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Aus dem Pester Lloyd von 1893

Max Falk

Vom königlichen Paare

Max Falk / Falk Miksa, 36 Jahre lange Chefredakteur des Pester Lloyd, Oberhausabgeordneter und Vertrauter von Graf Andrássy sowie Königin Sisi schreibt über einen Aufenthalt des Königspaares in Budapest und liefert tiefere Insider-Einblicke zu den Beziehungen Ungarns und Österreichs. Mehr zur Biographie Falks und seinem Verhältnis zu Elisabeth hier.

„Die schönen Tage in Aranjuez sind nun zu Ende“…… das sagt heute nicht irgend ein Höfling mit oder ohne Priestergewand, sondern die ganze Bevölkerung der Haupt- und Residenzstadt des Königs von Ungarn, welche zu Beginn der abgelaufenen Woche bewegten Herzens den König aus ihrer Mitte scheiden sah und zwei Tage später auch der Königin in tiefer Rührung ihr Lebewohl nachgerufen hat.

Gewiß, es waren schöne Tage und wir hätten nur gewünscht, es wären ihrer nicht so wenige gewesen, - ein Wunsch, der sicherlich in Millionen Herzen weit über das Weichbild unserer Hauptstadt hinaus den lebhaftesten Widerhall findet. Man wird diese Bemerkung außerhalb Ungarns vielleicht für den Ausfluß eines gewissen Byzantinismus betrachten, oder gar für eine Heuchelei, hinter welcher sich die wahre Besinnung des ungarischen Volkes verstecken möchte und wir wären – aufrichtig gesagt – über eine solche Auffassung weder verwundert noch entrüstet, denn das Verhältnis der ungarischen Nation zu ihrer Dynastie und speziell zu ihrem König ist ein so eigenthümliches, daß wir es begreiflich finden, wenn dasselbe außerhalb unserer Landesgrenzen nirgends verstanden wird, – vielleicht nicht einmal in England, dessen Königthum noch die meiste Ähnlichkeit mit dem unsrigen aufweist.

Für ein Königthum „von Gottes Gnaden“ hat unsere Nation allerdings kein Verständnis und jene spanische Etiquette, welche den König als ein unnahbares höheres Wesen jeder Berührung mit dem frisch pulsierenden Volksleben, ist in Ungarn nie heimisch geworden und wird es nie werden. Das Verhältnis der ungarischen Nation zu ihrem Könige ist doppelter Natur; es ist zunächst und vor Allem ein Rechtsverhältnis, basierend auf jenem bilateralen Vertrage, dessen Grundzüge in dem „pragmatische Sanktion“ benannten drei Artikeln des Jahres 1723 niedergelegt sind, und welcher dann im Ausgleichsgesetze von 1867 seine weitere Ausgestaltung fand. Dieser Vertrag legt beiden Theilen Rechte und Pflichten auf und die ungarische Nation wird – ganz abgesehen von der Persönlichkeit des Königs – die ihr obliegenden Pflichten jederzeit gewissenhaft erfüllen und ebenso gewissenhaft die Rechte des Königs respektieren, so lange auch von der anderen Seite dieselbe Rechtsachtung und dieselbe Pflichttreue vorhanden ist. Neben diesem Rechtsverhältnisse besteht aber auch ein Gefühlsverhältnis und dieses läßt dann allerdings, je nach der Individualität Desjenigen, der die Krone des heiligen Stefan auf seinem Haupte trägt, mehrfache Gradationen zu.

Der Bund zwischen Ungarn und der Dynastie Habsburg ist vielfach, insbesondere von Stefan Széchenyi, als eine Verstandesehe bezeichnet worden und nach dem eben Gesagten ist er es auch; allein, wenn auch bei dem Abschlusse einer Ehe zunächst die Erwägungen der Vernunft maßgebend waren, so schließt dies keineswegs noch aus, daß sich zu diesen Eingebungen der Vernunft allmälig auch mächtige Regungen des Herzens gesellen und daß der reale Inhalt eines solchen Bundes durch den Hinzutritt inniger, aufrichtiger Liebe seine ideale Verklärung finde. Und kühn dürfen wir es behaupten: noch niemals seit 370 Jahren ist das Verhältnis Ungarns zu seinem Könige nach den beiden eben bezeichneten Richtungen hin ein so festes und inniges gewesen, wie seit dem Tage, an welchem die Krone des heiligen Stefan zum ersten Male die Stirne des Kaisers und Königs Franz Josef I. schmückte und dieser durch den Eid auf unsere Verfassung der legitime König von Ungarn geworden.

Keiner seiner Vorgänger hat diesen Eid mit solcher Gewissenhaftigkeit erfüllt, keiner hat, wenn seine subjektiven Gefühle mit den geschriebenen Satzungen oder den ungeschriebenen Postulaten der Verfassung in Widerspruch geriethen, die Regungen in seinem Innern mit solchem Heroismus niedergekämpft, seine Herrscherpflichten mit solch ängstlicher Skrupulosität erfüllt und dieser treuen Pflichterfüllung gegenüber von seinen Rechten einen so bescheidenen Gebrauch gemacht, wie der Monarch, unter dessen Szepter Ungarn ein Vierteljahrhundert der Blüthe zu verzeichnen hat, wie sie von den heißblütigsten Patrioten in ihren kühnsten Träumen niemals geahnt worden war. Zur Erhärtung dieses Ausspruches ließen sich unzählige Beweise aus der Geschichte der letzten 26 Jahre anführen und der schlagendste vielleicht aus den allerjüngsten Tagen; allein diese Zeilen erscheinen eben deshalb „unter dem Striche“, weil darin das Gebiet der aktuellen Politik sorgfältig gemieden werden soll. Eine Reminiszenz aus älterer Zeit sei uns jedoch gestattet, weil sie so charakteristisch ist, dass sie allein jede weitere Beweisführung überflüssig macht.

