Aus dem Archiv des Pester Lloyd

zurück zur Startseite

 

 

 

(c) Pester Lloyd / Archiv

 

Aus dem Pester Lloyd von 1884

Ludwig Hevesi

Im Thiergarten

Mehr zum Autor

H-i. Wem es unangenehm ist, daß er nun schon wieder die orientalische Frage „frei haben soll an das Schicksal“, nachdem er sie doch bereits 1856 so gründlich „frei hatte“, ohne Antwort zu bekommen – der folge mir. Oder wem es übel bekommen, daß er zu lange dem napoleonischen „Quellenstudium“ in Biarritz zugesehen, dem Quellenstudium für irgend ein neues historisches Werk, etwas über das Ende des Kaiserreichs Mexiko oder des Kaiserreichs Türkei, das zur nächsten Leipziger Messer erscheinen soll, - der folge mir. Und wer sich im kühlen Rhein eine politische Erkältung zugezogen, - der folge mir.

Wir gehen in den Theirgarten. Wir werden die Gäste jener arabischen Naturen, die noch nie „Zeitungsunkraut“ genossen, und es vielleicht nur diesem politischen Deffekt, der aber ein moralischer Vorzug ist, zu verdanken haben, daß sie alle zusammen nur einen Dukaten (jeder einzelne also einen Kreuzer) Zins bezahlen. Wer doch auch fähig wäre, so arkadisch zu sein wie sie und selbst so respektable Heilige wie St. Michael und St. Georg ungestraft an Leib und Seele und – beweglichem Eigenthum ignoriren dürfte!

Doch wozu von Unerreichbarem träumen! Halten wir uns lieber an das, was in unserem Bereiche ist, und seien wir zufrieden eine Zufluchtsstätte vor der leidigen Politik zu haben. Die Thiere des Waldes und die Vögel der Luft wissen glücklicherweise noch nichts von einem „beständigen“ Frieden, der sie zwänge immerfort bewaffnet zu sein, weil er plötzlich unbeständig werden könnte, sie kennen kein höflich-schlaues Frackschweifwedeln, keine diplomatischen Vorderpfotendrücke, keine verbindlichen Kratzhinterfüße, ihr Schweigen, ihre Reserve, ihre Kundgebungen sind sämmtlich unpolitischer Natur.

Ein Hoch daher den unpolitischen Thieren, und da wir denn ganz sicher gehen, mutig vorwärts!

Christoph Petz, Enkel des Atta Troll, brauner Bär, sei mir gegrüßt! Deine inkognito reisende graue Gefährtin desgleichen. Sei artig gegen sie und ärgere deine „graue Schwester“ nicht, damit es dir wohl ergehe im Thiergarten, denn ein Wiener Redakteur – er ist dein Landsmann – mußte erst im vorigen Jahre zwei Wochen lang brummen, weil er auch gegen „graue Schwestern“ unartig gewesen. Und wenn ein gebildeter Mensch zu dir spricht, ist es zwar schön, daß du dich auf die Hinterbeine stellst, denn jeder Untergebene soll seinem Oberen „aufwarten“, aber du brauchst deswegen doch nicht fortwährend mit dem ganzen Leibe hin und her zu schwanken, denn es könnte dir passiren, daß man dich für einen königlich bairischen Staatsminister hielte, - und das ist für einen jungen Bären, der noch Karriere machen will, ein großes Unglück. Auch schickt es sich für einen zottigen, borstigen, widerhaarigen Demokraten, der du doch eigentlich bist, nicht im Mindesten, mit einer großen Holzkugel zu spielen, denn bei Holzkugeln fängt man an und bei Eisenkugeln hört man auf, wie das Sprichwort sagt; mit Eisenkugeln spielen nur Fürsten und Könige, - so lange sie nicht preußisch angestrichen oder gar ausgestrichen werden. Doch ich merke, daß ich wieder in die Politik hineingerathe, also nur noch das Eine: Ich sehe es zwar mit Vergnügen, daß du in deiner neuen Stellung als Thiergartenbär und Vorwand für die Bärenhöhle dich bedeutend zivilisirt hast, aber du wendest die Lehren der organischen Chemie nicht ganz zweckmäßig an, denn wenn es auch ein ganz richtiger Grundsatz ist, daß man animalische und vegetabilische Kost im rechten Verhältnis genießen soll, um gesund zu bleiben, so ist dies doch nicht dahin zu verstehen, daß man zu dem vegetabilischen Zucker, der Einem in den Käfig gesteckt wird, auch noch die darreichenden Finger als animalische „Zuthat“ ergreifen müsse. Diese Zuthat schickt sich nur für Preußen in Böhmen, ein wohlerzogener ungarischer Bär jedoch, der seinen Platz in der Gesellschaft anständig ausfüllen will, muß sich schon entschließen, etwas weniger „intelligent“ und dafür etwas bescheidener zu sein. Nichts für ungut! - -

