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Aus dem Pester Lloyd von 1858 / 1863

Adolf Dux

Das Nationaltheater (November 1858)

In einem dreiteiligen Aufsatz zieht der Autor A. D. (Adolf Dux) Bilanz über zwanzig Jahre Ungarisches Nationaltheater unter den Gesichtspunkten der Qualität und Vielfalt der gespielten Werke, dem Niveau der Darstellung und über die Gunst des Publikums. Am Ende wirbt der Autor eindringlich für die Schaffung einer Theaterschule zur Erhöhung des Niveaus und der Bildung der Schauspieler. Im folgenden einige besonders pointierte Ausschnitte aus dem Werk. Dux übrigens tat sich dereinst mit dem späteren Architekten der Ungarischen Staatsoper, Miklós Ybl zusammen, um ein Deutsches Theater (das alte lag in Trümmern) zu gründen. Wir fügen den Kurzrezensionen von 1858 und 1863 (die tiefe Einblicke in die Suche nach einer ungarischen Nationaloper geben) die Besprechung der Uraufführung des “Széklermädchen” an, in dem sich der Autor mächtig über Nationalkitsch auslässt.... m.s.

(…) Wer die Geschichte dieses Institutes kennt, welches die Nation im mächtig auflodernden Drang, sich die Blüthen menschlicher Bildung eigen zu machen, geschaffen hat – der weiß, daß die Gründer in jenen Momenten edler Begeisterung keinen anderen Zweck vor Augen hatten, als: der Nationalsprache eine Stätte zu gründen, wo sie allen Schattierungen menschlicher Empfindungs- und Denkweise Ausdruck verleihen, zur Sprache der idealsten Erscheinungen des Menschengeschlechtes und der Nation entwickelt werden…

(…) Was die Dichtungen betrifft, so drängt sich selbst dem oberflächlichen Beobachter die Bemerkung auf, daß die ungarische dramatische Muse weit produktiver ist, als die anderer Nationen. Trotzdem beinahe die Hälfte sämmtlicher Theaterabende von Oper- und Ballettvorstellungen okkupirt ist, kommen hier das Jahr hindurch dennoch zwanzig oder mehr dramatische Novitäten zur Aufführung, eine Zahl, die selbst an solchen Theatern nicht erreicht wird, wo der ganze Zeitrraum eines Theaterjahres ausschließlich der dramatischen Muse zur Verfügung steht, und wo weit mehr Dichter als in Pest für die Bühne arbeiten. Indeß sind Kaninchen auch fruchtbarer als Löwinnen! Der ungarischen Muse muß daher bedeutet werden, daß sie ihre Tätigkeit einschränke, dafür aber auch konzentrire, und mit dieser delikaten Mission an die Unsterbliche muß vor allem das Dramenbeurtheilungskomité betraut werden.

(…) Eine andere Anforderung, die an das Nationaltheater gestellt werden kann, ist, daß daselbst der erste Theil von Göthe‘s „Faust“ zur Aufführung gelange. Faust ist eine Dichtung für die ganze Menschheit, es werden darin Gefühle und Gedanken ausgesprochen, di ein jedem Herzen den lebhaftesten Widerhall finden, und wie sehr auch diese Dichtung vom Wesen anderer Dramen abweicht, so ist sie doch auf der Bühne von größter Wirkung. Hierzu komme dann noch eine Revision der Übersetzungen von Schiller‘s und anderen gediegenen Dramen, und das Repertoir ist derart gehoben, daß unfehlbar auch die Teilnahme des Publikums größer werden muß denn bisher.

(…) Was die Darstellung an unserer Nationalbühne betrifft, so lag ein Hauptgebrechen bisher darin, daß zuviel Novitäten aufgeführt, und von allen zu wenig Proben gehalten wurden. (…) Doch nicht allein die zu große Menge Novitäten und die zu wenigen Proben sind an der Mittelmäßigkeit der Darstellung schuld; es gibt noch eine erkleckliche Anzahl von Gründen hierzu. So z. B. sind die Mitglieder des Nationaltheaters einen großen Theil des Jahres hindurch selten vollzählig beisammen. Bald hat der eine bald der andere einen mehrwöchentlichen Urlaub, und daher kommt es, daß gewisse Dramen in gewissen Zeiten des Jahres entweder nicht aufgeführt werden können, oder lückenhaft besetzt sind.

