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(c) Pester Lloyd / 16 - 2017    POLITIK      20.04.2017

Das Anti-Bürger-Gesetz: Orbáns Kampf gegen die Zivilgesellschaft in Ungarn

Am Mittwoch wurde im ungarischen Parlament das aktuelle Anti-NGO-Gesetz - zum Teil heißblütig - diskutiert. Einigen geht es nicht weit genug, die Betroffenen sehen eine inakzeptable Diskriminierung ihrer Tätigkeit, die Opposition einen Putin-artige Angriff auf die Demokratie, einen "Krieg gegen das Volk". Kritische Stimmen gibt es sogar aus Fidesz-Reihen. Was genau steht in dem Gesetz, das letzltich Bürger abschrecken, ihre Teilhabe und Selbstbestimmung verhindern soll, parteinahe Strukturen aber schützt?

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Begriffs- und Bedeutungsumkehrungen, Neusprech, das Gesetz der Selbstbezichtigung, die Behauptung der allein gültigen Wahrheit, die Ausschaltung kritischer Stimmen, die Verhinderung der Organisation selbstbestimmter Wesen, die Unterordnung der individuellen Freiheit unter ein kollektives Ziel, am Ende: die totale Gleichschaltung. All das sind totalitäre Entwicklungen wie sie George Orwell in seinem richtungsweisenden Roman "1984" (von 1949) darstellte, der u.a. in den USA wieder die Bestsellerlisten anführt. Die Collage beruht auf einem Screenshot einer 1984er Verfilmung, nur das Gesicht des Dikators wurde verändert.


Die Eckpunkte des "Transparenzgesetzes" für NGO´s in Ungarn

- Alle Organisationen und Stiftungen, die jährlich mehr als 7,2 Mio. Forint (23.000 EUR) aus "ausländischen Quellen" einnehmen, müssen sich binnen 15 Tage nach Erreichen des Limits beim Registergericht als "vom Ausland finanzierte Organsiation" eintragen lassen. Ausgenommen: politische Parteien und deren Stiftungen sowie Vereine und Organsiationen, die sich dem Sport oder Religionen verschrieben haben.

(Anm.: die Ausnahmen treffen auf Kritik sogar des von Fidesz installierten Datenschutzbauftragten, siehe unten bei den Reaktionen; die Ausnahme für Sportvereine spielt den vielen Fidesz-Fußballklubs in die Hände, die teilweise auch über Off-Shore-Konstrukte finanziert werden.)

- "Ausländische Quellen" bezieht sich auf "jedwede finanzielle oder wirtschaftliche Unterstützung, die direkt oder indirekt aus dem Ausland stammt, unabhängig vom Rechtsitel der Überweisung." Damit sind auch private Zuwendungen, also Spenden gemeint, die z.B. durch in Ungarn lebende Ausländer über ungarische Konten vorgenommen werden.

(Anm.: Hierbei könnte es sich um eine Diskriminierung von EU-Bürgern handeln, gegen die die EU vorgehen müsste.)

- Zuwendungen aus EU-Mitteln sind nur dann von der Berechnung ausgenommen, wenn diese Mittel über eine ungarische Behörde bzw. Haushaltsorganisation zugewiesen wurde.

(Anm.: Hiermit stellt man sicher, dass die EU-Gelder in die "richtigen" Kanäle fließen, die Vorgehensweise dürfte ebenfalls als diskriminierend gegen EU-Recht verstoßen, müssten sich ja Organisationen unterschiedlich deklarieren, obwohl die Mittel letztlich aus der gleichen Quelle stammen.)

- Das zuständige Gericht wird die Namen, die Vereinsadresse, Steuernummer und die Namen der Vorstandsmitglieder an den Minister übermitteln, der für die Einrichtung eines "Zivilgesellschaftlichen Informationsportals" veranwortlich ist. Dieses wird kostenlos für alle zugänglich sein und an jedem 15. des Monats aktualisiert.

