Aus dem Archiv des Pester Lloyd

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Aus dem Pester Lloyd von 1911

Theodore Roosevelt

Mord bleibt Mord

Theodor Roosevelt besuchte 1911 Ungarn. 1909 endete dessen Präsidentschaft, danach ging er auf eine ausgedehnte Afrika-Safari, wo er und seine Gesellschaft tausende Tiere erlegten - für die Wissenschaft. Aus dem Anlass des Budapest-Besuches berichtete der Pester Lloyd sehr ausführlich, Graf Apponyi, ständestaatlichees Urgestein, Unterrichtsminister, später Chefverhandler in Trianon und Dutzenfdacher Leitartikler dieser Zeitung, traf sich mehrmals mit dem Ex-Präsidenten. Roosevelts Aufsatz ist ein Plädoyer für “gleiches Recht für Alle”, das Damals wie Heute Teil des zivilisatorischen Kampfes des Menschen mit sich selbst ist. m.s.

Am 1. Oktober vorigen Jahres wurde das Gebäude der Los Angeles „Times“ in die Luft gesprengt, wobei zwanzig Menschen ums Leben kamen. Seither erfolgte eine Reihe ähnlicher Attentate durchweg gegen Gebäude, deren Konstruktion in den Händen von Firmen lag, welche sich gewissen Forderungen der Arbeiterunion nicht fügen wollten. Nach einer langwierigen, sehr peinlich geführten Untersuchungen, welche in den Händen des gegenwärtig berühmten Detektivs Mr. Burns lag, wurden der Sekretär und Schatzmeister der Eisenkonstrukteurunion, sowie einige andere Mitglieder derselben Union, als die mutmaßlichen Täter verhaftet und an die kalifornischen Gerichte eingeliefert.

Dieser Schritt ist von den Führern des Unionverbandes mit der Erklärung beantwortet worden, daß es sich um eine systematische Verschwörung handle, durch welche die Arbeitgeber sich einiger gefährlicher Widersacher entledigen wollen, denen selbst die Rechtswohltat eines ordnungsmäßig geführten Prozesses entzogen werden soll. Diese Anschuldigung hat im ganzen Lande, auch in Kreisen, deren Arbeiterfreundlichkeit zweifellos ist, peinliche Überraschung hervorgerufen, weil es bei den vielfachen Kämpfen zwischen Kapital und Arbeit bisher noch nie vorgekommen ist, daß eine Partei angesichts eines schwebenden Gerichtsverfahrens schlankweg die Schuldlosigkeit ihrer Angehörigen proklamiert und die Gegenseite eines Vorgehens beschuldigt hätte, welches an sich verbrecherisch erscheinen würde. Gegen diese Stellungnahme des obersten Arbeiterführers Samuel Gompers richten sich die folgenden Ausführungen von Theodore Roosevelt, die bei dem außergewöhnlichen Charakter des ganzen Falles auch für das Ausland von großem Interesse sein dürften.

* * *
Die Verhaftung einiger Arbeiterführer in Verbindung mit den gegen die Los Angeles „Times“ erfolgten Dynamitgreueln fordern nach einer Richtung besondere Beachtung heraus. Wenn diese Explosion nicht das Werk eines Zufalles, sondern die überlegte Tat irgendwelcher Männer gewesen ist, erscheint sie als eine besonders feige Rechtsverletzung, als eines jener Verbrechen, bei welchen ein Mörder, um sich Genugtuung gegen ein bestimmtes Individuum zu schaffen, nicht nur das Eigentum desselben zerstört, sondern mit gefühlloser Gleichgültigkeit das Leben Dutzender von Unschuldigen vernichtet, was für ihn nicht mehr als einen Begleitumstand seiner nichtswürdigen und kriminellen Absicht bedeutet. Die Männer, welche für das Dynamitattentat gegen das Gebäude der Los Angeles „Times“ verantwortlich sind, sind nicht nur für die Zerstörung dieses Gebäudes, sondern auch für die dabei verloren gegangenen Menschenleben verantwortlich zu halten.

Ihre Verhaftung erfolgte aufgrund eines Materials, das von Mr. Burns beschafft wurde, der die rechte Hand von Mr. Heney gewesen ist, als es sich darum handelte, jene Schwindler zur Strecke zu bringen, die sich gegen die Bundesgesetze in Oregon, die Gesetze des Staates Kalifornien in San Francisco vergangen haben. Er ist damals mit unbeugsamer Strenge gegen die einflußeichen Politiker und die reichen Geschäftsleute vorgegangen. Zufälligerweise sind die Männer, welche er diesmal verhaften ließ, Mitglieder einer Arbeiterorganisation, genauso wie sie früher Mitglieder der republikanischen und demokratischen oder der mächtigen und reichen Korporationen gewesen sind.

