonst bleibt sie Spielball nationalistischer Populisten wie Orbán, daran ändern, da hat er völlig recht, auch die feierlichsten Erklärungen nichts. Bei den Grundlagen gibt es keine Rabatte, keinen Verhandlungsspielraum

red.


46pllogo (Andere)
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