Es war im Jahre 1873, also zu einer Zeit, da der Konstitutionalismus in den maßgebenden Sphären noch nicht so tiefe Wurzeln geschlagen hatte, wie heut zu Tage, da gelangte an das ungarische Landesvertheidigungs-Ministerium, an dessen Spitze Béla Szende stand, eine Note des Kriegsministeriums des Inhalts, Se. Majestät habe befohlen, daß an dem und dem Tage diese und diese Honvéd-Abtheilungen zu den Uebungen im Brucker Lager einzurücken hätten. Bestürzt eilte Szende zu dem damaligen Minister-Präsidenten Josef Szlávy und Beide waren darin einig, dass dieser allerhöchste Befehl mit dem ungarischen Gesetze (§ 3 G.-A. XLI; 1808) im Widerspruche stehe. Da es aber doch nicht gut anging, einen direkten Befehl des Monarchen einfach zurückzuweisen, wurde der Ministerrath sofort zusammenberufen; allein einen plausiblen Ausweg aus der peinlichen Situation vermochte auch dieser nicht zu finden.

Der Minister-Präsident schlug nun vor, am nächsten Tage die Verhandlung fortzusetzen: die Note des Kriegsministers aber steckte er ruhig in die Tasche und erbat sich sofort nach der Ministerkonferenz im telegraphischen Wege für den nächsten Morgen eine Audienz bei Se. Majestät, welche ihm natürlich gewährt wurde. Zur anberaumten Stunde des nächsten Tages trat der ungarische Minister-Präsident in das Kabinet des Königs. „Erw. Majestät, - sagte er, die Note des Kriegsministers überreichend – wir haben gestern im Wege des Kriegsministeriums einen allerhöchsten Befehl Erw. Majestät erhalten und ich wollte mir erlauben, mündlich an Erw. Majestät die ergebene Anfrage zu stellen, ob bei Erlassung dieses Befehls nicht etwa ein Versehen unterlaufen sei, denn derselbe steht mit dem G.A. XLI; 1868 in Widerspruch.“ Darauf zog Szlávy das betreffende Gesetz aus der Tasche und überreichte es Eurer Majestät. Der König las den betreffenden § 3 einige Male aufmerksam durch, sann eine kurze Weile nach, gab dann Herrn v. Szlávy das Gesetz zurück und reichte ihm lächelnd die Hand mit den Worten: „Ich danke Ihnen, die Sache ist erledigt“.

Fast genau dieselbe Szene spielte sich unter der Minister-Präsidentschaft Koloman Titza`s ab, als in Agram die Wappen- und Schilderaffaire zu den bekannten peinlichen Szenen führte. Aus dem gegnerischen Lager hatte man sich beeilt, die Krone in einem für die ungarische Auffassung wenig freundlichen Sinne zu informieren und somit war auch die Stimmung, welche Koloman Titza in der für diese Frage entscheidenden Audienz vorfand, keine sehr günstige. Und wieder wurde das Gesetzbuch herbeigeholt und nachdem die einschlägigen Bestimmungen desselben eingehend erörtert und die Gesetzmäßigkeit des ungarischen Standpunktes nachgewiesen worden, schloß sich auch Eure Majestät sofort den Anschauungen seiner ungarischen Regierung an. Die Zahl dieser Beispiele ließe sich ins Unendliche vermehren, wenn nicht eine Fortsetzung derselben schon aus dem Grunde überflüssig erschiene, weil selbst der verbissenste Oppositionelle in Ungarn vor der konstitutionellen Besinnung des regierenden Königs ehrfurchtvoll den Hut zieht und gern in die Anerkennung einstimmt, daß das Rechtsverhältnis zwischen der Nation und ihrem gekrönten König von oben her noch nie in solcher Reinheit gewahrt wurde, wie dies seit 26 Jahren der Fall ist.

In voller Harmonie damit steht aber auch das Gefühlsverhältnis. Man hat dem Kaiser und König Franz Josef mit vollem Rechte den Beinamen des „Ritterlichen“ gegeben, und die Eigenschaften, welche ihm zu diesem Epitheton verhalfen, müssen naturgemäß auch im Herzen der ungarischen Nation, die ja ebenfalls die „ritterliche“ genannt wird, die lebhaftesten Symphathien erwecken. Bei Kaiser und König Franz Josef steht der Mensch mit dem Herrscher auf gleicher Höhe. Das ganze Auftreten des Königs, in welchem sich das berechtigte Bewusstsein der eigenen hohen Würde mit einem seltenen Maße von liebenswürdiger Bescheidenheit paart, gewinnt im Fluge alle Herzen, und es ist ein Lob, welches wohl nur selten einem Souverän gespendet werden kann, dessen Berechtigung aber in diesem Falle wohl von Niemandem bestritten werden wird, wenn wir sagen, dass der König von Ungarn unter den Völkerschaften, welche zwischen den Karpathen und der Adria wohnen, keinen einzigen Feind, dagegen ungezählte Millionen enthusiastischer Verehrer hat.

Würden Diejenigen, die im Auslande über unser Verhältnis zur Krone urtheilen, sich nur einmal hieher bemühen und eine Rundreise durch dieses Land unternehmen, sie würden mit ganz anderen Anschauungen heimkehren und namentlich unbedeutenden Vorfällen, die sich ihnen im Gegensatze zu den Gesetzen der Optik in der Ferne viel größer darstellen, als sie in Wirklichkeit sind, gar keine Bedeutung beilegen, - am allerwenigsten die, dass solche Vorfälle auf die Beziehungen zwischen Ungarn und seinem König auch nur den leichtesten Schatten werfen könnten. Vor etwa siebzig Jahren fragte Kaiser Franz den Ofner Advokaten Ottmayer – unsere älteren Ofner Mitbürger werden sich vielleicht dieses Namens noch erinnern – am Schlusse einer Audienz: „Na, was treiben denn Ihre Landsleut’; machen’s noch immer so viel Spektakel?“ „Ja, Erw. Majestät, - antwortete Ottmayer – das ist nun schon so unsere Gewohnheit.“ „Das ist eine schlechte Gewohnheit, - relizirte der Kaiser – das müssen’s sich abgewöhnen.“ Nun, wir haben es uns nicht abgewöhnt und werden es uns wohl auch nicht abgewöhnen.

