Aus dem Archiv des Pester Lloyd

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Aus dem Pester Lloyd von 1910

Ludwig Hatvany

Ludwig Hevesi

Der Schriftsteller und Redakteur des Pester Lloyd, Ludwig Hevesi (geb. 20.12.1843 in Heves), nahm sich am 27.2.1910 in Wien das Leben. Einen Monat später, am 27.3.1910 schrieb sein Freund und Kollege, Baron Lajos (Ludwig) Hatvany (28.10.1880 Hatvan - 12.1.1961 Budapest), zu dem u.a. Thomas Mann rege Kontakte pflegte, diesen sehr persönlichen Nekrolog in die Spalten des Pester Lloyd:

Lieber, guter, alter, brummiger Freund, Meister des schwarzumränderten Zeitungsblattes! Wie weinten deine Worte, wenn du einen Verstorbenen beweintest, wie schluchzten deine Sätze, wenn du um einen schluchztest. Nun soll ich dich beweinen, um dich schluchzen, dich begraben! - Wie saßen wir so oft: ich am Schreibtisch, du mir gegenüber im Fauteuil. In deinen blauen Augen ein verschmitztes Lächeln und doch tiefer Ernst in deinem Ausdruck. Die Gesichtsfarbe ganz rot wie die eines pausbackigen, bald siebzigjährigen Babys. Recht ulkig anzusehen das blonde Greisenhaupt – denn Haare und Bart blieben stets blond.

Wir saßen stundenlang und sprachen wenig. Ich nahm oft einen Anlauf, um zu sprechen, du aber teiltest selbst die radikalst, jugendlichste Ansicht, ich konnte keine Paradoxie aussprechen, der du nicht sofort zunicktest – wie soll man da debattieren? Wozu auch debattieren, wo man doch rauchen kann? Man raucht und man gibt sich im Blick die Versicherung der gegenseitigen Freundschaft. Auch das Seufzen ist äußerst kurzweilig. Wie konnte nur Hevesi seufzen – tief, aus der tiefsten Tiefe der Brust. Und den Seufzern folgte der unausbleibliche Kalauer. Jede halbe Stunde ein Seufzer und ein Kalauer. Ach, diese Wortspiele – die waren dein Stolz! Ich liebte dich zusehr, um nicht mitzulachen, selbst wenn mir bei den unmöglichen, entsetzlichen Kalauern ganz schwach zu Mute war. Ich bin doch kein Priester, um vor einer Bahre beten und lügen zu müssen und so kann ich es nicht verschweigen, dass deine Wortspiele , lieber toter Meister und Namensvetter, grausam und entsetzlich und abgeschmackt waren. Und das Arge, das Allerärgste war, dass sie sich hineinschlichen in deine wundervollen Aufsätze, um auch das tiefste Wort, den gefühltesten, feinsten Satz zu verunstalten.

Hevesis echte Künstlerseele, sein äußerst raffiniertes Kunstempfinden, sein ungeheures Wissen hatten traurige Kämpfe zu führen mit einer vererbten jüdischen Rasseneigenschaft: das Geistreichseinwollen. Er verfiel dem alttestamentarischen Irrtum, dass estwas Gutes gleichbedeutend mit geistreich sei. So entstanden eine Menge toter Bücher: Hevesis humoristische Novellen, Reisebeschreibungen usw. Passons! Waren die auch sein Stolz –  sein Wert, der ihn uns so lieb und unersetzlich macht, lag anderswo. „Ein schwärmender Skeptiker von heute findet das Empfindungswort, an das irgend ein besonderer Leser andere dergleichen reihen kann“, so schrieb der Selbstmörder von gestern noch am 13. Februar über mein letztes Buch. Wollen Sie bitte, statt: schwärmender Skeptiker – weiser Erkenner setzen und Sie haben Hevesis Selbstporträt.

Er war ein Virtuose im Erfinden von derlei suggestiven Worten. Auf das Empfindenlassen selbst der verborgensten, unaufgedecktesten Nuancen seines Kunsteindrucks geht sein Aufsatz aus. Er kann das Flimmern der Farben von der Leinwand mit Worten abschmeicheln, die Stimmung eines Gedichts auffangen im Wort – besonders aber eignet sich das scheinbar Zusammengewürfelte, Beweglich-Lebhafte seines Feuilletons zum Festhalten der Beweglichkeit der Stimmmodulationen des Schauspielers, der vielfachen Buntheit des Szenenwechsels . Ein Spezialist des Schauspielerporträts, der auch im kürzesten Referat erschöpfende Worte und Eindrücke statt Klischee geben konnte.

