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Aus dem Pester Lloyd von 1914

Max Nordau

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Die Frau in der Politik

Man lese aus diesen Betrachtungen nicht etwa eine offene oder versteckte Stellungnahme gegen die Frauenrechte heraus. Ich bin für die Rechtsgleichheit beider Geschlechter im öffentlichen wie im privaten Leben, wobei ich unerörtert lasse, ob das weibliche Geschlecht dann nicht gegen seine jetzige vielfach bervorrechtete Stellung schlechter fahren würde. Man bewaffne die Frau um alles in der Welt mit dem Stimmzettel für politische Wahlen. Ich bezweifle nur, dass ihr durch die Urne dieselben Erfolge beschieden sein werden, wie durch ihre persönliche Einwirkung auf die Männer, in deren Händen politische Entscheidungen liegen.

Das Paradigma des weiblichen Eingreifens in die Politik hat mir immer der Erfolg von Salome bei Herodes geschieden. Ihre Mutter war unzufrieden mit Iochanaan, der mit regierungsfeindlichen Reden das Volk gegen sie aufwiegelte. Das anschlägige Töchterchen führte vor dem idumäischen Kenner einen Bauchtanz aus, und sie hatte den Kopf des Demagogen. Ob sie wohl mit dem Frauenstimmrecht ebenso rasch und sicher an ihr Ziel gelangt wäre? Es sollte ihr schwer geworden sein, auf dem regelrechten verfassungsmäßigen Wege eine Mehrheit wählen zu lassen und von den Mameluken des Sanhedrins Iochanaans Verurteilung zum Tode zu erlangen. Ganz ähnlich liegt der Fall der Königin Esther.

Der Ministerpräsident Haman hatte ihren begründeten Haß erregt. Wenn sie darauf gewartet hätte, bis ein Misstrauensvotum der Kammer ihn gestürzt hätte, würde sie wohl lange haben warten müssen. Haman regierte mit einem antisemitischen Programm, das sicher geeignet war, eine große Mehrheit um ihn zu sammeln und an dem die Opposition sich die Zähne ausgebissen hätte. Aber Esther arbeitete nicht mit der Methode des Frauenstimmrechts. Sie richtete dem König Ahasveros ein feines Dejeuner aus, kredenzte ihm feurigen Wein, für den er eine Schwäche hatte, von dem er aber augenscheinlich nicht viel vertragen konnte, beim Dessert bat sie sich unter Virtuositäten des Augenspiels und Niedlichtuns das Leben es Premiers aus, und Haman baumelte an einem fünfzig Ellen hohen Galgen, ehe der Frühstückstisch abgeräumt war.

Man braucht kein tiefschürfender Geschichtsforscher zu sein, um diesen Beispielen zahlreiche andere hinzuzufügen. Als Oktavian und Antonius miteinander um die Herrschaft über Rom und die Welt rangen, war die diplomatische und militärische Lage überaus heikel und verwickelt. Beide Führer hatten mächtige Parteien und Verbündete hinter sich. Als sie bei Aktion mit gewaltigen Heeren und ungeheuren Kriegsflotten einander gegenüberstanden, hätte es auch dem größten Strategen und Politiker eine eigentümlich schwierige Aufgabe geschienen, die Wagschale des einen oder des anderen zum Sinken zu bringen. Kleopatra war keine Politikerin und keine Strategin, aber das Problem bewältigte sie kinderleicht. Sie riß mit ihren sechzig Schiffen einfach aus, wohl wissend, dass Antonius ihr folgen würde, sie hielt ihn mit ihren Mitteln, die mit dem politischen Stimmrecht nichts gemein hatten, eine Woche lang in ihrer Kemenate gefangen und dann war die Angelegenheit erledigt: das Heer des Antonius war zum Feinde übergegangen und er als Selbstmörder in ihren Armen gestorben.

Ich übergehe Einzelheiten und hebe nur die Hauptpunkte hervor. So hatte Kleopatra ohne Jugend, ohne besondere Schönheit, nur mit ihrer Weiblichkeit, mühelos eine große weltgeschichtliche Tat getan, die zu vollbringen Oktavian 80.000 Mann und 250 Kriegsschiffe aufgebracht hatte, ohne darum des Ausgangs sicher zu sein. Für sich selbst wusste sie freilich aus ihrem Erfolge nichts herauszuschlagen, doch nur, weil Oktavian nicht galant und deshalb den politischen Methoden der nicht stimmberechtigten Frau unzugänglich war. So musste dieses starke Drama des weiblichen Eingreifens in den Gang der Weltgeschichte schwächlich in den Kinoauftritt mit der Schlange ausgehen.

