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(c) Pester Lloyd / 38 - 2017      WIRTSCHAFT      18.09.2017

Der Widerspenstigen Zählung: EU-Parlamentarier wollen Orbáns Günstlingswirtschaft kontrollieren

Ein netter Versuch, mehr nicht. Das wird der Besuch der EU-Parlamentsdelegation sein, deren Besuchsprogramm schon im Vorfeld so bereinigt wurde, dass man Orbán zwar als Gauner hinstellen kann, die großen Brocken, die eine systemische Kleptokratie belgen würden, aber gar nicht erst angerührt werden. Dass auch ein Projekt betrachtet wird, bei dem die Opposition Mist gebaut hat, dafür hat das "Paritätische Wohlfahrtskomitee" unter EVP-Aufsicht schon im Vorfeld gesorgt. Budapest gibt sich dennoch entrüstet.

orbanbimmelbahnDiese Art der Kontrollen seien "ein politischer, feindlicher Akt der Brüsseler Eliten", eine Art "Rache" für die Widerspenstigkeit beim Thema Flüchtlinge, somit "Doepplstandard" und nicht akzeptabel. Dieses Urteil fällte Orbáns Kanzleramtschef Lázár in der Vorwoche über die Ankündigung, dass das Komitee für Budgetkontrolle des Europäischen Parlamentes, CONT, vom 18. bis 20. September eine "fact-finding"-Reise nach Ungarn unternimmt, um einmal zu schauen wofür und mit welcher Sorgfalt EU-Projekte umgesetzt und abgerechnet wurden. Diese Kontrollen stehen dem EU-Parlament zu, sie sind Teil seines von den EU-Verträgen gedeckten Kontrollrechts. Hier sei zu erwähnen, dass Ungarn diese Verträge in einer Volksabstimmung angenommen und ratifiziert hat, ihnen also verpflichtet ist.

 

Stünde da nicht "Felcsút" auf der Liste des Besuchsprogramms. Jener Heimatort Orbáns, sozusagen der Vatikan Ungarns, der, ebenso wie sein prominentester Bewohner für die ungarische Justiz und Exekutive als unantastbar gelten. Sowohl die Pancho-Arena, das
3.800-Plätze-Stadion des 1.800-Seelendorfes, das der von Orbán gegründeten Fußballstiftung gehört, präsidiert von Orbáns Ex-Klempner, der heutigen Nr. 9 auf der Liste der reichsten Ungarn,
Mészáros, gleichzeitig Bürgermeister und Strohmann Orbáns  - als auch die niedliche Bimmelbahn, die sich Orbán mit EU-Millionen hat bauen lassen und die jetzt erweitert wird, obwohl sie kaum einer benutzt, stehen auf der Liste der zu kontrollierenden Objekte.

Das sei "Einmischung in die inneren Angelegenheiten Ungarns", wehrt das Politbüro in Budapest ab, zumal die Visite "just vor den Wahlen" (Frühjahr 2018) stattfinde, offenbar "ein bewußt gewähltes Timing". Damit hat Fidesz indes offenbart, dass es Unregelmäßigkeiten gibt, denn würde die Kommission alles rechtens finden, wäre das ja eher eine Hilfe im Wahlkampf, denn ein Problem.

Was besonders abstrus ist. Die "Faktenfindungskommission" wird von der CDU-Europaabgeordneten Inge Gräßle geleitet, also einer politischen Verbündeten. Immerhin hält die EVP Orbán immer noch und immer, immer wieder die Stange. Doch selbst der Merkel-Partei lässt man vorauseilende Anordnungen angedeihen. Sowohl Kabinettschef Lázár als auch der EP-Fidesz-Mann Deutsch beackerten Gräßle mit einem Brief bzw. persönlich auf dem Kommissionstreffen vorigen Montag und drängten sie dazu, ihr Besuchsprogramm orbánfreundlicher zu gestalten.

Hinzu kommt, dass sich Generalstaatsanwalt Polt, mehrere Staatsskeretäre und Ausschussangehörige des Parlamentes bis heute nicht bereit erklärten, mit der Kommission zusammenzuarbeiten, sie beantworten nicht einmal deren Mails auf Terminabstimmung, berichtet der linke EP-Ungar Bendedek Jávor aus dem Brüsseler Nähkästchen. Daher sei nicht einmal klar, ob die Kommission überhaupt Offizielle treffen werde oder auf sich allein gestellt durch die Puszta irren muss.

Für eine Regierung, die angeblich "nichts zu verbergen hat", ein eigentümliches Verhalten. Bisher ist bekannt, dass die EU-Abgeordneten folgende Projekte aufsuchen wollen, die mit EU-Geldern kofinanziert wurden:
- Europäisches Institut für Technologie (EIT)
- Metrolinie 4 (überwiegend ein
MSZP/SZDSZ-Erbe)
- Franz Liszt Musikakademie
- Kleinbahn in Felcsút
- Bodri Weingut in Szekszárd
- Tourismuszentrum Baja (Ungarndeutsche)
- Pesti Vigádo ("Herz von Budapest"-Projekt)

Termine gibt es bereits mit Vertretern von K-Monitor, Transparency International, Corruption Research Center, Vertretern von Industrie- und Handelskammern, kommunalen Repräsentanten, dem EU-Komitee des Parlamentes. Geplant, aber nicht bestätigt: Treffen mit den Chefs des Rechnungshofes, Staatssekretären der an den Projekten beteiligten Ministerin und natürlich der Justiz, insbesondere der Anti-Betrugseinheit sowie dem Generalstaatsanwalt.

 

Die ungarische Oppositionspresse hat den Gästen aus der EU noch ein paar Vorschläge gemacht, wo sie gerantiert fündig werden könnten, wenn es um den Missbrauch von EU-Geldern geht:
- Csaba Wurstfabrik (5 Mio. EUR an einen Günstling versenkt)
- Szamos Farm (eröffnet und wieder geschlossen)
- der Tisza-Aussichtssturm für Radfaher, der wegen Unfallgefahr geschlossen ist
- die Sommerbobbahn in Berettyóújfalu (2 Mio. EUR für 1.500 Besucher pro Jahr, Eröffnung um 5 Jahre verspätet)
- die nicht funktionierenden und leeren "interaktiven Ausstellungen" des Nationalen Filmgeschichtsparks in Ózd (5,5 Mio. EUR)
usw.

Letztlich alles "Peanuts", denn die großen Raubzüge werden durch die Kommission durch anschließende Strafpauschalen ohnehin mit einem Ablasszettel legalisiert http://www.pesterlloyd.net/html/1448eugelder.html, hier geht es um Milliarden an Euro, die kein EU-Parlamentarier je wieder zurückholen wird, auch wenn er so guten Willens und so unparteisch gegenüber der Schwesterpartei sein wird wie Frau Gräßle. Die Persilscheinaussteller waren übrigens vor allem die Kommissare Oettinger (CDU) und Hahn (ÖVP), blieb also ohnehin alles in der (Parteien)familie.

red.


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