Wir sind eben ein temperamentvolles und phantasiereiches Volk, welches an der Gefühlsseite leicht zu fassen und dann nicht immer den kühlen Erwägungen des Verstandes zugänglich ist. Freilich sollte das manchmal nicht so sein, freilich sollte man sich, ehe man gewisse Dinge thut, nicht bloß mit dem Bewusstsein begnügen, von keiner illoyalen Absicht geleitet zu sein, sondern auch auf die Gefühle Desjenigen Rücksicht nehmen, der für uns Alle ein Gegenstand der Liebe und Verehrung ist. Allein, aus der eigenen Haut können wir nun einmal nicht hinaus und so hoffen wir denn, daß solche Dinge, welche auf der einen Seite nicht schlecht gemeint sind, auch von der anderen nicht tragisch genommen werden. In jener, glücklicherweiße bereits beträchtlich zusammengeschrumpften Hofkreisen, welche noch immer an der spanischen Etiquette, wenn auch in gemilderter Form, festhalten, mag allerdings über derlei Vorfälle manchmal wirkliches oder affektirtes Entsetzen herrschen, allein das ist eben ein Grund mehr, um dessenwillen bei uns selbst in den Kreisen der gemäßigtesten Politiker der Wunsch nach einer ungarischen Hofhaltung immer lebhafter in den Vordergrund tritt. Es denkt dabei Niemand an eine indiskrete Einmischung in die Art und Weise, wie der allerhöchste Herr seinen Haushalt bestellt wissen will, allein wir würden Werth darauf legen, dass der König von Ungarn, so oft er in sein Land kommt, eine ungarische Atmosphäre um sich habe, in welcher manches Bedenken sofort beschwichtigt, manche irrige Auffassung sofort richtig gestellt und mancher Irrthum hinantgehalten werden könnte, was heute nicht deshalb nicht geschieht, weil es den Betreffenden an gutem, ehrlichem Willen, sondern weil es ihnen an der nöthigen Vertrautheit mit unserem Verhältnissen, an der, wenn man so sagen darf, genauen Kenntnis der ungarischen Volksseele fehlt.

Vor mehr als 20 Jahren sagte ein sehr hochgestellter Hofwürdenträger zu dem Schreiber dieser Zeiten: „Seit die ungarischen Abgeordneten zu den Hoftafeln geladen werden, geht es bei diesen Tafeln so spektakulös zu, wie im ewigen Leben“. Nun denn, es ist wahr, es mag seit jener Zeit etwas lauter hergehen, weil eben die ungarischen Gaste Eurer Majestät der, wie wir glauben, ganz richtigen Meinung sind, dass sie nicht zu dem ? geladen werden, um, in stummer Demuth vor dem allerhöchsten Herrn ersterbend, nach dem vom Küchenchef angefertigten Menu eine gewisse Anzahl von Gängen zu absolvieren, sondern in dem gastfreundlichen Hause des allerersten Edelmannes des Landes einige vergnügte Stunden zu verbringen. Deshalb hat aber doch noch nie einer dieser Gäste auch nur für einen Augenblick die Vornehmheit des Hauses, in welchem er sich befindet und die Stellung des Landherrn, an dessen Tisch er sitzt, aus den Augen gelassen. Und wenn man die ungezwungene Liebenswürdigkeit sieht, mit welcher Eure Majestät sich bei solchen Gelegenheiten unter seinen Gästen bewegt, so wird man wohl annehmen dürfen, dass die von uns eben ausgesprochenen Ansichten sich mit denen des allerhöchsten Herrn vollkommen decken.

Es gibt dann auch noch andere Punkte des Hofzeremonials, welche bei uns für die Dauer nicht zu halten sein werden. Unserem barbarischen Verstande wird es z. B. nie einleuchten, daß bei den Audienzen der Abgeordnete, der ja der gesetzliche Vertreter eines gewissen Theiles der Bevölkerung ist, zurückstehen müsse hinter einem vielleicht ganz unbedeutenden Menschen, der nichts vertritt, als sich selber und dessen ganzer Verdienst darin besteht, daß er von väterlicher, wie von mütterlicher Seite so viele adelige Ahnen ausweisen konnte, als zur Erlangung der Kämmererwürde nothwendig sind. Indessen sind das am Ende doch nur Kleinigkeiten und es wird gewiß auch da nach und nach Abhilfe geschafft werden, so wie ja seit 1867 fast jedes Jahr irgend ein Stückchen von dem einst so unbändig langen alten Zopf weggeschnitten wird, der noch vor 26 Jahren so lustig in den Lüften wackelte.