Wir stehen nun vor der Raubvogel-Voliére. Daß man die Raubvögel von den zahmen absondert, ist eine gute Sitte und wurde schon in der Bibel bei Böcken und Schafen geübt,  - aber auch in unserer menschlichen Gesellschaft könnte dieser Gebrauch nicht schaden. Jene Souveräne, die ihren Ruhm darein setzen, ihren reißenden Wappenthieren möglichst gleich zu werden, kämen dann in den Bärenzwinger und in die Raubvogel-Voliére. Verschmitzte Politiker mit oder ohne Hubertusorden nähmen den Teich zum Wohnsitz, wo sie mit den übrigen Sumpfvögeln bequem im trüben Wasser herumplätschern könnten. Manches unterdrückte Nationalitätenfröschchen liefe ihnen da in den stammverwandten Schnabel, und ihr „schmaler Leib“ arrondirte sich dabei wie von selbst. Unschuldige Philisterhühnchen aber, die es nichts angeht, wenn „hinten weit in der Türkei die Völker aufeinanderschlagen“, könnten unten auf der Trappenwiese sich ins hohe Gras ducken und sich von Mama Regierung warm bebrüten lassen… Aber wenn ich nicht irre, ist das Alles schon wieder politisch gefärbt. Das Fleisch ist wirklich schwach. Es widersteht nicht einmal der Versuchung, der Ideenassoziation, die sich beim Anblick dieser Adlerklauen und Geierschnäbel aufdrängt, Thür und Thor zu öffnen. Ja, der Goldadler, der dort oben auf der höchsten Spitze seiner Surrogateiche sitzt, den edlen Kopf melancholisch seitwärts gewendet und die scharfen Augen den eilenden Wolken nachschickend, erinnert mich an ein Gespräch, da sich mit einem Offizier kurz vor Ausbruch des letzten Krieges gehabt. Wir erwogen die beiderseitigen Chancen und als wir endlich auch zu der Frage gelangten, ob wohl der einköpfige Adler dereinst in Deutschland die Rolle des zweiköpfigen übernehmen könnte, rief der Offizier kurzweg: „Wenn das je geschehen sollte, so ware es das Leichteste von der Welt, wieder den zweiköpfigen an seinem Platz zu sehen.“ „Und wie denn das?“ fragte ich neugierig. „Man spaltet dem einköpfigen das Haupt!“ rief Jener energisch und ich mußte ihm einräumen, daß aus dem einköpfigen dann freilich wieder ein zweiköpfiger würde, konnte aber die Meinung nicht unterdrücken, daß dieses Kopfspalten denn doch nicht die leichteste Arbeit werden dürfte. Ich bin überzeugt, der Falke nebenan stimmt mir vollkommen bei, denn er hat einen weiten, scharfen Blick, und wenn der Adler wirklich König ist im Reiche der Lüfte, so ist gewiß der Falke sein Minister des Aeußern. Glückliches Luftreich!

Doch fort von diesen Politikern! Im Affenhause finden wir doch hoffentlich keine Politik? Politische Affen, wer hätte je dergleichen gesehen? Die hohe Politik ist gar ein ernstes Ding; sie hüpft und springt nicht über alle Hindernisse weg, sondern sucht sie bedächtig aus dem Wege zu räumen, sie klettert nicht senkrechte Wände hinan, sondern rennt sie im Nothfalle mit dem Bajonette durch, die besitzt zwar Vor- und Nachsicht, auch Rücksichten die Menge, zuweilen selbst An- und Absichten, über die sie im Klaren mit sich selber zu sein glaubt, ja, in seltenen Fällen zeigt sie sogar Übersicht der Dinge, - aber diese Gelenkheit, Geschmeidigkeit, Beweglichkeit, die im Affenhause herrscht, braucht sie nicht, denn diese Eigenschaften sind affenähnlich, schlangengleich, aalgleich, heutzutage kann man auch schon sagen – preußisch. Ja, die Affen sind unverfälschte, unpolitische Thiere, ihre Grimassen kommen aus dme Herzen, nicht aus dem Verstande, ihre komischen Affensprünge haben nichts gemein mit den tragikomischen Bocksprüngen, die wir außerhalb des Thiergartens oft genug zu sehen bekommen.