(Anm.: Die Regierung wir diese Liste wie eine "Schwarze Liste" behandeln, was u.a. dazu führen wird, dass diese NGOs Probleme bei der Beschaffung und der Kooperation mit anderen Gruppen haben werden)

- "Vom Ausland finanzierte Organisationen" müssen ihre ausländischen Finanzquellen einmal jährlich offen legen, einschließlich der Höhe und der Quelle jeder Einzelzahlung, bei Nennung der Organisation, im Falle von privaten Spenden sei Name, Stadt und Land des Spenders zu publizieren.

(Anm.: Auch das ein Verstoß gegen Datenschutzrichtlinien. Entweder man legt alle Spender offen oder keine. Im Gegensatz dazu hat die Regierung gerade gesetzlich dafür gesorgt, dass Spenden, u.a. von inländischen Unternehmen an Organisationen anonymisiert werden, d.h., die Verquickung von Politik und Ökonomie, eine der Bausteine eines Mafiastaates, diskreter von Statten gehen kann. Mehr dazu hier. http://www.pesterlloyd.net/html/1641spendenanonym.html)

- Der Rechtsstatus: "Vom Ausland finanzierte Organisationen" muss von den betroffenen NGO´s auf ihrer Webseite und auf allen Publikationen sichtbar gemacht werden.

- Organisationen, die sich nicht rechtzeitig registrieren lassen, wird in einer "vereinfachten Liquidierungsprozedur" der Status als Verein oder Stiftung aberkannt, außerdem können vom Gericht für Verzögerungen Bußgelder von 10.000 bis 900.000 Forint verhängt werden (30 bis 2900 EUR). Diese Strafen können auch von der Staatsanwaltschaft verhängt werden, der ebenfalls die Auflösung der Organisation beantragt.

(Anm.: Das bedeutet nichts weiter, als dass die Organisationen, die sich weigern den "NGO-Judenstern" anzuheften, verboten werden.)

Was sagen die betroffenen Organisationen?

 

Die maßgeblichen betroffenen Organisationen, zu denen u.a. das Ungarische Helsinki Komitee, Amnesty International, Humans Rights Watch, Greenpeace aber auch die Vereinigung TASZ gehören (um nur die prominentesten zu nennen, es wären rund 150 Organisationen betroffen), sind sich in ihrer Ablehnung einig, denn das Gesetz "verletzt die Bürgerrechte wie die Versammlungsfreiheit", in dem "einige Organisationen, die bis dato als gesetzestreu galten, gegen Strafandrohung gezwungen werden, sich selbst ein negatives Etikett anzuheften".

Es würde impliziert, dass diese Organisationen anderen Interessen dienten als jenen Ungarns und der ungarischen Gesellschaft. Eine Diffamierung, die man nicht hinnehmen wird. Aus rechtlicher Sicht ortet man vor allem Verstöße gegen die Allgemeine Datenschutzrichtlinie der EU (GDPR), in dem man selektiv Spendernamen und Anschriften publizieren wolle.

Die Bestimmungen zur Deklaration öffne außerdem Tür und Tor für Gerichte und Behörden, die NGOs mit Strafen bis hin zum Verbot zu überziehen. Damit würde das Recht auf Versammlungs- bzw. Vereinigungsfreiheit verletzt, das nicht durch konstruierte Verstöße gegen bürokratische Richtlinien aufgehoben werden darf.

Der Europäische Gerichtshof hatte bereits in Präzedenzfällen die unterschiedliche Behandlung von Organisationen innerhalb der EU aufgrund ihrer Herkunft oder Finanzierung als diksriminierend abgelehnt. Diese Diskriminierung wird durch das Gesetz nochmals vertieft, in dem man einige Organisationen (Sport, Religion, Parteien) ausnimmt, ohne dafür eine tragbare Begründung zu liefern.

Der Standpunkt der Regierung...

