Aus dem Archiv des Pester Lloyd

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Aus dem Pester Lloyd von 1911

Bertha von Suttner

Aphorismen zu Krieg und Frieden

Einführendes zu Bertha v. Suttner hier

Das Land A schwört hoch und teuer, dass es
den Frieden will und sich nur so furchtbar macht, weil sonst
das Land B den Frieden bräche. Genau dasselbe sagt
B mit Bezug auf A. Beide zeigen sich die Zähne: sonderbare freundnachbarliche Beziehungen! Beide parieren:
sonderbares Duell!
* * *
Die Völker hätten wohl Lust, den Kriegserklärern zu sagen: „Wenn ihr schon um Länderstreifen Würfel spielen wollt, dann tut es – aber nicht mit unseren Knochen“.
* * *
Die Zeit wird hoffentlich kommen,
in welcher der Webstuhl der Geschichte nicht mehr
in so genannten „Kabinetten“ stehen wird,
wo die hin und her fliegenden Schiffchen in Gestalt von Diplomaten die Fäden so lange durchkreuzen,
bis ein buntes Schlachtengemälde daraus wird.
* * *
Ein gebeugter Nacken – ist das schön?
Nein, schön ist das zurückgeworfene Haupt.
* * *
Die Geschichte wird eine Kette von Gräueln
bleiben, so lange der Kulturmensch nicht erkennt, dass für keinerlei Zweck Mittel angewendet werden dürfen,
die weniger rein sind als der Zweck.
* * *
Die landläufige Wohltätigkeit ist Flickarbeit.
Was die Menschheit heute braucht, ist nicht das Putzen und Stopfen ihres fleckigen, geschlissenen alten Kleides; es gilt,
ihr ein neues, festes Gewand zu weben.
* * *
Befreien, erlösen: das sind Aufgaben, die man
nicht erfüllt, indem man aus Füllhörnern Blumen schüttet,
sondern indem man mit wuchtigen Hieben Ketten sprengt, mit kühn geschwungenem Speer Drachen fällt, oder mit zornig geschwungener Peitsche einen Tempel reinfegt.
* * *
Die Rücksicht auf das Lachen der Toren
würde alles Fortschreiten der Weisheit hindern.
* * *
Was uns einst mit Jubel erfüllte, hat vielleicht den Grund zu unserem jetzigen Jammer gelegt, und was uns den längst verhallten Schmerzensschrei entriss, ist vielleicht noch als Bestandteil unseres heutigen Glücks enthalten.
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Was Gewohnheiten stört, Gewohnheiten des Denkens und des Tuns, dem gehen die Leute aus dem Weg
– selbst, wenn es sich um Aufhebung eines Übels handelt.
„Ein Übel, das zwei Jahre gedauert hat“, sagt ein japanisches Sprichwort, „wird zur Notwendigkeit.“
* * *
Wann werden die Menschen einsehen,
dass es Höheres gibt als Ehren, nämlich die Ehre;
Besseres als Würden, nämlich die Würde;
und Unumstößlicheres als alle Rechte, nämlich das Recht?
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Die moderne Technik stattet uns mit Kräften aus,
von so ungeheurer Wucht, dass sie unsere Erde zu einem
Himmel machen könnte oder – zur Hölle. Alles wird verhundertfacht, vertausendfacht: die Schnelligkeit, das Licht, die Schöpfungs- und Vernichtungsgewalt.
Der Wert von tausend Stunden Hände- oder Geistesarbeit kann in die Leistung einer Sekunde gepresst werden
und tausend Todesqualen – in eine Bombe.
* * *
Nur nie eine Predigt, einen Vorwurf, nicht einmal eine Ermahnung im Augenblick des Gebens. Die Hand, welche eine Gabe reicht, soll zugleich eine Liebkosung bringen.
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Der Rausch des Putzes kann so betäuben,
dass durch ihn alles andere Bewusstsein in den Hintergrund gedrängt, die ganze Existenz von Spitzen, Stoffen
und Geschmeiden verwandelt wird. Wie viele
Frauen stürzen in den seidenen Abgrund!
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Nur das Edle ist fromm, mag auch das Unedle siegen.
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Aberglauben und Vorurteile, das sind die großen Fossilien alter Unvernunftsformationen, die mitten
in unsere Vernunftsepoche hineinragen.
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Das Misstrauen gegen andere Völker, das beinahe zur patriotischen Pflicht gemacht wird, ist nur
– das sollte man doch endlich durchschauen –
das Instrument, das von den Kriegsparteien aller Länder angewendet wird, um die rüstungssteigernde Stimmung zu erhalten, um das Kriegsfeuer anzufachen. Misstrauen ist die Lebenslust des para-bellum-Systems.
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Alt sein heißt: von der Zukunft nichts mehr erwarten.
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Straßen pflegen ist ganz schön – Bahn brechen schöner.
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Das Umherflatternde ballt sich zusammen und
verdichtet sich. So entstehen Planeten und – Institutionen.
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„Den Krieg abschaffen? Das widerspricht doch dem historischen Gesetz! Zeigt denn die Geschichte nicht, dass...“ Ach, Geschichte, Geschichte! Macht sie uns oder machen wir sie? Wenn wir in den Spiegel Fratzen schneiden, dürfen wir dann sagen: Fratzen seien das Gesetz des Spiegels?
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Wenn ein neuer Völkerzwist heranzieht oder ausgebrochen ist, dann lese man nicht die neuen Zeitungen, sondern die, welche vom vorigen Krieg datieren, und man wird sehen, welcher Wahrheitswert all den Prophezeiungen und Prahlereien innewohnt – d a s ist lehrreich.