Aus dem Archiv des Pester Lloyd

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(c) Pester Lloyd / Archiv

 

Aus dem Pester Lloyd von 1918

Dezsö Kosztolányi

Der Dummkopf

(Romanskizze in zwanzig Momentaufnahmen)

I.

Béla spaziert auf der Insel umher, inmitten von Gesträuch, das ihm bis an den Hals reicht.
Seine Hände, seine Beinkleider, seine Brille leuchten wie getriebenes Gold in den Strahlen des Sommers.
Er betrachtet den blauen Himmel, die farbigen Kieselsteine, er lauscht dem Gelärme der Vögel, saugt den Duft des Hafens in sich, aber das glückselige Gezwitscher übt auf ihn fast gar keine Wirkung und auch der Sonnenschein verblaßt ein wenig und destilliert sich zu einer Art fahlen, grauen Nebels, ehe er ihm in die Seele dringt.
Wenn er im Herbst unter entlaubten Bäumen dahinwandelt und Novemberregen niederklatscht, ist Béla gewiß um kein Haar anders. Weder heiterer noch trauriger.

II.

Wie stumpfsinnig geht er umher, ein Buch in der Hand.
Würmern und Insekten gleich quirlt es in seinem Kopf von verschiedenen Paragraphen: Verletzung der pflichtgemäßen Geheimhaltung, Hausfriedensbruch, betrügerische und schuldbare Krida. Dann Kerker und Staatsgefängnis, Zuchthaus, immer wieder Zuchthaus, zehn, zwanzig, – weiß Gott wieviel – Jahre Zuchthaus.
Er bereitet sich zum Advokatenexamen vor.
Die durchwachten Nächte sind ihm anzumerken, wie er so von einem Baume zum anderen geht, in der erschöpften Eile der Büffler, und sein Auge zu den Passanten erhebt.
Gegen Abend schlägt er das Buch zu, läßt den Kopf sinken und macht sich auf den Heimweg.

III.

Zuhause in dem Hofzimmer schlägt ihm kalter Zigarrengestank entgegen und es empfangen ihn wieder Bücher – Prozeßordnungen und Auszüge aus Gesetzartikeln –,die rot, blau, grün unterstrichen sind, dann lithographierte Notizen, die er oft und oft gelesen hat. Jetzt hat er dennoch keine Ahnung von ihrem Inhalte.

IV.

Er wohnt bei der Familie seiner Braut.
Der Form nach zur Aftermiete, in Wahrheit aber als Gast, alle verwandtschaftlichen Vorteile genießend, die einem Schwiegersohne gebühren.
Diesen praktischen Vorschlag hatte sein zukünftiger Schwiegervater gemacht, ein alter, pensionierter Staatsbeamter, der wohl weiß, wie schwer das Leben ist und wie sehr sich die Jugend abrackern muß. Daher trachtet er, daß sein Schwiegersohn seine ganze Zeit den Sudien widmen könne und daß „die Kinder“ nach bestandener Prüfung sofort Hochzeit machen können.
Béla hatte nicht widersprochen.
Ueberhaupt vermag er nie eine eigene Meinung zu äußern. Er steht oder geht, sitzt oder rennt, lacht oder bläst Trübsal, wie die übrigen, von selbst aber faßt er keinen Entschluß. Er liebt die Ruhe, er ist gern ungestört. Er bedingt sich nur aus Wohnungsmiete und Kostgeld später zurückerstatten zu dürfen.
Der Vater, der an der Verschmitztheit der Advokaten viel Spaß findet, erwidert lächelnd:
– Die fetten Prozeßkosten werden’s schon reichlich schaffen, Du Schelm…Du…Du…Du Advokat…– und er langt ihm kräftig eins über den Rücken.

V.

