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(c) Pester Lloyd / 38- 2018    POLITIK       21.09.2018


Heute Ungarn, morgen Europa: Das Undenkbare rückt näher

Für Viktor Orbán kommt das Artikel-7-Verfahren als tosender Auftakt in den Europa-Wahlkampf wie gerufen. Er deklariert Ungarn zum Opfer und sich zum Volkstribun, um sich an die Spitze einer antieuropäischen, rechtspopulistischen Allianz zu stellen. Italien, Österreich, Polen, Bulgarien, Slowakei, und, nicht zu vergessen, Bayern, haben ihren Mann fürs Grobe, die EVP wird ihn in ihrer Schwäche nicht aufhalten. Das Projekt Europa gerät als Ganzes in Gefahr.

Orbáns Schlussworte bei seinem denkwürdigen Auftritt vor den gewählten Vertretern des EU-Parlamentes vorige Woche, wonach Ungarn dafür sorgen werde, dass die Demokratie "notfalls auch gegen Ihren Willen nach Europa zurückkehre", war weniger Ausdruck realitätsferner Megalomie als der Auftakt zum EU-Wahlkampf. Die in der Frage Orbán tief gespaltene EVP-Fraktion wird keine Debatten oder Maßnahmen mehr zulassen und bis Mai 2019 ist das
Artikel-7-Verfahren daher nichts weiter als eine von Budapest dankbar aufgenommene Wahlkampfunterstützung.

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Orbán trabt an der Felsenreitschule in Salzburg auf. Höflich ignoriert
von Frankreichs Präsident Macron. Foto: MTI

Orbán als Führer

Zwar ist Orbán im Kreise der EU-Regierungschefs weitgehend isoliert, wie die Bilder von Gipfel in Salzburg zeigen, doch Orbán gefällt sich in der Rolle des Outlaw gegen das Establishment, Europas Mini-Trump. Sein feuchter Traum: Seine Außenwirkung mobilisiert viele zusätzliche Stimmen für die AfD, den Front National und wie die ganzen anderen rechten bis neofaschistischen Bewegungen heißen. Nach der EU-Wahl lässt er sich aus der EVP schmeißen und führt eine neue, starke Fraktion der "Europaretter" an. Den Auftrag seiner Finanziers und Führungsoffiziere in Ankara, Moskau, Baku usw., die Spaltung Europas voranzutreiben erfüllt er vorbildlich.

Mißdeutung des Artikel-7-Verfahrens

 

Orbán ließ seinen Außenminister ankündigen, dass man gegen den Artikel-7-Beschluss juristisch vorgehen wird, sowohl formal als auch inhaltlich, wozu man zwei Monate Zeit habe. Gleichzeitig versicherte man sich der Achse Warschau-Budapest, die sich durch ihr jeweiliges Veto im Rat der Regierungschefs schützen wollen. Die 2/3-Mehrheit in Straßburg sei erschwindelt, so Orbán, denn man hätte - nach "den Gepflogenheiten" - die Enthaltungen als Gegenstimmen zählen müssen. Außerdem seien viele der im Sargentini-Rapport dargelegten Kritikpunkte entweder "erlogen" oder "längst korrigiert".

Dabei verkennt Orbán, dass die im Bericht zur Begründung des Artikel-7-Verfahrens aufgeführten Punkte keine Einzelvertragsverletzungsverfahren darstellen und zusammenfassen, sondern nachweisen sollen - und dies auch eindrucksvoll tun -, dass Ungarn eine Gefahr für die EU-Gemeinschaft darstellt. Gegen Artikel 2 können Mitglieder nämlich auch verstoßen, wenn sie im Feld nationaler Kompetenzen handeln, wenn sie gegen die Grundwerte - also gegen den eigentlichen Vertragsgegenstand handeln, der eine Gemeinschaft von Staaten auf Basis humanistischer Grundwerte vorsieht. Ungarn bekämpft diese Werte permanent, konzertiert und mutwillig.
Zusammenfassung der Sargentini-Berichtes auf Englisch

Für Orbán sieht die Welt freilich anders aus: Hier die "Pro-Einwanderungsmehrheit in der EU gegen den Willen der Mehrheit der EU-Bürger", dort: "die Nationen, die sich ihre kulturelle Identität bewahren wollen". Ungarn lehnt daher alles ab, was eine gemeinsame Asyl- und Grenzschutzpolitik bedeuten könnte, denn dann müsste man solidarisch handeln und auf den Mythos von Ungarn als Bollwerk gegen den islamistischen Ansturm verzichten.