Das war die Frauenpolitik im Altertum. Sie ist zu allen Zeiten und in allen Ländern dieselbe geblieben. Wenn wir mit Ueberspringung von nahezu zwei Jahrtausenden in die Nähe der Gegenwart gelangen, so stoßen wir auf die Marquise von Pompadour; die wie im Marionettenspiel den Text sprach, während Ludwig XV. als Hampelmann die Bewegungen machte. Sie stellte den tüchtigen Herzog von Choifeul an die Spitze der Regierung und den untüchtigen Prinzen von Soubise an die Spitze des Heeres. Sie verbündete sich mit Oesterreich, weil die erlauchte Königin Maria Theresia von Ungarn sich herabgelassen hatte, ihr einen eigenhändigen Brief zu schreiben, und sie erklärte Preußen den Krieg, weil ihr eine boshafte Bemerkung Friedrichs des Großen über sie hinterbracht worden war. Es genügte ihr, mit einem Mann nach Gutdünken umspringen zu können, um mit Frankreich zu schalten, wie sie wollte. Und das große Ereignis von gestern, der deutsch-französische Krieg von 1870, ist er nicht unmittelbar eine Frauenhandlung? Verteidiger der Kaiserin Eugenie haben das viel berufene Wort geleugnet, dass dieser Krieg „ihr eigenes kleines Kriegchen“ („ma petite guerre á moi“) sei, aber wenn sie es auch vielleicht nicht genau so gesprochen haben sollte, sie hat jedenfalls danach gehandelt. Sie hat den Bruch mit Preußen gewollt und so lang in Napoleon III. gedrungen, bis er das Unwiderrufliche geschehen ließ.

Mitunter will die Frau nicht eigene politische Taten tun, sondern die von anderen verhindern. Auch dann sucht sie die eigenen Anschauungen nicht mit dem Stimmzettel durchzusetzen, sondern auf viel unmittelbarere, viel persönlichere Weise. Charlotte Cordan ist der Meinung, daß die Vernichtung der Girondisten ein schweres Verbrechen war und die Schreckensherrschaft Frankreich zugrunde richte. Sie urteilt schnellfertig, dass der Jakobinismus in Marat verkörpert sei, besteigt ohne zu fackeln die Diligence nach Paris, geht zu dem verrückten Volksvertreter und sticht ihn mit fester Hand in seinem Bade ab. Ihre Kenntnis der Tatsachen und ihr Verständnis der Lage waren gleich mangelhaft. Marat hatte keinen Einfluss auf den Klub der Jakobiner, der nach seinem Tode genau so wütete wie vorher, und den Girondisten nützte die Dazwischenkunst der schlecht unterrichteten, doch selbstsichern Charlotte so wenig, dass Frau Roland vier Monate nach ihr, die ihre Retterin sein wollte, das Blutgerüst betrat.

Ihr Irrtum soll ihr nicht vorgeworfen werden. Auch Parteiführer, die mit den Waffen des Parlamentarismus streiten, gehen oft genug fehl und wenden Wahlreden, Kammerdebatten, Interpellationen, Obstruktionen und Abstimmungen ebenso falsch an, wie Charlotte ihr Messer. Aber das unterscheidende Merkmal der Frau bleibt ihr Anthropomorphismus, der keinen Zweifel kennt. Sie verkörpert, was sie ärgert, in einem Mann und setzt sich mit ihm persönlich auseinander. So handelt auch Frau Caillaux, die sich in einigen Wochen vor den empfindsamen Pariser Geschworenen gegen die Anklage der vorsätzlichen Menschentötung zu verteidigen haben wird. Gaston Calmette führt einen erbarmungslosen Vernichtungskrieg gegen ihren Gatten, den Finanzminister und Führer der radikalen Partei. Das ist eine bildliche Ausdrucksweise, die Frau Caillaux, der weiblichen Neigung zum Konkreten entsprechend, buchstäblich nimmt.

