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(c) Pester Lloyd / 14 - 2017    FEUILLETON     03.04.2017

Revisionismus in 3D: Kleines Kompendium der Gedenk- und Denkmalpolitik in Ungarn

Lukács geht, Kaczynski kommt: Erst vor wenigen Tagen, am 28. März, wurde die Statue des Marxisten und Kulturphilosophen György Lukács aus Budapest entfernt, - auf Antrag eines Nazis und mit Zustimmung der Orbán-Leute. Denkmäler für den Heiligen Stephan und den seligen Kaczynski werden errichtet. An der Gedenk- und Denkmalpolitik der Orbán-Regierung lässt sich sehr plastisch ihre wirkliche ideologische Ausrichtung ablesen, - aber auch ihre barbarische Lächerlichkeit...

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Der Fidesz-Bezirksbürgermeister des VIII. Budapester Bezirks, Máté Kocsis, plant die Errichtung einer Statue für den ehemaligen polnischen Staatspräsidenten Lech Kaczynski, der 2010 bei einem Flugzeugabsturz in Russland ums Leben kam. Mit der Statue an einem "repräsentativen Ort" wolle man die "engen, schicksalhaften" Verbindungen zwischen dem ungarischen und polnischen Volk manifestieren. Der Budapester OB Tarlós, ebenso Fidesz, unterstützt diese Initiative.

Lechs Zwillingsbruder, Jaroslaw Kaczynski, Chef der europafeindlichen, rechtspopulistischen Regierungspartei PiS, gilt als eigentlicher starker Mann des heutigen Polen, auch wenn er keine offizielle Regierungsfunktion inne hat. Unter seinem Einfluss unternahm die Regierung eine ganze Reihe von Schritten, Demokratie und Rechtsstaat in Polen abzubauen, die Gewaltenteilung zu beseitigen und sämtliche Institutionen des Staates administrativ und ideologisch zu beherrschen. Dabei lehnte man sich stark an die "Leistungen" der Orbán-Regierung seit 2010 an, mit der man auch die euuropafeindliche Haltung teilt. Also eigentlich errichtet Fidesz ein Denkmal für sich selbst.

Erst vor wenigen Tagen wurde, auf Beschluss der Bezirksversammlung des 13. Bezirks, die Statue von György Lukács (Foto) entfernt. Die Initiative dazu ging von einem Jobbik-Bezirksverordneten aus und erhielt umgehend die Unterstützung der Fidesz-Fraktion. Als Begründung wurde die "kommunistische Ideologie" genannt, die Lukács repräsentiere und die Opfer der "kommunistischen Dikaturen verhöhne". Der jüdische Ungar György Lukács war Marxist und auch aktiver Funktionär der kurzen Räterepublik in Ungarn nach dem Ersten Weltkrieg. Dabei hat er sich durchaus nicht mit Ruhm bekleckert. Lukács war aber auch der wohl namhafteste Philosoph und Kulturwissenschaftler, den Ungarn vozuweisen hat. (
Auch Autor dieser Zeitung) Seine Statue stand in jenem Szent István Park, in dessen Umgebung sich viele der "Schutzhäuser" befanden, in denen zehntausende ungarische Juden mit Schutzpässen ausländischer Botschaften (vor allem der schwedischen) den Holocaust überleben konnten. Und seine Statue stand u.a. auch genau deswegen dort.

An die Stelle von Lukács` Denkmal wird am nächsten Nationalfeiertag eine Statue des "Heiligen" István errichtet, der in Ungarn als "Staatsgründer" und "Christianisierer", also als Gründervater des christlichen ungarischen Nation verehrt wird. Die "Stephanskrone"  - das Symbol des "Ewigen Ungarn" - wird im Parlament aufbewahrt und ist im Wappen vertreten, alljährlich am 20. August wird eine Reliquie, die seine rechte (die heilige) Hand sein soll, um die Budapester Basilika prozessiert. István hat aus Machtkalkül nach einem Pakt mit dem Papsttum, heidnische Stämme in blutigen Schlachten zwangschristianisiert, mögliche Thron-Konkurrenten töten und eigene Familienmitglieder blenden lassen. Er war ein Massenmörder auf einem Thron. Ein Diktator, ein Menschenschlächter und Fanatiker der Macht. Wie praktisch alle seine "Kollegen" der damaligen Epoche. Epochen, die man im zivilisierten Europa unter Schmerzen über die Jahrhunderte überwand und die dem Humanismus wichen. In Ungarn kehrt man in diese Epochen zurück.

