Aus dem Archiv des Pester Lloyd

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Aus dem Pester Lloyd von 1921

Leitartikel, Autor unbekannt

Österreichische Drohungen

Die Lorbeeren der sozialistischen Presse lassen die bürgerlichen Zeitungen Wiens nicht schlafen. Hatte gestern das publizistische Organ der österreichischen Sozialisten ein Schimpfkonzert angestimmt, worin sich der Sprachschatz des k.k. Hausknechts mit dem Lexikon des republikanischen Waschweibes harmonisch vereinigte, so will die als Weltblatt sich gerierende journalistische Gouvernante der Wiener Finanzwelt nicht zurückbleiben und überschimpft heute die rote Kollegin.

Gut gebrüllt, Löwe! könnte man mit Hinblick auf die Drohungen sagen, wenn man nicht vorziehen wollte, einen älteren Klassiker zu zitieren, der schon vor 1700 bemerkte: „Auf diejenigen soll man nicht hören, die da berserkern, denn die Lärmsucht des Pöbels kommt dem Wahnsinn immer recht nahe.“ In der Tat, wenn man diese in Grobheiten, Derbheiten und Niedrigkeiten gekleideten Drohungen liest, mit denen die Wiener Journale aller Arten und Unarten Ungarn bedenken, muß man fast meinen, die Wiener Regierung glaube, mit ihren homerischen Helden österreichischer Währung, die bloß schimpfen, aber nicht kämpfen wollen, die Schlacht gewinnen zu können.

Andererseits macht es freilich den Eindruck, als würde der rüde Ton der sozialistischen Blätter Schule gemacht haben, ja, als würden die Federhelden in der ehemaligen Kaiser-, jetzt aber Schieber und Jobberstadt sich einbilden, daß bloß sie mit ungewaschenen Worten umherwerfen können. Nichts liegt uns ferner, als in jener Weise zurückzurufen, wie es zu uns herüberschallt, aber empfehlen möchten wir den Grobschmieden des neuesten österreichischen Stils, Börnes „Heringssalat“ zu lesen, denn dort werden sie hübsch alphabetisch geordnet, die Antworten finden, die man ihnen auf ihre Pöbeleien geben könnte, wenn man auf das von ihnen bevorzugte Niveau eben niedersteigen wollte.

Das Lärmen und Toben der Wiener Presse beweist übrigens, daß man in Oesterreich den Mangel an Argumenten durch einen Ueberfluß an Schimpfwörtern ersetzen möchte, Wahrhaftig, der Franzose trifft mit seiner Bemerkung ins Schwarze und Rote: Vous criez, done vous avez tort, und auch der Deutsche urteilt treffend, wenn er den Wiener Heul- und Schimpfmeiern zuruft: Viel Geschrei und wenig Wolle. Fassen wir die Vorwürfe zusammen, die sich in der Hülle von derben Drohungen bergen, so entdecken wir, daß Oesterreich behauptet, die ungarische Regierung respektiere den Vertrag von Trianon nicht und unterstütze den Widerstand der Bevölkerung gegen die österreichische Annexion. Was aber ist die Wahrheit?

Die ungarische Regierung ist fest entschlossen, den Vertrag von Trianon einzuhalten. Sie hat seine Erfüllung nicht verweigert, sondern die Uebergabe der zweiten Zone nur suspendiert bis zu jener Zeit, da Oesterreich die erforderlichen Garantien dafür bieten wird, daß es seine Verpflichtungen Ungarn gegenüber erfüllen will und kann. Die Sachlage stellt sich Oesterreich gegenüber nicht so dar, wie den sonstigen Nachtbarstaaten gegenüber. Das sind Siegerstaaten, während man dies von Oesterreich wahrhaftig nicht behaupten kann. Wir können uns, wenn Oesterreich seine Verpflichtungen uns gegenüber nicht erfüllt, nicht an die Reparationskommission wenden. Die finanziellen Verpflichtungen Oesterreichs, um die es sich hier handelt, sind die folgenden: Zu regeln ist in erster Reihe die Frage der staatlichen Güter, deren Wert wir auf 3 ½ Milliarden schätzen.