Man kann sich wohl denken, dass diese Hofatmosphäre zu Anfang der fünfziger Jahre, ehe die Katastrophen von 1859 und 1866 die Luft gereinigt hatten, noch schwüler und drückender war als nach dem Ausgleiche, der doch auch in jenen Regionen tüchtig aufgeräumt hat. In jene schwüle Atmosphäre wurde vor vierzig Jahren unmittelbar aus dem bairischen Hochgebirge eine blühende Alpenrose hinein verpflanzt, - die Kaiserin und Königin Elisabeth! Schon in dem Momente ihrer Ankunft hatte sie einen Fehler mitgebracht, der ihr in manchen Kreisen absolut nicht verziehen werden konnte – ihre Schönheit. Die Schönheit einer Frau gilt beinahe als Verbrechen in den Augen anderer Frauen, welche minder oder gar nicht schön sind, und da sie weder die Schönheit der Anderen leugnen können, noch ihren Neid eingestehen wollen, dichten sie dem Gegenstande dieses Neides allerlei unsichtbare Flecken an, deren Vorhandensein zwar nicht konstatirt werden kann, aber nur mit einer gewissen Keckheit und Beharrlichkeit behauptet zu werden braucht, um in immer weiteren Kreisen Glauben zu finden, zumal wenn die Person, um welche es sich handelt, so hoch steht, dass die im Flüstertone kolportirten Bosheiten entweder gar nicht, oder nur sehr spät zu ihr empor dringen.

Die Scheelsucht hat umso leichteres Spiel, wenn sie es mit einem blutjungen Naturkinde zu thun hat, welchem für die raffinirten Bosheiten ränkesüchtiger Hofschranzen jedes Verständnis fehlt. Es ließen sich in dieser Beziehung aus den ersten Jahren der Ehe Ihrer Majestäten allerlei sonderbare, heute fast unglaublich klingende Geschichten erzählen. Einmal nahm die Kaiserin, ohne Jemanden vorher von ihrer Absicht verständigt zu haben, eine Hofdame mit sich und machte zu Fuße einen Spaziergang durch die Straßen Wiens, um endlich am Graben in einem Verkaufsladen zu treten, in dessen Auslagekasten ihr irgend ein Gegenstand gefallen hatte. Als die hohe Frau sich wieder entfernen wollte, standen zum Entsetzen Ihrer Majestät, der alles Aufsehen verhaßt ist, Hunderte von Menschen Kopf an Kopf vor dem Kaufladen und es gelang nur mit Mühe und mit Zuhilfenahme der Polizei für die beiden Damen freie Bahn zur Heimkehr zu schaffen. „Ihre Majestät – so zischelte man, als der Vorfall bekannt wurde, in gewissen Kreisen – glaubt offenbar noch immer in ihren bairischen Bergen zu sein; Sie vergißt, daß sie die Kaiserin von Oesterreich ist und was sie der hohen Stellung ihres Gemahls schuldet.“

Eingeschüchtert durch den fatalen Ausgang dieses ersten Versuches, vermied es die junge Kaiserin fortan, sich in den Straßen zu zeigen und beschränkte sich in ihren Spaziergängen auf den abgeschlossenen Theil des Burggartens. „Ihre Majestät – lästerten nun wieder dieselben bösen Zungen – scheint zu glauben, daß sie noch immer in ihren bairischen Bergen lebe; sie vergisst, dass sie die Kaiserin von Oesterreich ist und als solche die Verpflichtung hat, sich so oft als möglich der Bevölkerung zu zeigen.“ Und in dieser Weise ging es mit allen möglichen Variationen Jahre lang fort. Und wenn es noch eines weiteren Beweises für die Charakterstärke der hohen Frau bedürfte, so wäre er dadurch gegeben, daß all diese boshaften Nörgeleien, diese bei jedem passenden und unpassenden Anlasse fortgesetzten Nadelstiche auf ihr Gemüth keinen Eindruck machten, daß sie in der Schlichtheit ihres Herzens sich damit begnügte, ihrem Gemahl eine liebende Gattin, ihren Kindern eine zärtliche Mutter zu sein. Allein wer Gelegenheit hatte, dieser hohen Dame näher zu treten, der wurde nicht ohne Ueberraschung gewahr, daß das eine ganz merkwürdige Frau sein, ein fest abgeschlossener Charakter, welcher mit gar keinem anderen Maßstabe gemessen werden kann, als mit jenem der eigenen Individualität.

Hinter dieser anspruchslosen Einfachheit, hinter der fast an Schüchternheit grenzenden Bescheidenheit birgt sich ein fester energischer Wille, ein klarer Kopf und ein engelgutes Herz. Die Kaiserin-Königin spricht langsam und leise, aber was sie sagt, hat – um uns trivial auszudrücken – Hand und Fuß; mit einem geradezu wunderbaren Takte trifft sie stets den Nagel auf den Kopf, und einzelne kurze Bemerkungen lassen den aufmerksamen Beobachter ahnen, daß ihnen eine lange Denkarbeit vorhergegangen sein müsse. Freilich war auch die Erziehung der hohen Frau eine ganz eigenthümliche. Ihr Erzieher war der Verfasser der fünfbändigen „Geschichte der Magyaren“, zugleich der erste deutsche Uebersetzer ungarischer, namentlich Kisfaludy’scher Gedichte, jener unglückliche Graf Johann Majláth, welcher später im Vereine mit seiner Tochter freiwillig den Tod im Starnberger See gesucht und gefunden hat. Wir haben den Grafen nicht gekannt, aber er muß kein gewöhnlicher Mensch gewesen sein, wenn er es wagte, die Erziehung einer Prinzessin des bairischen Königshauses in einer Richtung zu leiten, wie sie in so hohen Häusern nicht nur nicht üblich, sondern geradezu verpönt ist.

„Sind auch Sie der Meinung – fragte Ihre Majestät einmal ganz ex abrupto den Schreiber dieser Zeilen –, dass die einzig vernünftige Staatsform die republikanische ist?“ – „Wie kommen Eure Majestät zu dieser Frage?“ frug ich erstaunt. – „Oh, ich habe oft mit dem Grafen Majláth hierüber disputirt und möchte nun Ihre Meinung hören.“ Ich antwortete, daß überhaupt keine Staatsform als eine absolut gute bezeichnet werden könne, sondern jede sich nach den speziellen Verhältnissen des betreffenden Staates richten müsse, und es sei beispielsweise in Oesterreich-Ungarn eine andere Regierungsform als die monarchische schlechterdings nicht denkbar, wenn dieses Staatengebilde überhaupt beisammen bleiben soll, weil die bunt zusammengewürfelten Bestandtheile desselben nur durch die Person des Monarchen zusammengehalten werden können. Man wird zugeben, daß eine Kaiserin von Oesterreich, welche in der alten Burg der Habsburger mit einem liberalen Schriftsteller eine Diskussion über die Güte der republikanischen Regierungsform pflegt, nicht eben zu den alltäglichen Erscheinungen gehöre.