Er gerät so in eine sonderbare Traumwelt, die er sich selber nicht erklären kann, aber nicht besonders erklären mag.
Er wohnt unter einem Dach – zusammen und dennoch abgesondert – mit seiner Braut, die er sehr lieb hat.
Irma ist ein liebes und angenehmes Mädchen, über die erste Jugend hinaus, siebenundzwanzig Jahre alt –, um fünf Jahre jünger als ihr Bräutigam – ernst und klug. Ihr reiches, schwarzes Haar trägt sie nach Gattinnenart sanft zurückgestrichen.
Sie spinnt viele Pläne für ihre Zukunft, wenn ihr Mann einmal nach bestandener Prüfung seine Kanzlei eröffnet und sie ihre eigene Wohnung beziehen werden.
Béla lächelt da immer, dann wird er ernst. Er sitzt im Klavierzimmer, hält die Hand seiner Verlobten in der seinen, und es fällt ihm ein, wie viel, wie sehr viel er noch für das Examen zu lernen hat.
Schöne Träume – sagt er nervös –, ich wage fast gar nicht an sie zu glauben. – Und geht lernen.
Die Familie aber schleicht auf den Zehen umher:
– Béla lernt – flüstern sie, – pst, Béla lernt.

V.

Am Tage der Prüfung erwacht das Haus um sechs Uhr morgens, zwei Stunden früher als sonst.
Alle sind ein wenig aufgeregt, obwohl sie es zu bemänteln trachten. Béla hat kaum etwas geschlafen, die ganze Nacht über hat er im Bette gelesen, und noch beim Frühstück überfliegt er etwa ein Dutzend Mal unbedeutende Aufzeichnungen, Fußnoten, die im Lehrbuch mit kleinen Buchstaben gedruckt sind. Sein Gesicht ist totenblaß. Es dünkt ihn unglaublich, daß er so bald, schon zu Mittag, ein „fertiger Mann“ sein würde und daß sich im Leben überhaupt alles innerhalb weniger Minuten entscheide.
Der Vater, der mit seinem langen weißen Schnurrbart einem Seemann ähnlich sieht, wird gemütlich.
– Aus Aberglauben wünsche ich Jägern und Kandidaten kein Glück.
Die Mutter aber winkt dennoch:
– Viel Glück, Béla.
Irma begleitet ihn bis an die Tür des Prüfungssaales, dort sagt sie:
– Denk an mich.
Nachher geht sie in eine Kirche, um für ihn zu beten.

VI.

Daheim wird gebacken und gesotten, das Festessen soll zugleich der Hochzeitsschmaus sein. In der Luft weht Pfeffer- und Vanilleduft. Der Vater studiert den Fahrplan, um festzustellen, mit welchem Zuge das junge Paar übermorgen abreisen würde, denn alles ist schon bereit, am nächsten Tage ist Trauung, auch die Koffer sind schon gepackt.
Béla erscheint nach zwei Uhr.
Er kommt daher, weder rasch noch langsam, er kommt, wie er zu kommen pflegt, mit gleichgültiger Miene, den Hofkorridor entlang, auf den die Fenster blicken. Er trägt seinen tadellosen lichtbraunen Anzug und einen neuen Strohhut.
– Nun, rosenrot oder schwarz? – fragt der Vater, der es liebt, ernsten Dingen eine scherzhafte Wendung zu geben.
– Wie meinst Du das, bitte?
– Ich frage, wie stehts?
Durchgefallen.
– Na, immerhin – meint der alte Herr nach einem Augenblick allgemeinen Schweigens –, ’s ist schon auch andern passiert.
– Iß, Béla, – redet ihm die Mutter zu.
Das Festmahl ist prächtig, vielleicht ein wenig zu üppig, der Wein löst allen die Zunge. Béla erzählt Einzelheiten vom Examen, aber aus seinen Worten geht hervor, daß er von dem Geschehenen durchaus nicht überrascht ist. Er hatte das erwartet. Beim ersten Anrennen trifft’s selten einer.

VIII.