Im Krieg gilt Kriegsrecht. Also waffnet auch Frau Caillaux sich und geht dem Journalisten an den Leib. Ihr entging der Unterschied vollständig, dass Gaston Calmette eine Schreibfeder, sie dagegen eine Browningpistole handhabte, dass seine Geschosse Worte waren, die ärgern, doch keine Wunden reißen, während die ihrigen in Kugeln bestanden, die den Leib löchern und Arterien durchschneiden, und sie bleibt bis heute überzeugt, dass sie nur Gleiches mit Gleichem vergalt, als sie den Verfasser unangenehmer Artikel mit vier wohlgezielten Schüssen niederknallte. Charlotte Cordan und Salome, Frau Caillaux und Esther, die Frau, die den Mann berauscht und dann seinen Arm waffnet, und die Frau, die darauf verzichtet, den Zauber ihrer Weiblichkeit spielen zu lassen, und mit dem eigenen Stahl oder Schießpulver operiert, sind näher verwandt, als man auf den ersten Blick meinen möchte. Was sie unterscheidet, ist lediglich die Heftigkeit des Temperaments und die Menge der Energie. Die überspitzen Kasuisten der Psychologie des Trieblebens werden leicht auseinandersetzen, dass Sinnenlust und Grausamkeit, Liebe und Mord aus denselben Wurzeln im Unterbewusstsein hervorwachsen.

Ein Vierteljahrhundert ist es her, da erregte die plötzliche Enthüllung eines ungehörigen Liebesromans Charles Stewart Parnells in der angelsächsischen Welt ein ungeheures Aufsehen, von dem die Caillaux-Calmette-Sensation gar keine Vorstellung gibt. Das Parnellärgernis hatte auch unvergleichlich wichtigere politische Folgen. Die Ermordnung Calmettes zog den Rücktritt des Herrn Caillaux von seinem Ministeramt nach sich, damit scheint aber ihre Wirkung auf die Staatsangelegenheiten erschöpft zu sein. Auf die allgemeinen Wahlen hatte sie keinen Einfluß und die neue Kammer zählt wahrscheinlich nicht einen Radikalen weniger und nicht einen Konservativen mehr, als wenn Gaston Calmette noch lebte und gegen Herrn Caillaux schriebe. Die Bloßstellung Parnells dagegen vernichtete ihn, löste seine Partei auf, vereitelte auf Jahrzehnte die Hoffnung Irlands auf seine Home Rule, die am Vorabend ihrer Verwirklichung stand. Parnell war auf der Höhe seines Ansehens und Einflusses. Man nannte ihn den ungekrönten König von Irland, er aber fühlte an seiner Stirn den Druck der Krone, die ihm angeblich fehlte, und seine Bewunderer sahen sie mit ihrem Glanz und ihrer Herrlichkeit auf seinem Haupte. Er nahm seine Königswürde sehr ernst und die anderen taten es nicht minder. Er unterschrieb seine Briefe scheinbar ein wenig spielerisch, doch mit der geheimen Absicht der Buchstäblichkeit „Ihr König“ und niemand lachte, wenn er diese Formel las.

Da brach plötzlich an einem Herbsttage 1889 wie ein Donnerschlag die Zeitungsnachricht über die politische Welt und das Publikum herein, dass der irische Abgeordnete Kapitän O’Shea, der Parteigenosse und vertraute Freund Parnells, gegen seinen Führer die Ehebruchsklage erhoben hatte und die Scheidung von seiner Frau verlangte. Parnell verteidigte sich nicht. Frau Shea versuchte nicht zu leugnen und der Richter erkannte auf Ehescheidung zugunsten des gekränkten Gatten. In vielen Staaten des Festlandes verbietet das Gesetz Personen, die in einem rechtsgültigen Urteil des gemeinsamen Ehebruchs schuldig erklärt wurden, sich miteinander zu verheiraten, nachdem sie durch die Scheidung die Freiheit erlangt haben. Das englische Gesetz kennt dieses grausame und unsittliche Verbot nicht. Parnell heiratete die geschiedene Frau O’Shea, war jedoch ein gebrochener Mann und starb kaum zwei Jahre später, im Oktober 1891, von seiner Partei ausgestoßen, von seinem irischen Volk verleugnet, in den Armen der Frau, der er nicht nur seinen eigenen Ehrgeiz, seine Laufbahn, sein politisches Glück, sondern auch den Sieg seiner Heimatinsel geopfert hatte.