...ist
hinlänglich bekannt. Fidesz-Vizefraktionschef Gulyás, neben Kósa und Németh, einer der Einbringer des Gesetzes, betonte gestern nochmals, dass "die letzten zwei Jahre bewiesen" hätten, dass "von Soros gegründete und finanzierte Organisationen die schärfsten Angriffe jemals gegen Ungarn" führen würden, in dem sie "versuchen unseren Grenzschutz zu zerstören und den Weg für Einwanderer nach Ungarn frei machen" wollten. Mit dem "Transparenzgesetz" könne nun jeder sehen, welche Kräfte gegen Ungarn arbeiten und wer ihre Quellen und Unterstützer seien. Das Gesetz sei somit eine unabdingbare Maßnahme im Interesse der nationalen Sicherheit.

Gulyás meinte, eine "Stigmatisierung der Organisationen liege nicht vor, wir erhöhen nur die Transparenz." Vor den versammelten Parlamentariern sprach er von einer "geschürten Hysterie" der Kritiker, auch der Vorwurf, man würde "Russlands Regeln" folgen, stimme nicht, denn man verbiete ja ausländische Finanzierung nicht. "Niemand hat die Absicht, dem russischen Weg zu folgen...".

Orbáns Besessenheit von Soros

Datenschutzbehörde fordert Ausweitung auf Parteien und Lobbyisten

Doch selbst die von Fidesz-Leuten besetzte Datenschutzbehörde meldet ihr Zweifel an, was ein weiterer Hinweis ist, dass die Orbánsche Einheitsfront an der Lex CEU und am NGO-Gesetz immer mehr Risse bekommt. Das Amt NAIH, das für Datenschutz und die (
immer mehr eingeschränkte) Informationsfreiheit zuständig ist, lobte pflichtgemäß zunächst den Gesetzentwurf als "nützlichen Schritt, um ungewollten ausländischen Einfluss zu verhindern", forderte aber auch eine "Ausweitung". Behördenchef Attila Péterfalvi schrieb in einem Brief an Gulyás, dass Parteien und Organisationen ebenfalls durchleuchtet gehörten, die durch "geschäftliche Lobbyisten" beeinflusst würden - und zwar aus Ungarn und aus dem Ausland.

Jobbik selektiert

Jobbik findet das Gesetz gut, ergänzt aber, dass auch inländische Organisationen als ungewählte Gruppen durch inländische Spender Einfluss auf die Politik nehmen könnten, daher müsste das Gesetz mit seinem Transparenzanspruch ausgeweitet werden. Dabei verrante man sich allerdings völlig. Einer alten Forderung der Jobbik folgend, forderten die Neonazis im Parlament wiederum die Publikation von Trägern "doppelter Staatsbürgerschaften", außerdem sollte man einige Unterschiede machen: Organisationen, die nationalen Minderheiten dienten, sollte man in Ruhe lassen und es sei ein Unterschied zu machen, zwischen Organisationen, die sich um EU-Bürger kümmerten und solche, die sich ausschließlich mit "fremden Kulturen" befassten.

LMP: Die ausländischen Agenten sitzen in der Regierung

Die grüne Partei mit nationalliberaler Tendenz LMP drehte den Spieß um und bezichtigte in der Plenardebatte die Fidesz-Regierung und ihre Abgeordneten "ausländische Agenten" zu sein. "Die Gefahr für die Souveränität Ungarn geht nicht von NGOs aus, sondern von Abgeordneten, die in diesem Parlament sitzen. Premier Orbán wird tun, was ihm der russische Präsident Putin aufgibt", so Bernadett Szél, Co-Vorsitzende der Partei. Es seien "Poltiker, die aus dem Ausland finanziert werden, die durchleuchtet werden müssen." sagte sie in Anspielung an den 10 Mrd. EUR-Kredit aus Russland. LMP-Abgeordnete übergaben ihren Fidesz-Kollegen daraufhin Schilder mit der Aufschrift "Ich bin aus dem Ausland finanziert." was einen strengen Ordnungsruf des Parlamentssprechers nach sich zog.

MSZP, DK, Együtt und MLP lehnen das Gesetz in Gänze als undemokratisch und verfassungswidrig ab und weigern sich auch, mit der Regierung überhaupt darüber zu diskutieren. Die MSZP spricht davon, dass die Regierung "gegen ihre eigenen Bürger in den Krieg" zieht.