Nachmittag sucht er sein Zimmer auf, um sich von den vielen durchwachten Nächten auszuruhen. Er kann nicht einschlafen. Er setzt sich auf einen Stuhl am Fenster, gegenüber der Feuermauer, vor der zwei Essigbäume stehen. Er empfindet eine Traurigkeit, die ihn fast bewußtlos macht.
Wenn er allein ist, ist er fast immer betrübt. Er weiß selber nicht warum, aber er fühlt dann einen dumpfen, unbestimmbaren Schmerz in der Brust und im Kopf. Er legt seine enge Stirn in Falten und nimmt die Brille von der Nase, in der das Augenglas eine tiefe Kerbe zurückläßt. Er schneidet häßliche Gesichter und mit der Hand macht er eine wehmütige Bewegung der Entsagung: es ist ja ohnehin alles umsonst. Unter Menschen die verkörperte Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit, sieht er hier fast erschrecklich und grausam aus.
Seit den Tagen seiner Kindheit ahnt er ja, daß ihm etwas fehle, aber – so meinte er – das würde schon vorübergehen. Oft bildete er sich ein, an allem trage Schuld, daß er etwas vergessen habe. Aber was? Wenn er sich die Stirn rieb, merkte er, daß er sich irrte. Das ganze sei Nervosität, dachte er später, sein Blut wäre etwas träger, als das anderer Leute und er wandte sich an einen Arzt, in der Hoffnung, es bedürfe bloß einer kräftigen Arznei, eines Reizmittels, damit alles wieder in Ordnung kommt. Im Laufe der Jahre hatte er sich dann darein gefunden, daß alles so sein müsse, wie es ist, er gewöhnte sich an den Zustand und beneidete die selbstsicheren, eilenden, überlegenen Menschen, die in Kutschen dahinfahren oder zu Fuß auf dem Asphalt dahintrotten, Flamme und Ungeduld eines bestimmten Zieles im Auge. Er pflegte oft verachtungsvoll zu sagen, daß seien schlechte Kerle. Inwendig aber empfand er Bewunderung für sie und Beachtung für sich selber, der nie so geartet sein könnte, und sein Antlitz zeigte die aufrichtige Bescheidenheit, die in der Erkenntnis der eigenen Kraft und deren Begrenztheit wurzelte.

IX.

Von da an gibt es wenig Abwechslung in seinem Leben.
Systematisch bereitet er sich aufs Examen vor, er hat ein ganzes Jahr Zeit, er freut sich, daß er sich nicht besonders zu sputen brauche. Er begegnet den alten Büchern, die er schon vergessen hatte, und den Bindewörtern, die ihm stets zuerst im Gedächtnis kleben bleiben und das einzige System im dem Material seines Wissens bilden, so daß er nach den Bindewörtern auch den Text fortsetzen kann. Obwohl…demgemäß…demzufolge…Himmel, wie viel Bindewörter.
Schon um fünf in der Früh rasselt seine Weckuhr, und noch ums Morgengrauen ist die Milchglastür seines Zimmers hell. Um für sie sein Lernen mehr Zeit aufzubringen, nimmt er nur an dem gemeinsamen Mittagstisch teil, Frühstück und Abendessen läßt er sich ins Zimmer bringen. Abends um sieben geht er, seine Braut am Arm, spazieren. Er blickt sie zärtlich an, unter seiner dicken Brille hervor, oder er hebt den Kopf hoch und blickt starr vor sich hin.
In Gesellschaft geht er kaum.
Ihn regt die Fröhlichkeit der Menschen auf, sie macht ihn fast krank. Wenn Witze erzählt werden, horcht er gar nicht hin. Nicht als ob er befürchten würde, sie nicht zu verstehen, aber er mag die Abwechslung nicht, und sein müder Sinn schweift trübe anderswo, er beobachtet lieber jene, die die Witze erzählen, und jene, die in einem gegebenen Augenblick – vielleicht haben sie sich verabredet? – zu lachen beginnen.
Wird er jemand vorgestellt, so weiß er mit ihm kein Gespräch anzuknüpfen, denn das, was er sieht, beschäftigt ihn so außerordentlich, wie man dies bei Kindern findet.
So war es ihm auch mit einem Kollegen ergangen, dessen Bekanntschaft er einst in der Aula der Universität gemacht hatte.
Das war der Sohn eines Großkaufmannes, ein lieber und fröhlicher Windbeutel, dem der Vater schon bei Lebzeiten sein Erbteil von ein paar hunderttausend Kronen ausgefolgt hatte.
Béla war von diesem Gedanken so sehr durchdrungen, daß er nur stottern konnte, fortwährend hätte er ihm ins Gesicht brüllen oder ihm ins Ohr flüstern mögen: „Reicher Bursch…ach, wie reich!...“, und da er gegen diese verführerische und krankhafte Lockung ankämpfte beantwortete er die Fragen aus lauter Zartgefühl nicht und hob den Kopf selbstbewußt hoch, worauf ihn der Sohn des Großkaufmannes zur Antwort einfach stehen ließ.

