Aus dem Archiv des Pester Lloyd

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Aus dem Pester Lloyd von 1921

Julius Ludassy

Kaffeehausgrippe - Eine Wiener Elegie

Im Reich der Mokkabonzen - Vom Zustand der Kaffeehäuser auf den Verfall der Gesellschaft zu schliessen, ist harter Tobak, den eben nur Feuilletonisten fertig bringen, ohne dabei rot zu werden. Der Wiener Kolumnist und Bühnendichter Julius Ludassy, dem der Pester Lloyd viele treffliche Humoresken verdankt, darunter eine bahnbrechende "Philosophie des Kitsches", betrauert den Untergang des Wiener Kaffeehauses, wie sollte es anders sein, als ein Zeichen des Verfalls der Sitten und wahrlich nicht besserer Zeiten. Fast gleichzeitig ging auch Österreich unter, aber was war das gegen den Niedergang des Kaffeehauses! Einzug hält hingegen das kommerzialisierte Mittelmaß, "dass vor lauter Geld zum Bettler geworden ist" oder es erfolgt gleich die Umwandlung "in ein Bankhaus." Die Hoffnung ist wohl unbegründet, dass angesichts der Bankenkrise die Filialen der Finanzinstitute nun wieder in Kaffeehäuser zurückverwandelt würden. Schon eher werden sie Glieder der Coffeeshopketten jener neuen "Mokkabonzen", die man heute eher als Macchiatisten bezeichnen sollte, deren Anblick unserem Ludassy jedoch erspart geblieben sind. Dennoch, auch das kann man aus dem Text herauslesen, beweist sich die Binsenweisheit “Totgesagte leben länger...”.

Julius Ludassy-Gans (1858-1922) arbeitete, was die Sachkompetenz in punkto Kaffeehäuser erklärt, für verschiedene Wiener Zeitungen, "Neues Wiener Tagblatt", "Fremdenblatt", "Wiener Allgemeine Zeitung", "Neue Freie Presse", schrieb Bühnenstücke, die wie "Der goldene Boden" von der Zensur verboten wurden, oder das Publikum derart erregten, dass Hermann Bahr von Ludassys Sozialdrama "Der letzte Knopf" schrieb: "Es war schon beinahe eher ein Straßenkampf als eine Premiere." Der Autor verzichtete nämlich auf romantisierende Unterschichtenromantik damaliger Volksstücke zu Gunsten der deprimierenden Wahrheit. Das nahm ihm sogar die Unterschicht übel. m.s.

Der kriegerische Friede, der durch die Welt rast, vergnügt sich damit, ein Wiener Kaffeehaus nach dem anderen über den Haufen zu schießen. Jeden Augenblick tritt ein geriebener Geschäftsmann an den Mokkabonzen heran und bietet ihm eine beliebige Anzahl von Millionen dafür, daß er sein Geschäft aufgebe und sich ins Privatleben zurückziehe, oder – auch Schieber werde, Budapest ist die Stadt, die sich der meisten und prächtigsten Kaffeehäuser erfreut; Wien hat die gemütlichsten und anheimelndsten. Sie sterben aus, und wenn die grausame Kaffeehausgrippe, die schon so zahlreiche Opfer gefordert hat, weiter wütet wie bisher, dann wird die braune Quelle, die Koschitzki einst sprudeln ließ, bald ganz versiegt sein.

In solchem Schwinden und Vergehen birgt sich ein tiefer Sinn. Das geistige Leben des alten Österreich spielte sich in seinen Kaffeehäusern ab. Der morsche Staat ist in einem Kriege, für den es in der Geschichte kein Beispiel gibt, zu Trümmern geschlagen worden. Der stolze Doppelaar, der vor jeder Tabaktraffik, an jedem Amtsgebäude die Flügel spreizte und die Fänge wies, vermag nicht einmal mehr eine heraldische Zunge hervorzurecken. Das Lied, das versicherte, es gebe „nur eine Kaiserstadt, nur ein Wien“, der Gassenhauer, der mit Genugtuung betonte, „der Weaner geht net unter“, ist verklungen, vergessen. Hunger und Elend sind hier eingekehrt, Not und Verängstigung. Die Stadt, die das Reich beherrschte, ist im eigenen Lande verhaßt und zu einem Sondergebiet geworden; der ragende Stefansturm, von dessen Spitze man bis ins engverbundene Ungarn blicken konnte, schaut wehmütig auf vergrämte, abgehärmte Menschen nieder, die unerhörte Summen verdienen und sich trotzdem nicht das tägliche Brot gönnen können, die vor lauter Geld zu Bettlern werden...