Und jetzt hat sich das Erstaunliche begeben, dass die Witwe Parnells, die ihn bis heute überlebt, in zwei starken Bänden sämtliche an sie gerichteten Liebesbriefe ihres Verführers und zweiten Mannes veröffentlicht, ohne anscheinend einen Augenblick lang von dem Bedenken gestreift zu werden, dass sie den Toten vor den Blicken der Nachwelt ungeziemend entblößt und die im Grabesdunkel undeutlich gewordenen Flecken an seinem Charakter wieder hell beleuchtet.

Das Buch ist eine menschliche Urkunde von hohem Rang. Nicht durch die Liebesbriefe Parnells. Die sind im wesentlichen so wie alle Liebesbriefe starker und stolzer Männer, die in der Eroberung eines von ihnen hochgewerteten Weibes – das eroberte Weib wird von der Naivität des Mannes immer hoch gewertet – wie im glorreichsten Triumph ihrer Mannheit schwelgen. So ungefähr schrieb Lassalle an seine Doenniges, nur seiner Rasse und Zeitstimmung entsprechend, in den Wendungen romantischer und in den Ausdrücken überschwänglicher. So ungefähr würde Samson von Dalila geschrieben haben, wenn dieser Muskelmensch ein Mann der Feder oder genauer des Griffels zum Bekritzen von Tontafeln gewesen wäre. Damit sein nicht gesagt, dass Mrs. O’Shea eine Dalilanatur war. Sie stand tapfer zu ihrem Freund und ist ihrer Liebe, wie sie sie versteht, treu geblieben bis über das Grab hinaus. Und dennoch weist ein Zug von ihr zu Dalila und allen anderen Verführerinnen hinüber, die ein Netz auswerfen, in dem ein tappiger, argloser Samson sich verfängt. Das geht freilich nicht aus den Briefen Parnells hervor, dagegen aus der Erzählung ihres Liebesromans, den Frau Parnell mit bewundernswürdiger Unbewußtheit preisgibt.

Fräulein Katharina Wood, die verführerische Tochter Sir John Pane Woods, heiratete 1867 den glänzenden jungen Husarenrittmeister William O’Shea, mit dem sie jahrelang in anscheinend glücklicher Ehe lebte und von dem sie Kinder hatte. 1880 ließ ihr Gatte sich ins Unterhaus wählen. Als irischer Abgeordneter musste er selbstverständlich in die nationalistische Partei eintreten und Parnett als seinen Führer huldigen. Mrs. O’Shea war ein eitles Weltkind und vom Ehrgeiz verzehrt, gesellschaftlich zu glänzen. Sie lud wiederholt Parnell bei sich zu Tische, er lehnte jedoch jedes Mal ab. In ihrer Eigenliebe verletzt, setzte sie sich das Ziel, den spröden großen Mann um jeden Preis zu haben, und sie vermaß sich vor ihren Freundinnen: „Beim nächsten Gastmahl, das ich gebe, soll der ungekrönte König von Irland auf diesem Stuhl hier sitzen.“ Sie fuhr zum Westminsterpalast, schickte ihre Karte hinein und bat Parnell, zu ihr herauszukommen. Er trat heraus – doch sie soll selbst reden. „Er kam, eine hohe, hagere Gestalt, dünn und totenblaß. Er blickte gerade auf mich, die ihm zulächelte, und seine seltsam brennenden Augen sahen in die meinen mit wunderbarer Innigkeit, die in mein Gehirn den plötzlichen Gedanken schleuderte: dieser Mann ist wunderbar“, (ihr Wortschatz ist nicht reich) „und verschieden. Als ich mich aus dem Wagen herauslehnte, um Lebewohl zu sagen, fiel eine Rose, die ich an meinem Leibchen trug, herab und in den Kleidschoß. Er las sie auf, berührte sie leicht mit den Lippen und steckte sie in sein Knopfloch.“ Er bewahrte sie stets und nach seinem Tode fand Frau Parnell sie in einem Umschlag mit ihrem Namen und dem Datum. Diesmal nahm er die Einladung an, glänzte bei ihrem Gastmahl und war von nun an ihr ständiger Gast auf ihrem Landsitz in Eltham. Schon nach wenigen Wochen gehörte sie ihm an. Das war im Herbst 1880. Sie erzählt: „Ich hatte gegen meine Liebe gekämpft, aber Parnell wollte nicht kämpfen, und ich war (in Eltham) allein. Ich schützte meine Kinder und sein ganzes Werk vor. Doch er antwortetet mir: Für gut oder schlecht, ich bin Dein Gatte, Dein Geliebter, Deine Kinder, Dein alles. Wohl will ich für Irland mein Leben hingeben, Die aber gebe ich meine Liebe, ob sie nun Dein Himmel oder Deine Hölle ist. Es ist Schicksal. Als ich zuerst in Deine Augen sah, wusste ich es.“