Ich erinnere mich an eine Premiere von „Rose Bernd“ am Wiener Burgtheater. Nach der großen Szene zwischen der Mutter, die ihr Kind verloren und der schwangeren Magd sagte mit Hevis: „Ich müsste ein französischer Schriftsteller sein, um über diese Szene referieren zu können. Da würde ich ganz frei herausschreiben: Das Gespräch eines Uterus mit dem anderen. Der Dialog von zwei Mutterleibern. Deutsch darf man das nicht.“

Selbst Hevesis Gewagtheiten haben etwas Geziertes, um die gute Form zu wahren. Er kämpft für Sezession und seine Kampfbewegungen sind im reinsten Wiener Zopf stilisiert. Ein pikanter Gegensatz.

Merkwürdig war auch, dass er als Kritiker der bildenden Kunst bedeutend vorgeschrittener war als in der literarischen Kritik. In der Vor-Sacrum-Zeit, um 1898, da die Wiener sezessionistische Zeit begann, schrieb Hevesi: „Die Kunst erneuert sich immer wieder unter Frühlingskämpfen, die eine periodisch wiederkehrende Erscheinung sind. In einer Zeit solcher Verjüngungswesen mitzuleben, ist vielleicht noch schöner, als in einer mit sich fertigen Epoche ruhig dahinzutreiben. Man lauscht und spät und sucht zu erraten, was da werden will...“.

Seine Verdienste um die Beeinflussung des Wiener Geschmacks sind tatsächlich sehr groß. Es war schön anzuhören, wie der stille, gute Mann in kindlich-rührender Überschätzung seiner Verdienste plötzlich gesprächig wurde: „Ich musste erste die Wörter, alle Termini technici prägen für Dinge, die gar nicht da waren. Den Leuten Begriffe vorführen, von denen sie keine Ahnung hatten. Dann kamen erst die Künstler und schufen wie nach einem Rezept.“

Im Kampf für Wiener Kunst und Kunstgewerbe schien er für die wichtigste Kulturerscheinung der Stadt, für die emporblühende Literatur des letzten Dezenniums kein Auge zu haben. Er betrachtet sie sogar nicht ohne Argwohn. Die Neuerer des Pinsels (in Wien doch bloß Nachempfinder) waren ihm willkommen – vor den Neuerern der Feder (den eben im modernen Wien so originellen) schrak er schon zurück. Klimt ja – Altenberg nicht. So kann man sich irren.

Er las selten Modernes. Zwischen zwei Feuilletons über Cezanne oder Olbrich – las er schnell etwas Griechisches.

Vor drei Jahren am Lido. Ich traf ihn – nein, ich traf ihn nicht, ich fiel ganz zufällig auf seinen Namen in der Fremdenliste. Zu treffen war der Mann Zimmer vierhundertundsoundsoviel. Was doch heißen will: Vierter Stock. Brühwarme Tage. Unten tummelt die Menschheit in Toiletten, die keine Toiletten sind! - Hevesi in seiner Dachkammer, in dicken Kleidern, schreibt Feuilletons. Drei verschiedene Feuilletons an verschieden Zeitungen über dieselbe venezianische Ausstellung. Es wird doch nicht immer geschrieben. Man muss sich zuweilen ein wenig Ruhe gönnen. - Da geht man nun hin und... Sie meine, dass er vielleicht spazieren ging oder bloß das Fenster öffnete und hinausguckte aufs Meer? - nein, nein!! - er schlief vielleicht? I wo! Hevesi las, wenn er sich ausruhen wollte, doch er las keine Zeitung, er las: Demosthenes las er.

Demosthenes, im Juni, in einer glühenden Mansarde!