Ach, vor ein paar Jahren noch stand das Wiener Kaffeehausleben in seiner vollen Blüte. Wer zu früher Morgenstunde die gastlichen Räume betrat, den begrüßte ein wunderbar feiner, eigenartiger Duft, der in der Luft schwebte. Es war der Odem der arabischen Fee, der uns labte und belebte. Und noch andere Wohlgerüche wiesen sich. Köstlich war der frische Hauch des jungen weißen Gebäcks; würzig das prickelnde Aroma der Zigarren und Zigaretten. Semmeln, Wecken, Kipfel, Salzstangel, Stritzel, Kringel, Bretzel, „Paunzerl“ und die reschen „Engländer“ – das alles schimmerte golden in Körben, die auf Ständern aufgereiht waren. In der Kasse, zu beiden Seiten der wohlgenährten Weiblichkeit, die hier thronte, waren Hunderte von kleinen Schälchen aufgeschichtet. In ihnen gab es Zucker, wirklichen Zucker, der weiß wie Schnee durch die Dämmer des Saales leuchtete. Heute weiß man eigentlich nicht, warum das sogenannte Kaffeehaus seinen Namen trägt.

Es gibt keinen „kleinen Schwarzen“ mehr, keinen „Kapuziner ohne Haut“, keine „kleine Gold“ und keine „Melange“. Das „mürbe Kipferl“ ist vollends zur Sage geworden. Auf den entgötterten Marmortischen ist keine Aschenschale zu finden, kein Feuerzeug, kein Zündhölzchen. Die Erquickung, die das Kaffeehaus einmal bot, wird nun „ersetzt“. Wodurch? Durch Tee. Durch leibhaftigen? Nicht doch! Auch der Ersatz wird noch ersetzt, und wie Wien zum Freudenhaus, so wird das Wiener Kaffeehaus, in dem es von Geishas wimmelt, zum Teehaus von Europa. In entrückter Vergangenheit, da brauchte man nur zu rufen: „Markör, eine Kaisersemmel!... Pikkolo, eine Kaiservirginia!“ Das ist anders geworden. Wir leben in einer Republik. Wenn einer so kühn wäre, eine Kaisersemmel zu verlangen, oder eine Kaiservirginia – man brächte ihm einen Schmarren – allein es wäre kein Kaiserschmarren...

Ja, ein neuer Geist waltet im Kaffeehaus, und er ist füglich als ein Ungeist anzusprechen. Mich dauern die Gäste, die mit enttäuschten Gesichtern an den Marmortischen sitzen und von längst entschwundenen Herrlichkeiten träumen. Sie müssen für einen sogenannten Mokka, durch den vielleicht nur eine Bohne flüchtig gezogen worden ist, vierzehn Kronen, für einen Milchkaffee achtzehn Kronen zahlen. In paar Stückchen Gebäck, jedes zu zwölf oder fünfzehn Kronen, entsprechendes Trinkgeld dazu, und man kann es sich leicht ausrechnen, wie hoch eine leidliche „Jause“ zu stehen kommt. Beklagenswerter noch scheint mir der Unternehmer zu sein, der das viele Geld einheimst. Denn schließlich, ein Kaffeefieber, das will seiner ganzen Art und Wesenheit nach durchaus Kaffee sieden; es ist teils innerer Drang, teils Schicksal und Notwendigkeit, was diese Leute veranlaßt, ihr Gewerbe auszuüben. Aber es gibt keinen Kaffee, es gibt keine Milch, es gibt kein Gebäck, es gibt keine Kohle und es gibt auch kein Licht. Wie braut man, wie kocht man, wie brät man ohne diese Ingredenzien ein Kaffeehaus? ...

Als der Krieg zu Ende war, im tiefsten Umsturz, da ist es geschehen, daß die Kaffeesieder um der lieben Freiheit willen Himmel und Hölle in Bewegung setzten. Die Freiheit, die sie meinten, bestand in dem Menschenrecht, auf Gas zu verzichten und sich nach eigenem Wohlermessen für ihre Stuben eine eigene Beleuchtung zu wählen. Selbstbestimmung! Aber da kamen die Aufrührer beim heiligen Bureaukratius, der sein Zepter nach wie vor über die unglücklichen Donaulande schwingt, schön an. „Was?“ riefen die empörten Hofräte, „diese Menschen wollen in ihren Räumen ihre Herzen entzünden? O, da stürzte ja der ganze Umsturz um!“ Allerdings, auch der Eigentümer eines Kaffeehauses ist ein Mensch. Zugestanden. Er ist ein Bürger. Zugestanden. Er darf wählen, er darf auch gewählt werden. Er mag sich zum Kanzler aufschwingen, zum Präsidenten der Republik sogar. Allein es ist ihm nicht gestattet, in seinem Betriebe eine Petroleumlampe zu benützen. Solcher Unfug ist ihm sogar streng verboten.