Bei dieser freien, von keinem Vorurtheile, keiner Voreingenommenheit getrübten Anschauungsweise der hohen Frau wird man es auch begreiflich finden, daß je mehr sie sich mit den Verhältnissen unserer Monarchie vertraut machte – wir meinen mit den Verhältnissen, wie sie in den fünfziger Jahren und zu Anfang der sechziger Jahre bestanden – ihre Sympathie sich in steigendem Maße Ungarn zuwandte. Mit ihrem scharfen Auge erkannte sie bald, dass hier ein Element der Stärke für die habsburgische Dynastie, ein unerschöpflicher Schatz moralischer Kraft liege, welcher aber weder durch brutale Gewalt, noch durch Gift, sondern einzig und allein durch aufrichtiges, herzliches Wohlwollen gehoben werden könne. Heute kann man es bei uns nur ahnen, es wird aber vielleicht eine Zeit kommen, in welcher uns volle Klarheit darüber werden wird, was unser Vaterland der Kaiserin-Königin Elisabeth zu verdanken, was sie in schwerer Zeit für Ungarn gethan hat. Und es gehörte damals ein ganz ungewöhnlicher Muth dazu, für Ungarn Etwas zu thun. Ihre Majestät hatte diesen Muth; sie scheute nicht zurück vor der sicheren Aussicht, die ohnehin nicht geringe Zahl ihrer Feinde durch den Hinzutritt der damals leider nur allzu zahlreichen Feinde Ungarns neuerdings um ein Beträchtliches anschwellen zu sehen.

Der Gedanke, den Thron jenes ausgezeichneten Fürsten, den sie ihren Gemahl nannte, neu befestigen, zwischen einer edlen Nation und einem nicht minder edlen Herrscher, die durch Mißverständnisse und Uebelwollen getrübte Eintracht wieder herstellen zu helfen, ließ sie jedoch allen Schwierigkeiten kühn die Stirne bieten. Sie lernte die Sprache Ungarns, machte sich mit dessen Literatur und Geschichte innig vertraut und der Tag, an welchem der Bischof von Veßprim ihr die ungarische Krone aufs Haupt setzte, bedeutete zugleich die Krönung jenes Liebeswerkes, welchem sich die hohe Frau Jahre hindurch mit so aufopferungsvoller Hingebung gewidmet hatte.

Es wäre zu lang und wohl auch zu langweilig, wollten wie das Uebelwollen, welches die hohe Frau von mancher Seite her begleitete und welches je nach den veränderten Umständen die Form wechselte, durch alle Stadien verfolgen, welche dasselbe im Laufe der letzten 25 Jahre durchgemacht hat. Man wird es aber schon nach dem Besagten begreiflich finden, dass die Königin, die ja ihrer ganzen Natur nach mehr zu einem stillen, beschaulichen Leben hinneigte, sich von der Oeffentlichkeit immer mehr zurückzog, daß sie ihre höchste Lebensaufgabe in der Beglückung des Gatten und der Betreuung ihrer Kinder erblickte und daß sie Erholung und Zerstreuung nicht in den lärmenden Vergnügungen der großen Welt, sondern in der Erweiterung ihrer Kenntnisse durch geistige Beschäftigung, sowie durch weite Reisen nach ihr früher unbekannten Ländern suchte und fand. Was sie ihrem königlichen Gemahl in schweren Stunden gewesen, wie sie ihn, wenn ihn die Schicksalsschläge, die ihn leider so oft betroffen, niederzubeugen drohten, mit ihrer zugleich zarten und starken Hand wieder aufzurichten wusste, wie sie im Momente einer furchtbaren Familienkatastrophe, als unsagbarer Schmerz ihr eigenes Mutterherz zerfleischte, mit dem Heroismus einer Römerin diesen Schmerz niederkämpfte, um dem Vater den Balsam des Trostes zu spenden, dessen ja sie selbst für die eigenen Wunden so sehr bedurft hätte, - das lässt sich aus jenen ewig denkwürdigen Worten ahnen, welche der Kaiser und König öffentlich und laut, damit nicht nur die Völker seines Reiches, sondern alle fühlenden Menschen auf dem Erdenrunde sie vernehmen mögen, an jene Deputation richtete, welche gekommen war, um ihn, anläßlich des namenlosen Unglücks, daß über seine Familie hereingebrochen war, der innigsten Theilnahme der Bevölkerung zu versichern und in denen er das über alles Lob erhabene Verhalten seiner edlen Gemahlin so ergreifend schilderte.

Und mit nicht minder inniger Liebe hängt die Königin an ihren Kindern. Als der verstorbene Kronprinz Rudolf etwa acht Jahre alt war, hatte er eine schwere Krankheit durchzumachen; damals mußte dessen Erzieher Graf Latour jede halbe Stunde über das Befinden des Kindes der Mutter Bericht erstatten; allein auch das genügte ihr nicht und unzählige Male des Tages lief sie die Wendeltreffe hinauf, welche von ihren Appartements nach dem Krankenzimmer des Kronprinzen führte, um nach dem Befinden des fiebernden Kleinen zu sehen. Und als er ihr 23 Jahre später auf so tragische Weise entrissen wurde, während die älteste Tochter Gisela ihrem Gatten schon nach der bairischen Heimath gefolgt war, da konzentrierte sich all ihre Mutterliebe auf die Erzherzogin Marie Valerie. Als dann auch diese in den Stand der Ehe trat, da weinte die hohe Frau Tage lang; sie konnte es nicht fassen, daß ihr Kind, an welchen sie geradezu mit Schwärmerei hing, irgend Jemanden auf der Welt so sehr lieben könnte, daß es um seinethalben eine solche Mutter verläßt.