(…) Denn gestehen wir es nur, die geringe Gage, welche die dramatischen Künstler im Vergleich mit den Sängern erhalten, erzeugt in ihnen Unmuth, und dieser lähmt die Flügel der Künstlerseele. Besonders bei den Damen muß das der Fall sein, die von ihren 1600 fl leben und eine glänzende Toilette besorgen sollen, die um so kostspieliger ist, da sie sich auch die antiken, mittelalterlichen und Roccocokostüme aus eigenen Mitteln anschaffen müssen. Und daher kommt es, daß in Kostümstücken an einem Abende nicht selten die verschiedensten Zeitalter und Moden zugleich repräsentirt werden…

(…) Um nur einen Umstand zu erwähnen, der den Mangel an dramaturigischer Leitung auf‘s Schlagendste beweist, erinnern wir an die babylonische Aussprache der Fremdwörter in englischen und französischen Stücken. Es ist schlimm genug, daß nicht alle Mitglieder eines Bildungsinstitutes, wie das Nationaltheater es sein soll, von den Sprachen der gebildetetn Welt so viel wissen, um die fremden Namen richtig aussprechen zu können; und da einige Mitglieder allerdings reicher an Bildung sind, und sich keine fehlerhafte Sprache zu Schulden kommen lassen, so werden die Fehler bei den Anderen noch auffälliger.

(…) Wir sahen in einem Drama von vorchristlichem Stoff eine Mauer mit Schießscharten, wie sie natürlich erst nach der Erfindung der Feuergewehre entstanden; wir fandne zum Teil modern kostümierte Damen in Rokoko- oder gar antiken Stücken; auf dem alten römischen Forum sahen wir Bürger in nichts weniger als römischen Kostümen – kurz bei vielen Gelegenheiten zeigte sich entweder ein unverantwortliches Verfahren der Regie, oder eine Kinckerei der Intendanz, oder endlich eine Armuth, die bei einem subventionierten und gut besuchten Theater nicht leicht vorausgesetzt werden kann. Es müssen daher dem Nationaltheater die Mittel zu einer, wenn nicht glänzenden, so doch anständigen Ausstattung geboten werden; und zum richtigen Gebrauch derselben ist allerdings auch ein dramaturgischer Leiter nothwendig.

(…) Zu den Volksszenen, wie sie namentlich in Shakespearschen Stücken unumgänglich sind, wird vacierendes Gesindel, wenn wir wohl unterrichtet sind, zu acht Kreuzer per Kopf, von der Gasse und aus Kneipen zusammengelesen, und in die vorhandenen Kostüme gesteckt, ob diese nun passen oder nicht. (…) Die Kosten würden jährlich nur um einige hundert Gulden mehr betragen, wenn man bedenkt, daß der vacierende Demos doch auch nicht umsonst zu haben ist, und das allenfalls Choristen sich für eine geringe Vermehrung ihrer Gage auch als Statisten verwenden ließen.
Also weniger Novitäten, mehr Proben, Aufhebung der Beneficeabende und Einführung von Ferien, größere Gage für die Mitglieder, eine bedeutendere Tantieme für die Autoren, eine tüchtige drmaturgische Leitung, bessere Ausstattung der Stücke, und Anstellung einiger zweiter Mitglieder und Statisten – und das Nationaltheater erfüllt eine Bestimmung, zu der es als subventionirtes Bildungsinstitut ebenso berufen wie verpflichtet ist.

Oktober 1863

Nationaltheater

A.D. Der Ungar hat in seiner Geschichte stets den blutig ernsten Kampf um seine Existenz vor Augen. Die Erinnerung daran ist ihm immerwährend, wie etwas heute Erlebtes, gegenwärtig – und dieser stets lebendige Eindruck, diese immer rege patriotische Sensibilität mag für alle Lebensäußerungen der Nation von was immer für Folgen sein, - die erhabene dichterische Anschauung, die in irgend einem Moment der nationalen Geschichte oder eines nationalen Helden ein Spiegelbild der gesammten Menschheit, eine Manifestation des in der Geschichte waltenden Gottesgerichtes sieht, und konkrete geschichtliche Vorgänge und Gestalten zu idealen weltbedeutenden tragischen Gebilden erhebt, - diese Anschauung kann bei dem seinen Blick selbst beschränkenden Patritotismus nicht zur Geltung kommen.

Das ist einer der vornehmsten Gründe, wegen welcher unsere nationale Literatur noch keine allgemein giltige Tragödie aufzuweisen hat. Aus dem selsben Grunde haben wir aber auch noch nicht den Schatz des aritophanischen Lustpiels gehoben, in welchem sich die Selbstironie einer Nation manifestirt, auch nicht des historischen Lustspiels, in welchem die Nation, - des demüthigen erfurchtsvollen Blickes, mit dem sie ihre Helden und Heldinen zu betrachten gewohnt ist, sich einmal entschlagend, - auch die menschlichen Schwächen und Thorheiten derselben zu sehen wagen würde. Dazu sind wir gleichfalls zu patriotisch, daran hindert uns aber, im Vorbeigehen bemerkt, auch der Mangel jener Memoiren, in welchem berühmte Größen von ihren Zeitgenossen sozusagen im Hauskleide und nicht iim Staatsrock ode rim Panzer dargestellt werden, in welchen sie in der Geschichte Staat machen.