Ebenso unpolitisch gefärbt sind die Papageien und Kakadus. Sie sind sogar offene Feinde jedes politischen Grüblers, der, in Gedanken versunken, unachtsam durch die Papageienallee schreitet und sich ihnen zu sehr nähert; denn da fahren flugs die scharfen Schnäbel und Fänge herab auf das politische Haupt und zausen ihm unbarmherzig den politischen Haarzopf. Die Papageienallee ist eine Schwester der Ohrfeigenalle in der berüchtigten „Eselshaut“.

Am Ende der Allee treffen wir auf Eulenburg. Gleich drängen sich mir die schönsten politischen Lehren auf, die sich aus ihr ziehen lassen; mir fallen all die nagelneuen Ruinen ein, die in Mexiko und noch anderswo mit großen Kosten und bedeutendem Risiko erbaut worden sind, und was noch unverantwortlicher ist, nicht einmal für Eulen, sondern für Kaiser und Könige. – Und erst über die Eulen ließe sich gar Manches sagen. Ehedem das Sinnbild der freien Wissenschaft, sind sie heute das Symbol der Reaktion, die Wappenvögel der lichtscheuen Dunkelmännerei. Nun wäre es interessant zu wissen, ob man ihnen diese Bur gin ihrer früheren, oder in der jetzigen Qualität erbaut hat. Und die Antwort hierauf ist nicht einmal schwer. Daraus, daß die Ruine ganz funkelnagelneu ist, müssen wir schließen, die Theirgartenverwaltung habe damit verblümt ausdrücken wollen: eine Burg, die man als Zuflucht für finstere Reaktion erbaut, ist, wenn auch schimmernd vor Weiße und Neuheit, doch schon von vornherein eine Ruine. Für den Ausdruck dieses schönen Satzes und für dessen sinnreiche Einkleidung ist das Publikum der Verwaltung tief zu Danke verpflichtet.

Vom politischen Eulenthurm, der Einem unwillkürlich solche Gedanken erweckt, flüchte ich mich zum Fasanenhaus. Hier endlich, ruht die Politik gänzlich, und die unbefangene kulinarisch-zoologische Bewunderung tritt an ihre Stelle. Diese Mischung findet ihren Ausdruck am besten in dem Urtheile, welches ein Freund zu mir über diese Vögel äußerte: „Die Fasanen sind sehr schön, - aber viel zu wenig gebraten.

Von hier nun, am Teiche vorbei, gelangen wir in jene Regionen, wo es vollkommen unpolitisch zu werden beginnt. Bisher kam ich mir in meinem Eifer der Politik zu entfliehen, und in meinem Unglücke, immer wieder in dieselbe hineinzugerathen, so vor, wie George Sand‘s Gribouille, der sich, aus Furcht vom Regen durchnäßt zu werden, in den Fluß stürzt.. Aber von da an bin ich doch endlich im Trockenen Nur vorübergehend erinnert das Kameel an das ewige Wiederkäuen der orientalischen Frage, und bei dme sardinischen Mufflou fallt es mir auf, daß es jetzt „königlich italienischer Mufflou“ heißen sollte. Aber jenseits der schmalen, wasserlosen Rinne, welche ein Bach sein könnte, wenn sie nicht zufällig ein Graben wäre, ist die Luft ganz rein. Wie idyllisch wohl wird mir in der Nähe des Hühnerstalles. Wer doch ein Hühnerolog sein könnte, wie der Baron Washington! – natürlich mit einer guten Rente dazu; das muß eine herrliche Beschäftigung sein, fortwährend Enten und Renten zu vermehren und zu verzehren. Wie ruhig stimmt sich unwillkürlich das Gemüth des politisch bewegten Zeitungslesers, wenn er ländliche Unschuld in der Gestalt des Fettschwanzschafes bewundern oder sein Auge auf den arkadischen Formen eines Faltenschweines kann ruhen lassen! Wenn erst der sogenannte Bach, der zweifelsohne zur Zucht von Batrachiern, die doch in einem Thiergarten auch nicht feheln dürfen, angelegt worden ist, von seinem grünen und braunen Volke bewohnt sein wird, und diese „frommen Quäker“ ihre melodischen Gesänge zum Lobe des Herrn – Thiergartendirektors erschallen lassen, dann fürwahr wird dieser Theil des Gartens einen echt unpolitisch-idyllischen Naturgenuß gewähren können. Alle Freunde eines solchen seien hiemit auf die schöne Gelegenheit aufmerksam gemacht.