X.

Darum sehnt er sich auch nirgend hin. Er sitzt daheim in seinem Zimmer und nimmt das Material, das er auswendig, Wort für Wort, herleiern kann, nochmals durch. Er hat bereits Vertrauen zu sich. Erst gegen Sommer verdüstert er sich ein wenig. Wieder nagt eine große, große Unsicherheit an ihm, er empfindet den vorjährigen Druck in Brust und Kopf. Dazu kommt, daß allnachmittäglich aus der Nachbarschaft ein Leierkasten ertönt, und es bricht ihm fast das Herz, wenn ein Gassenhauer zusammen mit dem schwülen Akazienduft der Straße durch sein Fenster dringt. Er drückt und preßt an seinem Kopf herum und seufzt ein über das andere Mal.
Irma verbringt mit ihm zielbewußt nur wenig Zeit. Abends wandeln sie, einander umschlungen haltend, auf dem dunklen Korridor. Béla klagt, wie sehr Angst er vor dem Examen hat.
– Ist denn diese Rechtswissenschaft so schwer? – fragt das Mädchen.
– Unsäglich – erwidert er –, unsäglich schwer – und er hebt die Augen zum Himmel.
– Wenn ich’s statt Deiner lernen könnte…
Irma weiß denn auch schon einiges aus Handelsrecht und Privatrecht, denn am Abend pflegt die Familie die juristischen Bücher zu lesen.
– Ich begreife nicht, was daran so schwer sein sollte – pflegt der Vater zu sagen –, man muß nur ein wenig darüber nachdenken.
– Aber – nimmt die Mutter den Schwiegersohn in Schutz –, müßtest Du’s nur auswendig wissen, auch Dir würde es den Kopf wirr machen.

XI.

Zum zweiten Examen begibt er sich ruhiger. Er trinkt Kaffee und ißt Eier zum Frühstück, um besser bei Stimme zu sein, noch im letzten Augenblick lächelt er.
Lächelt auch, als nach Hause kommt.
– Auf ein Jahr zurückgewiesen – sagt er ruhig.
– Was?
– Wie ich’s gesagt habe.
–Aber das ist doch unmöglich.
– Ist aber doch so – fügt er in natürlichem Ton hinzu –, wieder auf ein ganzes Jahr.

XII.

Dieses Mittagessen ist schon trüb und eisig.
Teller und Bestecke klappern, keiner spricht ein Wort, wie wenn im Nebenzimmer ein Toter liegt. Irma sitzt auch jetzt neben ihm, ganz nahe, mit der ostentativen Sympathie einer künftigen Frau, die die Schande ihres Mannes zu teilen bereit ist, und legt ihm die besten Bissen auf den Teller. Hie und da seufzt der Vater tief, schiebt den Teller von sich, die Mutter steht von Zeit zu Zeit auf und geht ins Nebenzimmer, um ihre Tränen zu trocknen.

XIII.

Nach dem Essen verschwindet Béla plötzlich. Jetzt beginnt die große Szene.
Die Hände auf dem Rücken, geht der Vater auf und ab, sagt aller fünf Minuten etwas, halb und halb zu sich und die Worte verschluckend.
– Unbegreiflich – ärgert er sich –, warum ein solcher Mensch keine Laufbahn wählt, auf der er nicht so viel zu lernen braucht, wenn er schon so begriffsstützig ist.
Die Mutter:
– Er ist doch so fleißig, um fünf steht er schon auf und besucht auch kein Kaffeehaus, wie andere seines Schlages.
– Die bestehen aber dennoch das Examen.
– Die Protektion – ruft die Frau –, da liegt das Uebel, er hat keine Protektion.
– Der Arme – sagt Irma vor sich hin und beginnt plötzlich zu weinen –, ein so guter Mensch, die Güte selber. Er kann nichts dafür. Laßt ihn doch zufrieden.