„Sehen Sie, Herr Philologe,“ sagte er mir schmunzelnd, „so unterhält sich ein Journalist.“

Er war nicht zu bewegen, vor Abend das Zimmer zu verlassen. Abends, da saßen wir dann zusammen im Kaffeehaus auf der Brücke. Wir schwiegen gewohnheitsmäßig. Plötzlich stieg ein rötlich-großer Vollmond übers Meer. Hevesi begann: „Es ist schwer zu verstehen, dass die Menschen auf die Idee einer unsichtbaren Gottheit kamen, wo es doch nichts augenfällig Göttlicheres gibt als solch ein Anblick. Ich könnte mich gut als Priester des rötlichen Vollmondes denken. Es wäre schön, hier am Gestade dieser Gottheit ein Opfer selbsteigenhändig darzubringen.“ Der Dichter Hevesi verstummte, der Feuilletonsklave setzte hinzu: „Sehen Sie, so arbeitet mein Gehirn, ich könnte über dieses Thema einen Aufsatz schreiben“ - und der armselige Humorist vollendete den Satz: „Auch das Thema einer Humoreske ist mir soeben eingefallen.“ Er erzählte es sogleich – längst ist es meinem Gedächtnis entfallen – doch ich trage das Bewusstsein in mir: es ist nicht schade darum.

Wir gingen dann los auf einen Spaziergang am Ufer. Die vom Mond hell blutenden Wellen kräuselten sich am Gestade. Hevesi, mit dem breitkrempigen Hut in der Hand, blickte oft hinaus auf das Meer – seufzte, brummte, krächzte so nach seiner eigen Art und sprach dann von der Ausstellung, die er im Laufe des Sommers noch zu beschreiben gedachte. Eine einsame Pilgerreise, eine Sommerwallfahrt, ein Ferienkreuzzug von Ausstellung zu Ausstellung. Kein vollendeter Meister, für den er keine offene Empfänglichkeit gehabt hätte, kein Taster, dessen Tasten er nicht aufgeregt wachen Sinnes gefolgt wäre. Eine diabolische Gabe der Erinnerung. Das Bild, das er vor Jahren in einer Provinzausstellung über einer Tür hängen sah, die Reproduktion, die er in einem Sammelwerk gesehen, Namen, Biographien, Kuriosa der Welt- und Kunstgeschichte – wie hatte er das alles inne. Den Schriften dieses Vielschreibers kann man Vertrauen entgegenbringen, wie denen eines Monographisten. Er las deutsch, französisch, englisch, spanisch, ungarisch, lateinisch und griechisch – in jedem Fach war er Fachmann.

Als er die große Freundlichkeit hatte, die Korrekturen eines Büchleins von mir über Philologie duchzusehen, stand ich beschämt und erstaunt vor dem Manne, der in jedem Studienzweig, den ich seit Jahren ausschließlich trieb, besser Bescheid wusste als ich selbst. Korrekturen für andere zu machen und sich als Meister im Fach des anderen zu zeigen, war überhaupt sein Sport. Bald besserte er ein Buch über Bosnien aus und erwies sich als Fachmann in staatsrechtlichen, ethnographischen Fragen, bald wiederum die Memoiren einer Dame vom Wiener Hofe. Als er eben mit dieser Arbeit beschäftigt war, traf ich ihn zuletzt im vorigen Sommer im Foyer eines Münchner Hotels. Er las den Schweizer Baedeker. Die Memoirenschreiberin verwechselte nach Hevesis Meinung zwei Bergspitzen, auch fehlten über dem Namen eines Tales in der französischen Schweiz das accent grave. Diese großen Probleme mußten gelöst werden. Er blätterte, blätterte emsig, bis er schließlich die Stellen fand und die Ausbesserung treffen konnte.

Seine Bibliothek spricht von seiner Polyhistorie. Aber von keiner wüsten, unpersönlichen. Der sonderbare Mensch mit dem sonderbaren Geschmack tut sich überall kund. Natürlich auch in der Bibliothek. Hunderte Utopien. Reisen in den Mond, in die Sterne, lateinische Gedichte über wunderliche Reiseabenteuer, allerhand über das dunkle Reich des sechsten Sinnes, der fünften Dimension usw. Und wie das alles herumliegt auf dem Boden, auf Pulten, auf Tischen, in den Regalen des Schrankes, auf den verstaubten Fauteuils! Hevesis Schreibtisch ist förmlich verbarrikadiert hinter diesem papiernem Mauerwerk: Er steht auf und zeigt dem Gast die Schätze der Bibliothek. Und nun holt er ein Buch nach dem anderen hervor. Jedes Buch eine Rarität, die ihre Geschichte hat. Jahrelang war Hevesi auf der Lauer, bis er solch eine Beute endlich erlegt hatte. Von der Wonne der ersten Lektüre sprachen eine Menge kleiner Anmerkungen. Hevesi hatte, wie Saint-Beuve sagt: Le gout de la note au bout de la page. Übrigens die Eigenheit jedes großen Kritikers. Sie sind die Erste Entladung der Begeisterung, des Ärgers, des Lyrismus des kritischen Verstandes. Travellyan hat die Marginalien Macaulays, Scherer und Traubat die von Saint-Beuve herausgegeben. Wer gibt uns die Randbemerkungen Hevesis?