Und als dann für diese Lieblingstochter die „schwere“ Stunde herannahte, verzichtete die Kaiserin-Königin auf, eine bereits in Aussicht genommene Seereise, um sofort bei der Hand zu sein in jenem Momente, in welchem für jede Frau der Anblick der Mutter ein Trost und eine Stärkung ist. Aus dem gleichen Grunde wurde, als der Storch zum zweiten Male seine Ankunft auf Schloß Lichtenegg bei Wels ankündigte, Territet in der Schweiz als Aufenthaltsort gewählt. Unsere Feder sträubt sich gegen die Wiedergabe all jener Gerüchte, welche sich an diesen letzterwähnten Aufenthalt und an den Besuch Eurer Majestät des Kaisers und Königs in demselben Orte knüpften; wir setzen von Jenen, welche diese Gerüchte kolportierten – und leider haben sich auch einige Journale zu solch unsauberem Geschäfte hergegeben – so viel Anstandsgefühl voraus, daß sie sich dessen, was sie damals gethan, heute in die Seele hinein schämen. Nur flüchtig andeuten wollen wir, daß man im Tone geheuchelten Bedauerns einander zuflüsterte, die hohe Frau sei gemüthsleidend, der griechische Lehrer, welcher sie begleite, sei eigentlich ein Arzt und die Reise des Kaisers und Königs nach Territet – doch nein, genug davon.

Den Grund, weshalb Ihre Majestät ihren Aufenthalt in der Schweiz nahm – allerdings nicht in einem spektakulären Modeorte, sondern ihrem mehr nach innen gekehrten Wesen entsprechend, in einem reizenden stillen Thale, welches Fürst Liechtenstein von einem früheren Ausfluge her kannte und den Majestäten empfohlen hatte – diesen Grund haben wir bereits gekennzeichnet. Als sich die edle Frau damals in Wien von ihrem hohen Gemahl verabschiedete, bat sie ihn in herzlicher Weise, sie doch für ein paar Tage in Territet zu besuchen; er möge es doch verkosten, wie es munde, wenn ein so hoher Herr einmal inkognito reise und sich frei von allem Zwange bewegen könne. Eure Majestät sagte dies freudig zu und fühlte sich dann in Territet so wohl, daß er seinen Aufenthalt sogar um ein paar Tage verlängerte. Hätte man diesen so einfachen Sachverhalt gekannt, so würde man nicht auch bei uns jenen Räubergeschichten auch nur für einen Moment Glauben geschenkt haben, in welchen sich freilich – wir müssen der Wahrheit die Ehre geben – von allem Anfange der auch stake Zweifel mischen, da Personen, welche über die Vorgänge am Hofe genau unterrichtet sind, ohne deshalb zu den Alles vertuschenden Beschwichtigungshofräthen zu gehören, mit voller Bestimmtheit versicherten, daß an all dem Gerede auch nicht ein wahres Wort sei, - man werde sich hievon überzeugen, sobald die hohe Frau wieder nach Ungarn käme.

Und sie kam – sie kam, wurde gesehen und siegte. Schon im Momente ihrer Ankunft waren alle die Besorgnisse verschwunden, welche durch die Gerüchte über den leidenden Zustand der hohen Frau hervorgerufen worden waren. Sie sah blühend aus und seit den zwei Jahren, als sie nicht hier gewesen, hatte sich kaum Etwas an ihr verändert. Dieselbe elegante Gestalt, dasselbe schöne volle Haar, dieselben seelenvollen Augen, dasselbe anmuthige Lächeln um den Mund, dieselbe leise, aber zum Herzen sprechende Stimme, kurz in Allem und Jedem dieselbe gewinnende Erscheinung, welche schon vor 36 Jahren, als wir sie hier zum ersten Male sahen, alle Herzen erobert hatte. Auch die Lebensweise Ihrer Majestät war dieselbe, einfach und natürlich, wie ehedem. Um halb sechs Uhr Morgens verließ sie ihr Lager, machte kurze Toilette und trat dann meist allein einen etwa anderthalbstündigen Spaziergang an.

Mit welcher Ungezwungenheit und Leutseligkeit sie bei solchen Gelegenheiten mit der ländlichen Bevölkerung in der Umgebung des Gödöllöer Schlosses verkehrte, davon haben wir unseren Lesern bereits eine Menge herziger Geschichten erzählt. Nach der Heimkehr gegen 8 Uhr wurde ein kompaktes Frühstück: Kaffee, Fleisch und Eier – die einzige ausgiebige Mahlzeit für den ganzen Tag – genommen und dann kurze Zeit der Ruhe gepflogen. Der Vormittag war durchaus geistiger Beschäftigung gewidmet. Die hohe Frau liest viel und begleitet die Erscheinungen der Literatur mit reger Aufmerksamkeit; für die poetische Veranlagung ihres Gemüthes zeugt schon ihre Verehrung für Heine und sicherlich nicht an ihr war es gelegen, wenn sie ihrer Sympathie für den unsterblichen Dichter in der Matratzengruft außer dem seiner Schwester abgestatteten Besuche nicht auch noch in anderer Weise Ausdruck geben konnte. Mit besonderer Vorliebe betreibt die Kaiserin-Königin neugriechische Studien; sie hat das Land, dessen Bevölkerung und Sprache auf ihren Reisen liebgewonnen und hat es im Neogriechischen schon so weit gebracht, daß sie neugriechische Dichtungen ins Ungarische, sowie ungarische und deutsche Gedichte ins Griechische in sehr gelungener Weise übersetzt.