XIV.

Allmählich wird die Stimmung milder, sie sprechen sich den Aerger vom Halse und erwägen nüchtern, was zu tun wäre.
Vorderhand raten sie ihm, sich nach den Büchern gar nicht umzusehen, sie schicken ihn spazieren, er mag ausruhen, sich erholen. Er durchstreift die Vorstädte einsam und faselt von einem Wunder, das ihn irgendwie retten könnte.
Die Professoren kennt er persönlich kaum. Wenn nur die nicht wären, dann wäre alles in schönster Ordnung. Aber sie sind, sind da, sitzen an den Tischen und examinieren, geben gelangweilten Tones die Fragen auf und zwirbeln sich wollüstig den Schnurrbart, während die armen Kandidaten in dem Gestrüpp der verschlungenen Paragraphenpfade sich abquälen. Er weiß nicht warum, aber er denkt sich, diese Professoren müssen ständig examinieren, und so sehr er auch seine Phantasie anstrengt, er vermag sich nicht vorzustellen, daß sie – zum Beispiel – auch frühstückten, oder auch im Kaffeehause sitzen und auch in den Straßen umherspazieren. Béla glaubt, sie müssen sehr reich sein dann wieder, daß sie an der Scholle klebende, finstere, böswillige Kerle seien, die „sich auf den Zauber verstehen“, und „man hört soviel über derlei Dinge“ – sie wären selbst mit zehn, zwanzig Kronen zu bestechen.

Wie aber ist das zu machen? Darüber grübelte er viel nach. Die Zeiten sind dahin, da die Professoren ein Fäßchen Wein oder ein Ferkelschwein annahmen, oder da man ihnen mit holdem Lächeln in einem Briefumschlage die „Prüfungsgebühren“ überreichen konnte. Man muß mit der Zeit fortschreiten, und so zerbricht er sich den Kopf über unterschiedliche, schlaue Tölpeleien, durch die er etwa die Professoren sich günstig stimmen könnte. Eine solche Art wäre zum Beispiel, an eine „gewisse“ Adresse einen größeren Betrag, sagen wir zwei- oder dreihundert Kronen, zu senden. Der Absender würde sich nicht nennen, auf der Anweisung stünde nur: „Ein Verehrer“. Oder nein, er würde hinschreiben: „Ein aufrichtiger, ergebener Verehrer“, oder etwa: „Ein armer Advokaturskandidat“. Allerdings erführe der Professor hieraus gar nichts, aber der Prüfung würde er die Anrede „Herr Hofrat“ so sonderbar betonen, daß ihn der Professor erkennen würde, und in gewisser Hinsicht auch mit so drohenden Nachdruck, daß der Professor, zurückschreckend vor der Selbstanklage der Undankbarkeit, ihn sofort durchließe.

XV. 

Die Familie beschließt, Béla solle nun doch lieber lernen, aber das Privatstudium könne sich keineswegs halten und man gibt ihm zwei Korrepetitoren bei, einen Kandidaten und einen fertigen Advokaten, die hier erscheinen, wie etwa die Professoren an dem Bette eines Schwerkranken, auch ebenso wie diese mit den Angehörigen sprechen, schonungsvoll und tröstend.
Sie garantieren, diesmal würde wirklich alles glatt gehen.
Béla fällt aber auch das dritte Mal durch:
Durchgefallen, – schreien sie zu Hause, laut, entsetzt, tränenlos –, wieder durchgefalen. Wie wenn einer gestorben ist.
Der Hausmeister geht zu seiner Frau hinein und auch er kramt die Neuigkeit aus:
Denk Dir, der ist schon wieder durchgefallen.