Ich sehe noch die kleinen Lettern unter dem gedruckten Text. Freudestrahlenden Auges hat sie mein wunderlicher Freund geschrieben vor Entzücken über eine schöne Stelle. Dann stehen ganz gelehrte Noten darin; schwere Wissenschaft: Philologen und Historikern den Mund wässrig zu machen. Auch der schlechte Witzbold treibt da sein unheimliches Wesen.

Ich ziehe ein Buch aufs Geratewohl aus der Äschylosreihe (Äschylos war Hevesis besonderer Liebling). „Mein Reise-Äschylos“, bemerkte Hevesi. Ich öffnete das Büchlein. Vollgekritzelt. Kaum zu entziffernde Bemerkungen. Endlich entdecke ich irgendwo das Wort: „Maces!“ Mit Ausrufungszeichen. Ja, was ist denn das? „Da wird im Drama übe das Sklavenbrot der Verbannung gesprochen – µa??? d???a? – ich freue mich, das Wort Maces, das mich an meine Kindheit gemahnt, im Äschylos zu entdecken.“

Ich blättere schnell weiter, um mein Entsetzen zu maskieren. Nun sehe ich die Glosse: Shakespeare in Äschylos. Ich dachte, vielleicht verspürt hier Hevesi eine interessante Analogie und er spricht mir darüber. „ds??pa?t?? meinte er, also Speererschütterer, was doch heißen will Shakespeare. Sehen Sie, so lese ich, ich achte eben auf alles.“ Wie ein stiller Triumph in seinem Antlitz. Und ich klappte das Buch ganz schnell wieder zu und reihte es unbemerkt der Bibliothek ein.

Merkwürdig, dass dieser Mann mit den Jean Paulschen abstrusen, schnurrigen Ideen, Assoziationen und Kenntnissen so wenig Sinn für echten deutschen Humor hatte. Gottfried Keller schien ihm zu langspurig. Überhaupt war er mit dem deutschen Roman im ewigen Hader. Selbst Wilhelm Meister war nicht sein Fall. „So was entsteht nur in einer kleinen Stadt; von einem Mann geschrieben, der in eine alternde Frau mit sechs Kindern, wie diese Frau von Stein war, sich verlieben konnte.“ So sprach Hevesi, als ob er das Revolutionäre, die Lebensfülle dieses Provinzromans nie verspürt hätte.

Und nun, o seltsame Verknüpfung irdischer Dinge! - dieser Mann der bösen Wortspiele, des Lebensabscheus, der talmudistischen Lektüre – ging in eine Galerie oder ins Theater und plötzlich, als ob von der Welt in den Weltfernen sich ein Strom von Leben ergösse – füllte den Outsider des Lebens, Lebensgefühl bis zum Rand. Er war allen voraus. Keiner so empfänglich, die Zeitbedürfnisse so fühlend. In jenem erwähnten Feuilleton vom 13. Februar hieß es noch, nach wundervollen Dithyramben auf alles Neue, Frische, Lebendige (wer mochte dahinter den Mann mit Selbstmordgedanken ahnen?): „Wir fordern, seitdem uns das Rufen gegeben, das starke, freie Bekenntnis der Zeitkunst.“

Jeder Aufsatz ist ein Zujubeln, ein Hutschwenken vor Zukunft, Jugend, Neuerung. Dabei kein Heißsporn, kein Draufgeher, kein „Überdieschnurhauer“ - ein stiller Hellseher, oder wie er sagt, Hellfühler war er alles Kommenden. Ein weltferner Sonderling, der in den kunstvoll gesponnenen Netzen der Kritik die Zukunft auffängt.