Eine eigentliche Dinerstunde gibt es für die Kaiserin-Königin nicht, weil es für sie überhaupt kein Diner gibt; sie nimmt irgend eine Speise – meist ein Glas Milch mit etwas Schwarzbrod – zu sich, sobald sie hiezu Lust fühlt, aber die Freuden der Tafel schätzt sie nicht und kennt sie kaum. Am Nachmittag erfolgt dann der große Spaziergang, da Ihrer Majestät, namentlich seit ihr das Reiten nicht mehr gut anschlägt, von den Aerzten starke körperliche Bewegung empfohlen worden ist. Den Abend bringt sie in Gesellschaft ihres erlauchten Gemahls zu, mit welchem sie während ihres jüngsten Aufenthalts an den meisten der schönen Herbstabende im herrlichen Garten des Ofner Schlosses saß, mit Entzücken auf die zu ihren Füßen liegende, im Lichterglanz erstrahlende Stadt und auf den majestätischen Strom niederblickend. Was Eure Majestät beschäftigt, dann unterhielt sich die Königin des Abends mit ihren Damen, deren Zahl eine sehr geringe ist, die aber von Ihrer Majestät mit umso größerer Herzlichkeit behandelt werden. Das Verhältnis der Kaiserin-Königin zu ihren Untergebenen ist überhaupt ein höchst merkwürdiges; man sagt viel zu wenig, wenn man dasselbe nur als Treue für die Herrin bezeichnet. Ich kenne eine Menge dieser Persönlichkeiten männlichen und weiblichen Geschlechts. Sie unterscheiden sich nach ihrem Range, nach ihrem Charakter und Temperamente, aber in Einem stimmen sie Alle überein, in dem Enthusiasmus für ihre königliche Gebieterin, in der geradezu schwärmerischen Liebe, mit welcher sie ihr anhängen.

Einer der höchstgestellten Herren in der Umgebung Ihrer Majestät, der heute kein Jüngling mehr ist, antwortete auf die Frage, ob ihm die vielen Strapazen namentlich während der Reisen nicht schon zu beschwerlich seien: „Gewiß, die Aufgabe ist nicht leicht, allein so lange d i e s e Herrin meine Dienste in Anspruch nehmen will, bleibe ich und werde alle meine Kraft zusammennehmen, um stets den Befehlen Ihrer Majestät entsprechen zu können.“ Bei solcher Besinnung kann man sich beiläufig eine Vorstellung machen von der Entrüstung, welche die oben angedeuteten Gerüchte in der Umgebung der Kaiserin-Königin hervorgerufen haben, und die Empörtheit kannte keine Grenzen, als man wahrnahm, dass jene Niederträchtigkeiten auch nach Ungarn ihren Weg gefunden hatten, ja, als man aus einigen Andeutungen der hohen Frau entnehmen zu können glaubte, dass auch sie einige Kenntnis davon habe, was über sie gesprochen wird.

Dagegen sollte nun Etwas geschehen: das große Publikum, welches namentlich hier zu Lande mit so innigen Sympathien an der Königin hängt, sollte darüber aufgeklärt werden, daß man ihm schändliche Lügen aufgetischt und daß der physische, wie der psychische Zustand Ihrer Majestät ein durchaus normaler sei. Ueber den Z w e c k war man sich also klar, nicht aber auch über die M i t t e l. Man mußte sich leider eingestehen, daß Dementis, namentlich in so delikaten Fragen, welche denn doch nur eine verhüllte Sprache gestatten, eher schaden als nützen und vielleicht auch dort Zweifel erwecken, wo solche bisher nicht vorhanden waren. Der Takt und der bon sens der Königin kam jedoch diesen wohlgemeinten Bemühungen ihrer Getreuen zuvor.

Sie eröffnete ihrem Obersthofmeister, daß sie während ihres Aufenthalts in der ungarischen Haupt- und Residenzstadt einige öffentliche Institute zu besuchen und mit der Bevölkerung häufiger in unmittelbaren Kontakt zu treten entschlossen sei; bezüglich der Ausführung dieses Entschlusses ersuchte sie ihren Obersthofmeister Freiherrn v. Ropesa, sich mit dem ungarischen Minister Präsidenten ins Einvernehmen zu setzen. Nun denn, diese Besuche sind erfolgt und als Draufgabe erschien Ihre Majestät auch noch in einigen Geschäfts-Etablissements, um dieselben in Augenschein zu nehmen und verschiedene Einkäufe zu machen, wobei dann zuletzt natürlich auch der „Kugler“, als eine Budapester Spezialität nicht übergangen werden konnte. Das Ladenmädchen, welches Ihre Majestät dort bedient hat, befand sich noch viele Stunden danach in einer geradezu komischen Ekstase; sie erzählte allen Stammgästen, „sie sei so aufgeregt, daß sie den ganzen Tag über nicht einen Bissen habe essen können“.