XVI.

Irma geht oft ohne ihn aus, sie bringt ihm Konditorgebäck heim, oder irgend ein kleineres Geschenk. Sie will von nichts wissen. Sie liebt ihn noch immer.
Etwa so wie einen Krüppel, dem irgend etwas fehlt. Hie und da, wenn’s keiner merkt, betrachtet sie sein graues und nichtssagendes Auge, in dem Nebel flimmert, unbegreiflich und rätselhaft, und sie sucht, was wohl dahinter stecken möchte.
Sie macht keine Pläne mehr. Mit verweinten Augen setzt sie sich zu Tisch, und immer öfter fällt ihr ein, daß sie ja ein Diplom einer Gewerbeschule habe.
Abends lehnt sie sich zum Fenster ihrer Stube hinaus, in den Mondschein. In diesem fahlen Licht ist ihr verblühtes Gesicht noch schön. Bei Sonnenlicht ist es das längst nicht mehr.
Sie sieht aus wie eine traurige, junge Witwe.

XVII.

Nach diesen Vorfällen machte sich Béla erbötig, das Haus sofort zu verlassen und den Verlobungsring zurückzugeben, man hieß ihn aber bleiben, und er blieb, voll unbestimmter Pläne. Mehrmals schickt er sich an, davonzugehen, wenn er hiezu auch keine besondere Ursache hat. Ständig packt er; seine Hemden und seine Kleider packt er in seinen einzigen Koffer, dann packt er sie aus, schreibt lange Briefe, die er dann zerreißt.
Zu gewissen Zeiten beginnt er auch mit dem alten Eifer zu lernen. Er hat Projekte, man achtet aber kaum auf seine Worte, man läßt ihn mit allem gewähren.
Man liebt und schont ihn, da er im Haushalt nützliche Beschäftigung findet. Er schlägt Nägel in die Wand, hängt Bilder auf, bringt Anweisungen zur Post. Hat man etwas dringend notwendig, so macht er sich nichts daraus, auch in den Laden hinabzugehen und eine Flasche Mineralwasser oder eine Düte Grieß heraufzubringen.
Besuchern wird er nur so vorgestellt:
Béla – und sie sagen nichts weiter, sie lassen durchblicken, er sei irgend ein entfernter Verwandter.
Marcsa, ein ländlicher Bauerntrampel, räumt sein Zimmer auf, mit ihr pflegt er sich des Morgens über Staub, Mist, Schwaben, Mäuse, die Perdnospora und das Mutterkorn zu unterhalten. Jede Woche setzt er ihr einen Liebesbrief auf, den die Magd an ihren Soldaten abschickt. Marcsa hat großes Vertrauen zu ihm, mag seine Gesellschaft gern, und auch er interessiert sich freundlich für ihr Los.
Ach ja, Marcsa – pflegt er zu sagen –, so ist das Leben, Marcsa.

XVIII.

Oft steht er im Eßzimmer und kehrt sich an die übrigen Anwesenden nicht.
Er betrachtet ein Bild, das er schon zum Ueberdruß kennt, eine Waldlandschaft mit zwei zahmen Rehen.

XIX.

Er ist maßhaltend, taktvoll, höflich. Sein Lieblingsausdruck ist: „Ich möchte ergebenst bitten“ und „Darf ich mich nach Ihrer wertgeschätzten Gesundheiten erkundigen?“
In seinem Auge die Unorientiertheit eines verirrten Kindes.
Nie erbost er sich über etwas. Wird er in der überfüllten Elektrischen geknufft, so lächelt er. Reißt ihm das Schuhband, so lacht er.
Nach dem Essen stochert er sich stundelang die Zähne mit einem Zahnstocher.
Eine Fliege läßt sich gelegentlich auf seiner Nase nieder. Er verjagt sie nicht, sondern beobachtet sie.

XX.

Da fühlt er dann, daß er für immer hier picken geblieben sei, in diesem lauen und klebrigen Wohlstande, den er ebensowenig begreift wie das ganze Leben, und er vermag sich vom Stuhle kaum zu erheben.