Schon im Januar 1881 überraschte O’Shea bei einer unerwarteten Ankunft in Eltham Parnell mit seiner Frau, wurde heftig eifersüchtig und forderte ihn zu einem Zweikampf auf Leben und Tod heraus. Es kam indes zu einem Ausgleich, doch musste Parnell versprechen, nicht wieder nach Eltham zu kommen. Er hat sich an diesen Vertrag nie gehalten. „Nach diesem bittern Streit,“ sagt die Erzählerin seelenruhig, „waren Parnell und ich ohne weiteres Bedenken, ohne Furcht und ohne Reue.“

Die weitere Entwicklung des Romans hier zu verfolgen ist nicht meine Absicht; ebenso wenig, aus Parnells Briefen die vitriolartig ätzenden Stellen anzuführen, in denen er die Schwäche der Home-Rule-Bewegung bekennt, seine Verachtung für die Menge ausdrückt deren Abgott er war, die Tücken, Falschheiten und Betrugsabsichten Gladstones aufdeckt und die schmutzigen, übelriechenden Untergründe der englischen Parteipolitik enthüllt. Nach neun Jahren kam es zur Katastrophe. Alles kehrte Parnell den Rücken und schnitt ihn erbarmungslos. Dabei war, wie Frau Parnell versichert, das Verhältnis seit Jahren der ganzen Gesellschaft bekannt, man lud Mrs. O’Shea immer nur zusammen mit Parnell ein und wenn Gladstone ihm etwas Dringendes oder Vertrautes mitzuteilen hatte, schickte er seinen Privatsekretär nach Eltham, weil er bestimmt wusste, dass er ihn im Hause der Mrs. O’Shea antreffen werde. Ein hübscher Beitrag zur Kenntnis der englischen Sittlichkeitsheuchelei.

Dem unbefangenen Lefex ist es flax: Mrs. O’Shea hat sich aus Snobismus Parnell an den Hals geworfen. Schon bei der ersten Begegnung entfaltete sie alle Künste der Koketterie. Sie wird uns nie glauben machen, dass Parnells Blick sich sofort mit solcher Glut in den ihrigen einbrannte, ohne dass ihre Augen ihm dazu Anlaß gaben, und dass ihre Rose rein zufällig und ganz von selbst im richtigen Augenblick vom Leibchen in den Schoß fiel. Es ist das alte, ewige Lied. Die Frau versichert immer, die Verführte zu sein, und sie redet es sich so lang ein, bis sie es selbst glaubt, der Mann aber weiß meistens, wie er dazu gekommen ist, der Verführer zu werden, und dass er es ohne ausgiebige Ermutigung nie geworden wäre. In der Folge allerdings verbrennt die Frau sich oft genug an der Flamme, die sie selbst entzündet hat, um ihre Eitelkeit daran zu wärmen, und das war auch bei Frau Parnell der Fall.

Ihre Liebe war das Verhängnis Parnells und bis zu einem gewissen Punkte dasjenige Irlands. Das ist zu oft das Ergebnis, wenn Frauen in die Politik eingreifen, indem sie sich des Politikers bemächtigen. Das Frauenrecht in Ehren. Dagegen, dass die Frau mit dem Stimmzettel Politik macht, kann man nichts Triftiges einwenden. Tut sie es aber mit ihrer Person, mit ihrer Weiblichkeit, mit ihrer souveränen Gewalt über den Mann, dann ist die Wirkung ungefähr immer katastrophal, von Salome über Mrs. Parnell bis zu Frau Caillaux.