Nahrung für die Lemminge

"Wir brauchen Frontex nicht in Ungarn, wir können unsere Grenze selbst schützen", erklärte Orbán in Salzburg. Frontex habe "nie auch nur einen Meter Grenze geschützt, wir hingegen hunderte Kilometer". Europa erinnert sich daran freilich seit 2015, als das Land Hunderttausende Flüchtlinge nach Westeuropa schleuste, nur einige Zehntausend am Ostbahnhof in politische Geiselhaft nahm, um Europas Unfähgkeit zu demonstrieren und anschließend ein Grenz- und Asylregime aufzuziehen, dass jeder Diktatur zur Ehre gereicht: Flüchtlinge werden seitdem wie Untermenschen behandelt, teilweise mit Nahrungsentzung gebrochen, ihrer juristischen Grundrechte beraubt, ein Eiserner Vorhang gebaut - dabei hätte ein normaler Premier einfach nur dem Verteilungsschlüssel zustimmen müssen, was für Ungarn die Betreuung von nicht mehr als 1.200 Asylbewerbern bedeutet hätte, egal wie viel noch kommen.

Ungarns Zaun hält nur so lange, so lange die EU-Erdogan-Vereinbarung hält. Orbáns Eiserner Vorhang ist nur ein martialisches Statment, für physischen Grenzschutz ungeeignet, weil umgehbar. Doch innenpolitisch und für die plumpe Geisteswelt der AfD-Lemminge hält er. Darauf kommt es Orbán an. Er zeichnet die Illusion, dass es ein funktionierendes Europa ohne die EU geben könnte und dass er, der verhaltensauffällige Despot aus der Puszta, global eine Rolle spielen könnte. Das gefällt Kleingeistern natürlich.

Orbáns Sprachrohre vom Außenminister bis zum Fraktionschef verkündeten, dass sie weder das "Anti-Soros-Gesetz", also den Anschlag auf die NGO´s, die
Strafandrohungen gegen jeden, der Flüchtlingen auf irgendeine Weise hilft, korrigieren werden, noch sich an die Mindestregeln für den Umgang mit Schutzsuchenden, ob nun Kriegs- oder Wirtschaftsflüchtlingen, halten wollen. Beschlossen ist auch die Einführung eines neuen Verwaltungsgerichtshofes ab 2020, der für alle Klagen gegen Behörden oder Amtsträger zuständig und so, entsprechend besetzt, Orbáns kleptokratische Autokratie juristisch decken wird.

Das Undenkbare rückt näher

All das soll durch Artikel 7 korrigiert, notfalls erzwungen werden. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Instrumente der Europäischen Institutionen nicht für eine Verteidigung gegen Frontalangriffe auf ihre Basis geeignet sind. Nach den kommenden Wahlen könnte es keine Mehrheit mehr geben, diese Instrumente zu stärken, ja, es könnte sogar an Demokraten fehlen, die sie bedienen. So wie es in Ungarn schon lange der Fall ist.

Dabei spielt Orbán in die Hände, dass auf der anderen Seite keine Tendenzen erkennbar sind, bei der sich die europäisch gesinnten Demokraten auf einen Minimalkonsens einigen, um Europa en bloc gegen seine potentiellen Zerstörer zu verteidigen. Ob Sozis, Liberale, Grüne, gemäßigte Konservative, Linke, alle haben ihre "Wahrheit" und ihre Programme, - was in einer normalen Situation auch wünschenswert ist. Geht es aber um die Verteidigung des Europäischen Projektes in seiner Substanz, ist Einheit gefragt. Die fängt bei der Grenz- und Flüchtlingspolitik an und hört beim Brexit noch lange nicht auf. Über die Details kann man im Anschluss streiten.

Offenbar wird in den Pro-Europa-Fraktionen das Undenkbare, das immer wahrscheinlicher wird, noch immer verdrängt, nämlich, dass die Existenz der EU als Ganzes längst auf dem Spiel steht.

red.


 



 

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