Aus dem Archiv des Pester Lloyd

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(c) Pester Lloyd / Archiv

 

Aus dem Pester Lloyd von 1913

Franz v. Kossuth
Geheimer Rat, Minister a.D., Reichstagsabgeordneter

Ungarn und der Dreibund

Der „Pester Lloyd“ begeht die sechzigste Jahreswende seines Bestandes. Seitdem ich, von der Überzeugung beseelt, meinem Vaterlande gegenüber dadurch eine Pflicht zu erfüllen, heimgekehrt bin, ist der „Pester Lloyd“ konsequent mir stets ein politischer Gegner gewesen. Allein ich weiß die Folgerichtigkeit auch in meinen Gegnern zu achten. Und wenn sie einen Beruf haben, den sie zum Besten unseres Vaterlandes erfüllen können, so begrüße ich auch meine Gegner an Marksteinen ihres Lebensweges und ich wünsche ihnen Glück zum Weiterbeschreiten der immer schwieriger werdenden Laufbahn der Publizistik.

Dem „Pester Lloyd“ war sofort nach seinem Entstehen ein hoher Beruf zugedacht von denjenigen, die den siebenundechziger Ausgleich geschaffen hatten. Weiland Graf Julius Andrassy und seine Führergenossen stellten, sobald die Verhältnisse es gestatteten, Max Falk an die Spitze der Redaktion und gaben diesem und dem Blatte die Bestimmung, die österreichische und die deutsche Öffentlichkeit über die ungarischen Verhältnisse in wahrheitsgetreuer Weise auf dem laufenden zu erhalten. Durch vier Jahrzehnte diente Max Falk im Geiste seiner Auffassung folgerichtig und mit unbestrittener Autorität den siebenundsechziger Grundsätzen. Er selbst weilt nicht mehr unter den Lebenden. Aber das Blatt, mit dem sein Name verflochten ist, befindet sich in der Lage, auch jetzt noch die Bestimmung erfüllen zu können, die ihm von Julius Andrassy zugedacht war, auch jetzt noch die Öffentlichkeit Oesterreichs und Deutschlands über die ungarischen Verhältnisse wahrheitsgetreu zu informieren. Zu solcher Dienstleistung erschlösse sich ihm auch dermalen Gelegenheit; doch will ich mich hierüber aus begreiflichen Gründen bei diesem Anlasse nicht äußern.

Allein ein Beispiel kann ich anführen: Der „Pester Lloyd“ ist ein Anhänger des Dreibundes, dessen Bestand auch ich als unser hervorragendes Interesse betrachte. Nun kann der „Pester Lloyd“ wahrgenommen haben, daß in einem Teile der ungarischen öffentlichen Meinungen diesfalls eine große Wandlung sich zu vollziehen anschickt, von deren Ursachen er in Gemäßheit seiner obengedachten Bestimmung die österreichische und die deutsche Oeffentlichkeit zu informieren vermöchte. Immer häufiger erheben sich hierzulande Stimmen gegen den Dreibund, weil die ungarische Nation sieht und fühlt, daß diese Monarchie innerhalb des Dreibundes (offensichtlicherweise unter den Impulsen des Deutschen Reiches) unausgesetzt rüstet, unablässig ihre Wehrmacht steigert und nunmehr auch zur See noch Hunderte und aber Hunderte Millionen auszugeben im Begriffe ist.

In Ungarn verschließt sich, wie ich glaube, niemand der Einsicht, daß diese aus zwei Staaten bestehende Monarchie inmitten der europäischen Verhältnisse ein starkes Heer besitzen muß; indes um vieles geringer ist die Zahl derjenigen, die ein Verständnis dafür aufbringen, warum die Monarchie plötzlich auch noch eine starke Kriegsflotte schaffen müsse.

Was die starke Armee betrifft, so hat deren Notwendigkeit auch die Unabhängigkeitspartei stets eingesehen; allein da die Kraft der Armeen nicht nur in der Zahl ihrer Soldaten wurzelt, sondern (in vielleicht noch höherem Maße) in den moralischen Kräften, hat die Partei die Beistellung der namhaften materiellen Opfer für das Heer an die Geltendmachung der natürlichen Rechte dieser Nation geknüpft. Ich erwähne dies bloß, um feststellen zu dürfen, daß auch die Opposition die Notwendigkeit eines starken Heeres immer eingesehen hat.

Allein es dringt in Ungarn die Ueberzeugung in immer weitere Kreise ein, daß die für das Heer und hauptsächlich für die Kriegsmarine gebrachten Opfer nachgerade über die Tragfähigkeit des Landes hinausgehen, und es steigt die Besorgnis auf, daß eben infolge dieser riesigen materiellen Erschöpfung der Fall eintreten könnte, daß wir zwar über eine Wehrmacht verfügen, es uns aber an dem zur Kriegführung vielleicht noch notwendigeren Mittel, an dem Gelde, fehlen wird.

Immer mehr greift die Auffassung um sich, die übermäßigen Rüstungen werden entweder zum wirtschaftlichen Ruin oder zum Kriege führen, und gerade das zur Abwehr des Krieges bestimmte Mittel werde zum wirksamsten Förderer des Krieges werden.

Immer größer wird die Anzahl derer, die auf Italiens Beispiel hinweisen, dms den Dreibund ebenfalls angehört und der Vorteile des Dreibundes teilhaftig ist, die Lasten desselben jedoch im Verhältnisse seines Leistungsvermögens und auch innerhalb des Bündnisses die besten Beziehungen zu Frankreich unterhält.

Es ist ratsam, daß die österreichische und die deutsche Oeffentlichkeit das Umsichgreifen dieser Stimmung in Ungarn erfährt; die Konstatierung einer unbestreitbarenTatsache bedeutet ja keineswegs eine politische Parteinahme, kann mithin nicht gegen die Folgerichtigkeit verstoßen, die eine Tradition des „Pester Lloyd“ bildet, der auch die politischen Gegner dieses Blattes ihre Anerkennung nie versagt haben.