CÖF macht sich "transparent" und lächerlich

Die als "Schild und Schwert" der Partei verrufene "N"GO CÖF (Bürgereinheitsforum), unter Leitung einschlägiger, regierungstreuer Propagandisten, darunter Chefredakteure von Hofblättern, aber auch der Präsident jener Behörde, die Haushaltsmittel für andere NGOs verteilen lässt, sorgte in der Debatte für verbitterte Erheiterung. Man ließ im Parlament erklären, dass man sehr für Transparenz sei und selbst jeden Forint belegen könne. So hätte man von der Fidesz-Parteistiftung "in den vergangenen Jahren 40 Millionen Forint" Förderungen erhalten, sagte CÖF-Vorstand und Abgeordneter László Csizmadia.

Schallendes Gelächter war die Folge dieser Mitteilung, denn eine einzige der vielen Plakataktionen der Organisation verschlang schon mehr als 300 Millionen Forint. Csizmadia behauptete, der "Rest" kam von "privaten Kleinspendern" und die NGOs seien eben nur neidisch ob der breiten Unterstützung, die seiner Bewegung durch "ungarische Menschen" entgegenkomme. Warum er die Spendernamen nicht offen lege? Weil kein einziger Ausländer unter den Spenden sei...

Und als Bonus ließ man ausrichten, dass das Vergabeamt für NGO-Gelder aus ungarischen Mitteln, unter Vorsitz des Chefs der Fidesz-Kampfgruppe CÖF, "Vom Ausland finanzierte Organisationen" von der Vergabe ungarischer Haushaltsmittel auszuschließen gedenke, da diese ja einen für rein inländisch finanzierte Organisationen uneinholbaren Vorteil hätten.

Einschätzung: Ein Gesetz gegen den freien Bürger

 

Das Gesetz hat eine eindeutig politisch-ideologische Ausrichtung und dient in erster Linie der Diffamierung all jener Organisationen, die sich dem Schutz demokratischer und allgemeiner Grund- und Menschenrechte verschrieben haben und überall dort tätig und sichtbar werden, wo die Regierung bzw. der Staat entweder versagt oder gegen diese Grundwerte vorgeht. Es fördert also ein Feindbild. Sowohl das der "Soros-Organisationen" (subtiler Antisemitismus) als auch das, wonach alles, was nicht Ungarisch ist, schlecht für das Land sei, die EU eingeschlossen.

Das Gesetz ist in seiner Ausrichtung (Veröffentlichung von Spendernamen) auch gegen den sich organisierenden, bewußten Bürger gerichtet, es ist also ein Anti-Bürger-Gesetz. Der Orbán-Staat maßt sich an, selbst zu wissen, was "der Volkswille" ist, ihn zu interpretieren und in Aktionen umzumünzen. Den Bürger braucht es dazu nicht mehr, schon gar nicht den kritischen. Es unterdrückt also die Freiheit und schwächt gleichzeitig jene, die sie schützen, materiell, politisch und liefert sie administrativer Willkür aus.

Nicht zuletzt dient das Gesetz dazu, die Verquickung der Regierungsparteien mit der Günstlings-Wirtschaft sowie die Verbindungen zwischen Parteien, Wirtschaft und regierungsnahen Organisationen zu verschleiern, in dem man diese Organisationen aus der Transparenzpflicht ausnimmt, so sei die "finanzielle Einflussnahme" aus dem Inland weniger schändlich und schädlich als die Kofinanzierung teilweise seit Jahrzehnten in Ungarn tätiger Organisationen aus dem Ausland.

Das Gesetz, das alle Tonarten der Klaviatur der Autokraten: Angst schüren, Parallel-Wahrheiten schaffen, Lügen verbreiten, Opferrolle einehmen, Nationalismus etc. spielt, ist ein weiterer, großer Schritt weg vom europäisch-demokratischen Konsens und ein Angriff gegen die bürgerlichen Grundfreiheiten, die als Voraussetzung des friedlichen Zusammenlebens in der europäischen Zivilisation dienen.

red. / m.s.


Wir wollen für Sie schneller und mobiler werden: Der Pester Lloyd sucht Unterstützung für ein neues Redaktionssystem

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