Wir gingen einst zur Besichtigung eines Schlosses aus dem XVIII. Jahrhundert. Der Hausherr erzählte stolz, wie er einen Saal im Stil renovieren ließ. „Wozu das“, rief Hevesi entsetzt. „Es gibt nichts Barbarischeres, als dieses historische Stilisieren. Eine Erfindung unseres historisch-barbarischen Jahrhunderts. Ein Raum im Gebäude ist wie ein Gebäude in der Natur. Jedes zweckentsprechende, gut gebaute Haus passt in die Natur. So past auch eine jede gute Einrichtung in ein jedes gute Haus. Der Saal müsste hochmodern eingerichtet sein – eben dieses Unhistorische wäre auch im Sinne des XVIII. Jahrhunderts!“

So frei und liberal dachte Hevesi in Sachen der Kunst. Um diese Anschauungen zu verbreiten, arbeitete er in der Feuilletonfabrik von früh bis abend – von abend bis früh morgen. In den vielen Feuilletons, die er über den selben Gegenstand schrieb – wegen der Berichterstattung für verschiedene Zeitungen – nie eine Wiederholung. Ein Sprudelquell von Einfällen, Ideen, Wendungen. Ut flueret lutulentus, erat quot tollere velles. (Es ist gut, Horaz zu zitieren, wenn man vom letzten Humanisten der modernen Journalistik spricht.)

Warum schrieb dieser Schreiber? Warum kämpfte dieser Kämpfer? Was erhoffte dieser Hoffnungsspender? Ich sagte ihm einmal: „Sie sind beneidenswert in Ihrem Fleiß, für Ihre kolossale Arbeitskraft und für die Leichtigkeit Ihre immer jungen Talents.“ Er schüttelte den Kopf: „Man gewöhnt sich an das Schreiben – während der Arbeit tauchen immer neue Einfälle auf und die verarbeitet man nun, wenn man zur Arbeit dressiert ist. Das Leben gibt einem Kieselsteine und die schleift man so lange, bis sie glitzern wie Opale. Und das ist mein Handwerk.“

Ein tiefer Seufzer. Rauchqualm.

„Ja, lieber, junger Freund, man arbeitet wie die Menschen gearbeitet haben, deren kuriose Werke ich sammle. Vielleicht kommt im nächsten Jahrhundert solch ein Kauz wie ich einer war und wird mich ausgraben. Und so rollt man eben durch alle Zeiten weiter.“

So sprach er zu mir an einem lauen Sommerabend. Nie wieder sollten wir uns sehen. Ich dachte nachts nicht ohne Mitleid an den traurigen Mann, der sich mit Feuilletonschreiberei über das Leben hinwegtäuschen wollte.

Heute, da mich seine Todesnachricht erreicht – schon wieder will es Frühling werden! - heute rage ich mich zagend: Vielleicht hat dieser Mann Recht gehabt? Recht, indem er so gelebt, und Recht, indem er so starb.

An einem jubelnden Vorfrühlingssonntag schrieb er vier Briefe, hat dann die Bücher schön weggeschoben, drei Kerzen auf den Tisch vor den Spiegel gestellt – und nun folgt ein Knall.

Mein Freund, mein guter, alter Gönner, der Gönner und Freund jeder Jugend ist tot. Der Mann, der für die Zukunft focht, hat seinem Leben solch ein Ende gemacht.

Seht doch, Stürmer und Dränger, Draufgeher, Zukunftserschließer, Umstürzler, Erlöser, meine Freunde, meine Feinde, mein Blut, mein rauschendes Blut – seht doch, seht!

Kann man euch über Leben und Kämpfen eine größere Lektion geben?

Gute Nacht teurer Kämpfer – wir senken das Haupt und wünschen dir gute, stille Nacht. Wir haben keine Zeit mehr, hier länger zu verharren. Man ruft uns. Man ruft uns zum Küssen, zum Lernen, zum Ringen, zum Schreiben, zum Hadern, zum Lesen, zum Hören, zum Sehen – zum Leben ruft man uns. Wir verlassen dich, toter Soldat.

Und wir alle, die nun davongehen ohne den Kult der Trauer weiter uns zu pflegen, wir haben das Gefühl, als ob wir deinen Geboten gehorchen, deinen Segen in uns trügen.

Ave magistre, victuri te salutant!