Zweitens ist die Frage der staatlichen Schulden und der Kriegsanleihen zu regeln, von denen Oesterreich einem dem zu übergebenden Territorium entsprechenden Teil zu übernehmen hat. Drittens muß Oesterreich auch einen Teil des Stocks der in diesem Territorium befindlichen Banknoten übernehmen. Viertens ist die Beamtenfrage zu regeln, da wir uns nicht der Gefahr aussetzen können, daß Tausende ungarischer Beamten aus diesen Gebieten nach der Hauptstadt strömen und die Zahl der Waggonbewohner vermehren. Die ungarische Regierung mußte in dieser Angelegenheit so vorgehen, wie sie dies getan, zumal der Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten der Nationalversammlung sie angewiesen hat, in den vermögensrechtlichen Fragen die Interessen Ungarn mit der größten Entschiedenheit Oesterreich gegenüber zur Geltung zu bringen.

Die ungarische Regierung konnte sich von den Oesterreichern, denen es nicht ernstlich darum zu tun war, eine friedliche Vereinbarung zustandezubringen, nicht länger zum besten halten lassen. Daß ihre Haltung jedes Mißtrauen rechtfertigt, beweist der Umstand, daß die alldeutsche Partei, die sich früher jeder Vereinbarung mit Ungarn verschloß, in der jüngsten Sitzung des österreichischen Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten für den dort befaßten Beschluß stimmte, weil sie sich offenbar sagte: Wir können die Verhandlungen jahrelang hinausziehen, wenn Ungarn uns nur einmal die westungarischen Gebiete übergeben hat.

Wenn die österreichischen Blätter des ferneren behaupten, daß der Widerstand der Bevölkerung in Westungarn durch die ungarische Regierung organisiert wurde, oder daß sie zumindest stillschweigend duldet, daß ungarische Organisationen die Bevölkerung dort aufhetzen, so kann konstatiert werden, daß keine dieser Behauptungen der Wahrheit entspricht. Die ungarische Regierung hat keinerlei Widerstand organisiert und die strengsten Maßnahmen gegen jene Organisationen getroffen, die Unruhe stiften wollen. Als Beweis hierfür mag der Umstand gelten, daß in der verflossenen Nacht durch die zuständige Behörde zwei Menschen erschossen wurden, die unter dem Vorwande der Organisation einen Einbruch verübten. Die Regierung wird unter keinen Umständen dulden, daß solche Elemente ihr Unwesen treiben, zumal sie der Ueberzeugung ist, daß es gesellschaftlicher Organisation gar nicht bedarf, und daß durch solche die amtliche Aktion des ungarischen Staates nur kompromittiert werden kann. Endlich sei als Beweis dafür, daß die Bevölkerung selbst der Uebergabe Widerstand leistet, darauf hingewiesen, daß die Oesterreicher aus der Reihe der Bevölkerung der Gemeinden Geiseln nehmen!

Diese Tatsachen widerlegen alle Anwürfe und strafen alle Anschuldigungen Lügen. Es könnte genügen, das festzustellen und damit die Debatte zu schließen. Och es ist notwendig, zum Schluß noch einige Worte auszusprechen. In der Wiener Presse werden die Ungarn mit allerlei Liebenswürdigkeiten regaliert, unter denen das Kompliment Banditen! besonders häufig wiederkehrt. Da möchten wir nun fragen: Wenn zwei alte Freunde überfallen werden, dann, ihrer Habe zum großen Teil beraubt, auf dem Boden liegen und nun der eine dem anderen das letzte Goldbündel raubt, wer ist dann der Bandit? Der Räuber oder der Beraubte? Die Wiener Presse behauptet, der Beraubte sei der Bandit und dieser muß deshalb seine Strafe erhalten! Die österreichische Regierung ist der gleichen Meinung. Und die Sozialisten, Alldeutschen und Nurkapitalisten stimmen begeistert ein. Freilich lassen uns diese sonderbaren Auffassungen samt allen österreichischen Drohungen kalt. „Denn wir machen  sie zunichte – Sicherlich und ganz probat; – Daß es uns der armen Wichte – selbst noch jammert in der Tat,“ singt unser Petöfi.