Aus welchem Grunde? Ich weiß es nicht. Ihering lehrt, daß das Recht das von der Allgemeinheit geschützte allgemeine Interesse sei. Wenn dem so ist, sollte man dann nicht meinen, die Behörden hätten den Kaffeesieder, der sein Lokal aus eigenen Mitteln beleuchten will, gegen jeden zu schützen, der ihn daran verhindern wollte? In Wirklichkeit verhalten sich die Dinge jedoch entgegengesetzt, sind die Werte umgewertet. Eben lese ich in der Zeitung, gegen das „Café Marienbrücke“ sei eine Razzia durchgeführt worden. Der Besitzer wurde mit einer Geldstrafe belegt, das Geschäft für drei Wochen gesperrt. Ähnlich erging es dem „Café Börse“. Und der Bericht fügt sich unverhohlener Entrüstung hinzu: „Auch in diesem Café wurden Salzstangel verabfolgt.“ Das Salzstangel als Verbrechen! Eine vom Umsturze noch unverkrümmte und unverkümmerte Vernunft würde es verständlich finden, wenn ein Kaffeesieder betraft würde, weil er keine Salzstangel verabfolgt...

Die Schwierigkeiten des Betriebes haben das stille, trauliche Kaffeehaus ausgerottet, und was jetzt unter diesem Namen besteht, ist wert, daß es zugrunde geht. An allen Tischen Schieber und Schieberinnen, die hier ihre Geschäfte besorgen und zwischendurch ein bißchen hasardieren, Musikkapellen, die zu diesem Treiben aufspielen, Pianisten, vor denen sich die Banknoten häufen, Liedersängerinnen, die ihre Röckchen schürzen. Nein, das alte Kaffeehaus ist nicht mehr, – dieser unselige Friede, der schlimmer ist als der Krieg, hat es in ein Tingel-Tangel, in eine Art von Spelunke und Kaschemme verwandelt, in eine Penne, in der Gauner zusammenkommen, um ihre Verbrechen zu verabreden und günstige Gelegenheiten zu Missetaten ausbaldowern...

Wie gern saß ich in den rauchigen Räumen und qualmte, vor mir den dunklen Trank oder das schlanke Gläschen Kognak! St. Germain hat mir den kleinen Schwarzen genommen, den Likör und den Tabak. Es ist nichts anders, als würden die Genien der Jugend von mir Abschied nehmen. Wie manche braune Schöne aus der Havanna hing an meinen Lippen und verzehrte sich für mich in heißen Gluten. Dahin! Wie wundersam ließ es sich träumen, wenn der Dämon, der aus der Tasse aufstieg, mich an der Hand faßte und durch die Lüfte geleitete. Dahin’ Wenn ich die Zeitungen durchblättert hatte, dann schaute ich versonnen auf die Straße hinaus, wo die Menschen vorüberwallten, jeder für sich ein geschlossenes Ganzes. Kleidung, Gang, Haltung, die Züge, die eine, bald ein absichtsloser Blick, bald eine unbewußte Gebärde erzählte mir von dem Streben, von dem Leben dieser Gestalt. Gewiß, ich habe mich bei diesem Spiel mit mir selbst oft getäuscht; das Bild, das ich mir von einer Persönlichkeit verfertigte, entsprach vielleicht nur wenig ihrem wahren Sein, ihrem innersten Wesen. Gleichviel, es ergötzte mich, Menschen zu enträtseln, auf die Gefahr hin, daß die Lösung nicht richtig sei; denn wenn sie auch ihre Mängel aufwies, sie war doch immer die meine.

Besonders aber freute ich mich an den rosigen Weibern, die für einen flüchtigen Augenblick im Rahmen des Fensters sichtbar wurden. Mochte zwischen mir und ihnen auch die Scheibe ragen, mochte nichts uns verbinden als ein vorüberflatternder Augenblick, ihre Schönheit ist, solange er währte, doch mein gewesen, weil ich sie bewunderte, und ich ihren Liebreiz genossen, weil er mich entzückte. Allerdings – das Geschöpf, das mich so beseligte, ist mir fremd geblieben. Aber wer weiß, ob ich mehr, ob ich tiefer beglückt gewesen wäre, wenn ich es näher kennen gelernt hätte...

Das Kaffeehaus, in dem ich einst die Schule gestürzt habe, ist mit einemmal verschwunden: es wird in eine Bankfiliale verwandelt. Für mich ist’s das Kaffeehaus der Jugend. Wir bildeten vor Jahren eine lustige Tafelrunde, die sich jeden Nachmittag am Lesetisch zusammenfand. Meine Freunde von damals deckt alle schon die kühle Erde...Und nun ist auch das Kaffeehaus nicht mehr, in dem wir jung und fröhlich gewesen sind...