Aber auch alle Anderen, Alle, Alle mit denen die Königin in Berührung getreten, Alle, an die sie wenn auch nur einige Worte gerichtet hat, sprechen mit förmlichem Entzücken von ihrer Liebenswürdigkeit, welche den sozialen Abstand zwischen der Sprechenden und den Angesprochenen für einen Moment völlig vergessen macht. Es gehen in dieser Beziehung hundert kleine Geschichten von Mund zu Mund, welche beweisen, daß Ihre Majestät heute hier ebenso populär ist, wie in den Bergen von Ischgl oder Gastein, wo die hohe Frau beim bäuerlichen Volke den Mittelpunkt einer ganzen Reihe rührender Legenden bildet. Auch an einigen heiteren Episoden hat es nicht gefehlt. Das Mártonsche Galanteriewaarengeschäft in der Maitznergasse war, so viel wir uns erinnern, das erste, welches den Besuch der Königin erhielt. Zufällig war der Hofwagen nicht unmittelbar vor dem Portale, sondern vor einem benachbarten Geschäfte stehen geblieben, so dass die Königin welche nur von einer Hofdame begleitet war, ziemlich unbemerkt eintrat. Der Chef des Geschäftes war jedoch glücklicherweise zugegen und hatte auch die hohe Frau sofort erkannt. Allein die Art ihres Erscheinens brachte ihn auf die Vermuthung, daß Ihre Majestät ihr Inkognito unbedingt wahren wolle und so hütete sich auch Herr v. Márton, daßelbe zu verletzen. Das stellte jedoch sein diplomatisches Talent auf eine recht harte Probe, denn „Majestät“ durfte er nicht sagen und die Königin mit „nagyság“ anzusprechen, das brachte er denn doch nicht übers Hers. Die Königin las aus den Mienen unseres wackern Geschäftsmannes, was in ihm vorgehe und fühlte sich dadurch nicht wenig amüsiert; glücklicherweise entschlüpfte der Hofdame schon nach wenigen Minuten ein „felséges asszony“, und nun war auch von Herrn v. Márton der Bann genommen; er konnte seiner Freude über die ihm zutheil gewordene Auszeichnung in beredten Worten Ausdruck geben.

Noch eines hübschen Zuges, der für die Leutseligkeit der Königin spricht, möchten wir hier gedenken. Noch während des Gödöllöer Séjours, hatte die Vorleserin Ihrer Majestät, die Stiftsdame Ida v. Ferencyn für einen Tag, an welchem sie dienstfrei war, da Ihre Majestät einen Besuch in Fóth bei der Gräfin Károlyi vor hatte, die ihr befreundete Gemahlin des Ministers des Innern, Frau v. Hieronymi, zu Tische geladen. Am nämlichen Tage erschien auch Gräfin Katinka Andrássy, und die drei Damen speisten gemüthlich miteinander und verbrachten dann einige Stunden in traulichem Gespräche. Gegen sechs Uhr trat Frau v. Hieronymi die Heimreise an, während Gräfin Andrássy die Rückkehr der Königin abwartet. Einige Tage später besuchte Ihre Majestät eines der hiesigen Wohlthätigkeits-Institute und als ihr unter den Ausschussdamen auch Frau v. Hieronymi vorgestellt wurde, trat die Königin sofort auf sie zu, reichte ihr lächelnd die Hand und sagte: „Es freut mich wirklich recht sehr, Sie hier zu finden. Wie ich gehört habe, waren Sie dieser Tage bei der Ida und ich habe herzlich bedauert, Sie bei meiner Rückkehr nicht mehr angetroffen zu haben...“.

Und nun zum Schlusse noch ein hübsches Wort, welches in seiner Knappheit dennoch so ganz jene Zärtlichkeit widerspiegelt, mit welcher die Kaiserin-Königin an ihrem erlauchten Gemahl hängt. Als der Großwardeiner Bischof den Kardinalshut erhielt und in dieser seiner neuen Würde in Wien seine Antrittsbesuche machte, wollte er sich, wie dies bei Kardinalsernennungen üblich ist, auch Ihrer Majestät der Kaiserin-Königin vorstellen. Es wurde ihm jedoch gesagt, Ihre Majestät werde schon demnächst nach Ungarn kommen und werde sich freuen, den ungarischen Kardinal in seiner Heimath empfangen zu können. Gleichzeitig ließ Ihre Majestät die Bemerkung fallen, daß sie auch den Kardinal Fürstprimas noch nicht kenne, und so meldeten sich denn am vergangenen Sonntag die beiden Kardinäle zur Audienz bei Ihrer Majestät, von welcher sie dann einzeln empfangen wurden. In der Audienz des Fürstprimas kam das Gespräch auf die Schönheit Italiens und Kardinal Vaßary schilderte in lebhaften Worten jene heiteren, glücklichen Tage, welche er unter dem italienischen Himmel verlebte. „Nun, sagte Ihre Majestät, h i e r werden Sie sich jetzt nicht so wohl fühlen.“ „Gewiß nicht, erwiderte der Kardinal, ich habe in letzterer Zeit so manche schwere, sorgenvolle Stunde durchzumachen gehabt.“ „Hát még a szegény király!” (und wie nur erst der arme König!) bemerkte Ihre Majestät mit ihrer leisen, vibrirenden Stimme, aus welcher die ganze Innigkeit ihrer Theilnahme an den schweren Sorgen ihres königilchen Gemahls herausklang. ---

Nun ist sie wieder von uns gegangen und mit schwerem Herzen haben wir sie scheiden gesehen. Hoffentlich wird das nächste Frühjahr sie uns frisch gekräftigt wieder bringen, damit sie noch lange bleiben könne, was sie bisher gewesen: die Lebensfreude ihres Gemahls, die abgöttlich geliebte Mutter ihrer Kinder und der tausend- und tausendfach gesegnete Schutzengel der Armen und Leidenden. Ueberkommt sie vielleicht manchmal ein Gefühl des Unmuths darüber, daß hie und da ihre edelsten Regungen verkannt werden und ihre hochherzigsten Thaten nicht jene Anerkennung finden, deren sie in so hohem Maße würdig wären, nun dann möge sie sich mit dem Gedanken trösten, daß Millionen und Millionen Herzen in aufrichtiger Liebe und Verehrung ihr zugethan sind und möge sie sich jenes schönen türkischen Spruches erinnern:

„Nicht an den Undank’ denk’ voll Zorn,
Wo Thränen sind zu stillen,
Begießest Du ja auch den D o r n
Der R o s e willen.“