Die ideologische Ausrichtung der Orbán-Partei lässt sich sehr plastisch an ihrer Gedenk- und Denkmalpolitik ablesen, seien es die
skandalösen, partiellen Holocaustleugnungen Orbáns, die zum offenen Zerwürfnis mit den jüdischen Gemeinden führten, die Installation eines "Wahrheitsinstituts" zur Geschichtsfälschung, die Verehrung eines Blut-und-Boden-Dichters der Pfeilkreuzler-Partei auf rumänischem Boden seitens des Fidesz-Parlamentspräsidenten, zahlreichen Umbenennungen von Straßen und Plätzen seit der "Wende" 2010, die Errichtung von Statuen u.a. für Papst Johannes Paul II. oder Ronald Reagen oder Bush sen., bei gleichzeitigem Tilgen von Statuen u.a. des Gründers der 1. Republik 1918, Graf Mihály Károlyi oder des Volks- oder Armensschritstellers Attila József.

Deren Denkmale am Kossuth Platz am Parlament wurden zuvor
mehrfach durch Jobbik-Politiker geschändet, in dem man ihnen wie zu Nazizeiten eine Kippa aufsetzte und ein Schild umhängte, wo man ihnen die Schuld für Trianon zuschrieb (Teil der Verschwörungstheorie, wonach von Lukács über Rákósi bis Soros sämtlichst ungarische Juden am Leid der Ungarn Schuld haben.) Die Regierung legitimierte den Abriss der Denkmäler (bzw deren Umsiedlund in die Unsichtbarkeit) mit dem Rückbau des Kossuth Platzes auf seinen Zustand 1944, der die “Verfassungskontinuität” wieder herstellen sollte. Jobbik als SA des Fidesz sozusagen.

 

Die ungarische Regierungspartei sandte regelmäßig Vertreter zu Einweihung sogenannter "Trianon-Denkmäler", revanchsistische, geschichtsklittende Statements, die seit 2010 in fast jedem Ort anzutreffen sind und von den meisten Ungarn weniger als politisch, denn als selbstverständliche Folklore wahrgenommen werden, auch wenn sie - so wie die gesamte Betrachtung von “Trianon” - eine große Lüge bleiben.

Die Installation von
Denkmälern des Hitler-Verbündeten und Diktators Horthy  begleitete man mit Sympathie, Orbán nannte diese Aktionen, die meist auf Jobbik-Initaitiven zurückgingen als "lokale Angelegenheiten", in die er sich nicht einzumischen gedenke. Die Regierungspartei selbst initiierte 2015 eine Gedenkbüste für den ehemaligen Kulturminister und "Historiker" Bálint Hóman, einem Vollstrecker der Judengesetze und Nazi-Kollaborateur. In jüngster Zeit finanziert die Regierung mit Vorliebe neue und die Renovierung alter Kriegerdenkmale des Ersten und Zweiten Weltkrieges, wobei die ungarischen Soldaten völlig unreflektiert als Opfer des Krieges im Zentrum stehen.

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Als Höhepunkt, aber auch als intellektuelle Bankrotterklärung und emblematische Selbstkarikatur der Gedenkleistungen der Orbán-Regierung kann das sogenannte
Okkupationsdenkmal im Zentrum der Stadt (Foto) gelten, das nach langen Debatten und vielen Protesten in einer Nacht-und-Nebel-Aktion errichtet worden war und als schlechter Treppenwitz der neuesten ungarischen Geschichte den "Freiheitsplatz" ziert - zwischen Sowjetdenkmal, US-Botschaft und dem ausgedienten Gebäude des gleichgeschaltetem Staatsfernsehen...

red. / m.s.

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