Indeß kann man schon heute die leisen Anfange einer Aenderung in diesem steifen Respekt vor dem national-historischen Ruhm bemerken. Schon haebn die heldenmüthigen Frauen und Jungfrauen von Erlau in Tóth Kálmán’s „Dobó Katica” sich es gefallen lassen müssen, das Publikum, anstatt es in einer patritotischen Staatsaktion zum Heldenmuth anzufeuern, in einem lustigen Volksstück zu heiterem Lachen anzuregen; schon wird im Nationaltheater die Aufführung eines „historischen Lustspieles” von demselben Verfasser vorbereitet; und als einen weiteren Beleg der leise aufkommenden Unbefangenheit in ähnlichen Dingen können wir schließlich „Szécsi Mária”, „Schauspiel” in drei Aufzügen von Joseph Szigeti, betrachten, das am 16.d. zum ersten Male ausgeführt wurde.

Máaria Szécsi ist die Heldin jener reizenden Episode aus den nationalen Unabhängigkeitskämpfen des 17. Jahrhunderts, welche damit endigt, daß die genannte protestantische Heldin sich selbst und die von ihr vertheidigte Festung Murány in die Hände des kaiserlischen Feldherren, des von ihr geliebten Franz Wesselényi, übergibt. Ein Stoff, der offenbar mehr dem Lustspiel, als irgend einem anderen Fach der dramatischen Dichtung angehört; aber der Dichter ist noch zu sehr vom Respekt vor dem ernsten Klang solcher Namen, wie Mária Szécsi und Franz Wesselényi, beherrscht, und kann sich nicht dazu entschließen, sie in die frivole Atmosphäre eines Lustspiels zu bringen; da jedoch kein Anlaß zu einer Tragödie vorhanden ist, so behilft er sich mit dem im ”Schauspiel” gegebenen juste milieu. Außerdem stand noch eine Schwierigkeit im Wege. Wie handsam auch das unmittelbare Motiv der gegebenen Handlung, die gegenseitige Liebe des Helden und der Heldin, für den Dichter ist, so genügt es doch nicht zur Herstellung einer vollständigen historischen Handlung, die hier, genau genommen, von politischen Hebeln in Bewegung gesetzt werden müßte. Diese Hebel aber in Bewegung zu setzen, ist bei der häkeligen Natur des gegebenen hitorischen Stoffes nicht leicht möglich, oder gar nicht gerathen, und der Dichter half sich damit, daß er das politische Ferment seines Themas ganz und gar unterdrückte, so daß sein Drama sich leider mit einer sehr geringen Dosis von Handlung begnügen muß. Er umging die Schwierigkeiten, die der Behandlung seines Stoffes sich entgegenthürmen, aber er überwandt sie nicht, und deshalb kann bei seinem neuesten Werke von keiner Bereicherung der nationalen Literatur die Rede sein; wohl aber ist das Repertoire des Nationaltheaters dadurch um ein Stück von bühnlicher Brauchbarkeit vermehrt worden, das stellenweise sogar auch poetischen Werth hat. (…)


„Das Sujet nur macht die ungarische Oper“ – Verdi, der große Musikverbrecher

Das Székler Mädchen
Komische Oper in 3 Akten, nach einem frz. Lustspiele bearbeitet von J. Bulyovszky, Musik von T. Huber, zum ersten Male aufgeführt im Nationaltheater am 27. November 1858

-? (…) Herr Huber hat nun sein Talent versucht, er hat die ihm verliehene Leichtigkeit, sich im Salontone zu bewegen, rasch zugängliche, theilweise pikante Melodien zu erfinden, fließend fortzuschreiben, hinlänglich gezeigt, (…) er weiß ganz hübsche Instrumentaleffekte anzubringen. Aber auf der anderen Seite erkennen wir in dieser Erstlingsoper so viel Unfertiges, so wenig Klarheit über das eigentliche Wesen der Oper, wir erblicken so geringe Selbständigkeit des Komponisten, daß wir an seinem unwiderstehlichen inneren Drange zum Schaffen irre werden können. Hat er diesen in der That, so wird er sich durch eine tadelnde Kritik nicht abschrecken lassen, sondern durch fernere Versuche ein glücklicheres Ziel zu errechen suchen; ist er nicht von ihm beseelt, nun so werden ihn auch die Ausstellungen, welche nur die regste Theinahme für ihn eingegeben, nicht von dem eingeschlagenen falschen Wege zurückhalten.

