Hauptmenü

 

Unabhängiger Journalismus braucht die Hilfe seiner Leserinnen und Leser! - Was wir beim PESTER LLOYD vorhaben und wie Sie uns helfen können...

 

PESTERLLOYD BANNER590X60PX-AUB8

 

(c) Pester Lloyd / 35 - 2017      POLITIK      28.08.2017

Beleidigt: Ungarn im diplomatischen Krieg mit den Niederlanden

Äußerungen des scheidenden niederländischen Botschafters in Ungarn, Gajus Scheltema, haben den ungarischen Außenminister dazu bewegt, die "diplomatischen Beziehungen auf Botschafterebene auf unbestimmte Zeit auszusetzen" und den ungarischen Botschafter aus Den Haag abzuziehen. Das sei "eine der strengsten Maßnahmen in der Diplomatie", ergänzte Minister Péter Szijjárto den Schritt vom Freitag. Und: "Wir behalten uns weitere Maßnahmen vor."

1735scheltema (Andere)


Scheltema hatte in einem Interview mit der Wochenzeitung 168 óra, zum Ende seiner Amtszeit in Budapest, gründliche und für einen Diplomaten äußerst offene Kritik an der Orbán-Regierung geübt. Doch es waren weder seine Anmerkungen zur institutionalisierten Korruption, den Gleichschaltungsbestrebungen in der Medienlandschaft, den Angriffen auf die NGOs, noch die Warnungen vor Demokratie- und Rechtsstaatsabbau, die jene heftige Gegenreation provozierten, sondern eine Bemerkung über den Propaganda-Stil der Orbán-Truppe: "Der islamische Extremismus wendet die gleichen Prinzipien bei der Schaffung von Feinden an wie die Orbán-Regierung." Szijjártó verstand oder wollte darin einen direkten Vergleich Ungarns mit dem Islamischen Staat verstehen. Als Scheltema auch noch von "marxistischem Geist" sprach, der in der Regierungsebene herrsche, brachen alle Dämme, zumal Scheltema Orbáns größten Albtraum befeuerte, in dem er warnte, dass "Wir korrupte Systeme nicht weiter finanzieren können, wir sollten korrupte Systeme nicht (durch EU-Gelder, Anm.) am Leben erhalten."

Budapest erwartet sich nun umgehend eine "Erklärung des holländischen Außenministeriums", einige "Worte hinter verschlossenen Türen werden diesmal nicht reichen", redete sich der Minister in Rage. Er hoffe nun, dass Scheltema "das Land bald verlasse", er sei "auf keiner Ebene mehr willkommen". "Niemandem werden wir erlauben solche empörende Bemerkungen über Ungarn und die ungarischen Menschen zu machen." Gerade angesichts der ungarischen Politik sei es absurd, "die ungarische Regierung mit Terroristen zu vergleichen und sei es auch nur aus dem Aspekt der Motivation oder der Methoden."

Scheltemas Interview war offenbar eine gezielte Provokation, ein Ventil, mit dem sich ein per Stellenbeschreibung zum Schweigen, Lächeln, Händeschütteln und Lügen gezwungener Diplomat Luft verschaffte. Viele Botschafter mussten sich wegen weit weniger von der Regierung anpatzen lassen, so wurden die Kollegen aus Skandinavien regelmäßig wegen ihrer demokratischen Warnungen vorgeladen, der rumänische Botschafter dürfte bald ein eigenes Zimmer im Außenamt bekommen und fast legendär wurden die Aktionen des US-Gesandten André Goodfriend in seinem epischen Schlagabtausch um die Einreiseverbote gegen ungarische Offizielle. Armenien brach die diplomatischen Beziehungen zu Ungarn gänzlich ab.

Den Botschaftern der deutschsprachigen Länder sind solche Dinge noch nicht passiert, sie halten sich an das diplomatische Credo, möglichst geräusch- und wirkungslos übers Parkett zu schweben, auch wenn ihre Aufgabe der Vertretung der Interessen ihrer Länder eigentlich heftigste Interventionen in die ungarischen Angriffe auf Europa und seine Demokratie herausfordern. Aber die Feigheit des diplmoatischen Korps ist, historisch gesehen, nun einmal seine wichtigste Existenzgarantie. Denn eigentlich braucht diese Leute kein Mensch. Ein mit ein paar Fachecperten besetztes Kontaktbüro würde in EU-Zeiten völlig genügen.

 

Die ungarische Opposition schwankt zwischen Entsetzen und Spott. Die junge Bewegung Momentum erklärte, die Beziehungen zu den Niederlanden durch die Entsendung eigener Leute aufrecht erhalten zu wollen. MoMa-Chef und Ex-Finanzminister Bokros sieht in Szijjártó einen "durchgeknallten Schlafwandler", wenn man die "diplomatischen Beziehungen zu einem der freiesten, reichsten europäischen Länder" abbreche. Verlierer werde Ungarn sein, immerhin wisse nun "jeder, was für eine Versammlung von unzivilisierten Idioten, die ständig lügen und stehlen, Ungarn regiert." PM kommentierte, dass der Botschafter nicht Ungarn, sondern dessen Regierung kritiserte. Együtt mahnte, dass die Niederläner zu den größten Arbeitgebern und Investoren in Ungarn zählen und für die Zukunft daher wichtig sind.

Andere Kommentatoren bemerkten, dass es typisch für die Orbán-Regierung sei, die demokratischen Partner vor den Kopf zu stoßen, aber Putin die Ehrendoktorwürde anzutragen. Es sei offenkundig, so ein Vertreter der DK, dass Ungarn "zwischen Orbán und Europa wählen" müsse.

Aus den Niederlanden, die natürlich nun vor der Rache Ungarns erzittern, kam ein halbherziges Dementi, Außenminister Bert Koenders sprach von einem "zumindest peinlichen" Zwischenfall. Für ihn stehe fest, dass es "keine Verbindung zwischen dem Terrorismus und dem Handeln der ungarischen Regierung" gebe, sagte Koenders der niederländischen Nachrichtenagentur ANP. Er könne sich nicht vorstellen, "dass es das war, was der Botschafter sagen wollte". An der Basis der Aussagen seines Botschafters in Budapest machte er indes keinerlei Abstriche.

red.


Sie möchten die Arbeit des Pester Lloyd unterstützen?
Mit einer Spende oder einem Soli-Abo garantieren Sie die Unabhängigkeit unserer Zeitung
Infos




 



 

Effizient werben im
Pester Lloyd!
Mehr.

 

 

 

 

Das Pester Lloyd Archiv ab 1854