Es wäre verächtlich gewesen, wenn in den früheren Fällen, mit welchen Herr Burns zu tun hatte, etwa die Führer der Demokraten und Republikaner sich zusammengetan hätten, um ihn aktionsunfähig zu machen und die Beschuldigten bloß deshalb zu unterstützen, weil sie Parteiangehörige sind. Ebenso wäre es verächtlich gewesen, wenn unsere führenden Kapitalisten und Geschäftsmänner ein Gleiches getan hätten, weil es sich um Angehörige ihrer Kreise gehandelt hat. Deshalb aber muß die Haltung jener Arbeiterführer entschiedenst zurückgewiesen werden, die ohne die Feststellung näherer Tatsachen abzuwarten, sich sofort öffentlich auf die Seite der Beschuldigten gestellt haben und diese Verhaftungen ernstlich als den Teil einer organisierten Verschwörung gegen die Unions bezeichnen.

Diese Führer können der Sache der Arbeiterverbände kaum einen schlechteren Dienst leisten, als wenn sie dieselbe direkte mit der Angelegenheit irgendeines Mannes identifizieren, der einer mörderischen Attacke der erwähnten Art schuldig scheint. Ich weiß natürlich nicht, ob die Männer, die auf Grund der Beweise des Herrn Burns verhaftet wurden, schuldig sind oder nicht, aber die Arbeiterführer wissen das ebenso wenig. Die Beschuldigten sind zu einem absolut fairen Prozesse berechtigt. Wenn sie nicht selbst die Mittel besitzen, um sich geeigneten Rechtsschutz zu schaffen, ist dagegen nicht einzuwenden, daß irgendeine Gruppe von Männern ihnen diese Mittel schafft, damit sie dieses Rechtsschutzes ganz sicher sind. Durchaus unzulässig aber ist es, die öffentliche Meinung nur aus dem Grunde zugunsten der Beschuldigten beeinflussen zu wollen, weil ihr Verbrechen gegen Kapitalisten und Korporationen gerichtet war und weil sie selbst Mitglieder einer Arbeitervereinigung gewesen sind. Das bedeutet genau dieselbe Rechtsverletzung, als wenn anläßlich der vor drei Jahren wegen Zolldefraudationen im Newporter Hafen gegen den Zuckertrust erhobenen Anklage sich alle unsere Kapitalisten hinter die Beschuldigten gestellt hätten mit der Begründung, daß diese Anklage gegen den Zuckertrust eine solche gegen das Kapital überhaupt bedeute.

Zweifellos hat es in der Vergangenheit Versuche dieser Art gegeben; sie waren stets verdammungswürdig, wie mächtig und reich auch die in Frage stehenden Personen gewesen sind. Dieselbe Haltung muß man aber der Tatsache gegenüber einnehmen, daß die Sache des Unionismus mit einem angeblichen Morde identifiziert werden soll. An den anständigen und dem Gesetze Gehorsam leistenden Arbeiter muß da genau so appelliert werden, wie vorher an den anständigen und dem Gesetze gehorsamen Geschäftsmann. Beide sind in erster Linie amerikanische Bürger, von denen man erwarten darf, daß ihre Haltung in einer fundamentalen Frage von Moral und Bürgertugend durchaus identisch sein wird. Die Frage der organisierten Arbeit oder des organisierten Kapitals oder der Beziehungen beider zum Staate hat mit der vorliegenden Angelegenheit nicht das mindeste zu tun.

Das einzige Problem, vor dem wir stehen, bildet es, ob die Angeklagten tatsächlich eines Mordes unter besonders grausamen und widerwärtigen Begleitumständen schuldig sind. Ob wir uns dabei mit der von der Los Angeles „Times“ vertretenen politischen Haltung einverstanden erklären oder nicht, hat damit gar nichts zu tun. Die Unterdrückung solcher mörderischer Gewaltakte – unter Umständen, die den Gebrauch von Dynamit als eine besonders feige Infamie erscheinen lassen – muß die oberste Aufgabe jeder Zivilisation bilden, welche diesen Namen verdient. Ob der Angegriffene ein Kapitalist oder ein Sozialist, ein Lohnarbeiter oder ein Professioneller war, hat mit dieser Frage gar nichts zu tun, ebenso wenig, ob die Angreifer irgendeiner Vereinigung, sei sie nun eine der Arbeit oder des Kapitals, der Gesellschaft oder der Religion, angehören. Schuld oder Unschuld der Angeklagten bildet das einzige beachtenswerte Problem. Wer immer versucht, sie zu überführen, falls er sie wirklich unschuldig weiß, macht sich genau so einer Verletzung der Gesetze schuldig wie jener andere, der ihren Freispruch anstrebt, trotzdem er sie schuldig weiß.