Herr Huber ist als Opernkomponist jetzt auf einem falschen Wege; er glaubt ungarische Melodien und Rhytmen sind, weil sie dem Publikum gefallen müssen, die Hauptfaktoren einer ungarischen Oper und Flotow, Verdi, Donizetti aund andere Ohrenkitzler seien die allein nachahmungswerthen Vorbilder, weil sie dem sogenannten großen Publikum gefallen. Wir haben schon früher einmal nachgewiesen, daß di esogenannte ungarische Musik ein zu kleiner Rahmen ist, als daß ein breitangelegetes großes Kunstwerk gänzlich in ihn hineingezwängt werden könnte. Das Sujet nur macht die ungarische Oper, die Musik kann durch die Anwendung der ungarischen Rhytmen und Melodien eine nationale Färbung erhalten; die großen Ensembles, die große Arie, wenn wir diese heute noch gestatten wollen, die breiten Finale‘s müssen die engen Grenzen der ungarischen Musik zersprengen, welche für das Lied, den liedartigen Chor, den Marsch, den Tanz so haufig von unwiderstehlicher Wirkung sind. Unwillkürlich verläßt auch unser Komponist die ungarische Weise, sobald Text und Situation in zu einer erweiterten muskalischen Form nöthigen, hier aber bringt ihn der eingeschlagene falsche Weg wieder zu allerlei musikalischen Ungehörigkeiten. Ein ganz hübsches ungarisches Motiv geht in eine triviale zum Überdruß gehörte Phrase aus, ein echter italienischer Zopfschluß läßt einen oft spannenden Anfang in den langweiligen Staub zerinnen, und gleich nach originellen ungarischen Intervallen, schielt Auber verstohlen mit seinen bekannten Quartenfortschritten hervor, Don Pasquale macht sich vernehmlich und selbst der große Musikverbrecher Verdi gibt seine gleißnerischen Motive zum Besten. Von anderen schweigen wir.

Es ist freilich einem Theatermusiker nur mit der größten Strenge gegen sich, nur mit der entschiedensten Chrakterfestigkeit möglich, die unwillkürlich auf ihn eindringenden Reminiszenzen abzuweisen, sich von dem gewöhnlichen Opernschmutz freizuhalten; und so wollen wir auch unseren Komponisten nicht allzu strenge tadeln, daß ihm manches in die Partitur gelaufen, was die einfachsten Regeln des guten Geschmacks hinauswerfen müssen.

(…Der Autor läßt sich nun über Details einzelner Nummern aus, die er der Anderung oder gänzlichen Streichung anempfiehlt. Anm. …)

In Bezug auf die sogenannte Mache der Oper ist übrigens dem Komponisten eine strengere Sorgfalt dringend zu empfehlen. Seine Übergänge von einer Nummer zur andern sind zu schwach, wir möchten sie dilettantenhaft nennen, die Verbindung der einzelnen Sätze ist ungemein locker, wir empfinden niemals die Nothwendigkeit eines Fortschritts. In der Wahl der Harmonien und deren richtiger Vertheilung ist ein eingehendes Studium nöthig; wir hören Tonmassen in der Höhe und Tiefe, die Mitte dagegen bleibt leer, so daß ein Mangel an Kraft fühlbar wird. (…) All diese Sachen machen die Musik mager und zuletzt etwas langweilig.

Der Komponist hat aber in einzelnen Nummern dieser Oper eine hübsche Erfindungskraft, ein nicht geringes Talent für die richtige musikalische Zeichnung, überhaupt nicht unbedeutende Anlage zur Konversationsoper an den Tag gelegt. Umso mehr waren wir zu den vorausgehnden Ausstellungen berechtigt, denn hier handelt es sich darum, ein Talent vor einem Irrwege zu bewahren. Wir glauben von unserem Komponisten was Besseres erwarten zu können und deshalb rufen wir ihm das gewichtige Wort: Selbstkritik zu. (…)

Herr Huber hat aber durch das Bach-Gounodsche Präludium, welches er in seine Oper eingewoben, die musikalisch beste Nummer geschaffen und hat nur durch den Frankschen Luiza-Csárdás den größeren Theil des Publikums zu der Hauptovation des Abends, zu einem stürmischen Verlangen nach Wiederholung und viermaligem Hervorrufe enthusiasmirt, eine Thatsache, die sich in Bezug auf die verschiedenen Nummern seiner Komposition, mit Ausnahme der Romanze der Rózsa und des schon erwähnten Duetts nicht konstatiren läßt. Der Komponist möge bedenken, daß er durch diese Dinge die schneidenste Waffe gegen sich kehrt; denn liegt es nicht sehr nahe zu sagen: „in der Huberschen Oper hat den Musikern das Bach-Gounodsche Präludium am meisten gefallen, und der Csárdás von Jg. Frank hat das große Publikum zu stürmischen Beifallsbezeugungen hingerissen? Der Hervorruf galt also eigentlich dem Csárdáskomponisten.“ (…)