Aus dem Archiv des Pester Lloyd

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Aus dem Pester Lloyd von 1922

Edith von Térey

Thomas Manns Rede und Antwort

Edith von Térey war eine ungarische Schriftstellerin. Die Gattin des Kunsthistorikers und Leiters der Budapester Gemäldegalerie Alter Meister Gábor Térey (1864–1927) schrieb regelmäßig für den Pester Lloyd und für deutschsprachige Zeitschriften. Sie veröffentlichte mehrere Essays und Feuilletonbeiträge über Thomas Mann, mit dem sie in Korrespondenz stand und dessen Werke sie als erste ins Ungarische übersetzte. 1929 nahm sich Edith von Térey das Leben.

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Anläßlich einer brieflichen Äußerung über das Problem des deutschen Schulaufsatzes spricht Thomas Mann den Wunsch aus, die Schüler möchten dazu erzogen werden, die Dinge so auszudrücken, als gelte es irgendeine Gewalt zu zwingen, die Augen davor niederzuschlagen. "Was ist aber der Ursprung des Wunsches, eine Sache siegreich auszusagen?", fährt er fort: "Liebe; Liebe zur Sache, Passion für die Sache, Erfülltheit von ihr." Später: "Sachlichkeit ist nicht häßlich, im Gegenteil besitzt sie die schimmernde Prägnanz, die schlagende Heiterkeit, die sich aus der PAssion für die Sache ergeben."

Daß der Dichter hier eine Kunst lehren möchte, in der gerade er es zur Vollkommenheit gebracht hat, beweist sein letztes Buch "Rede und Antwort" in ganz besonderem Maße. Denn in dem er sich zu einer Fülle von Fragen äußert, die er im Laufe seines Lebens in sich angeregt fand, oder die ihm als vorbildlichem Repräsentanten deutschen Schriftstellertums gestellt wurden, galt es, eine Sachlichkeit auszuüben, die seine Romane nur bis zu einer gewissen Grenze erfüllt - bis zur äußersten, möchte man sagen, denn darüber hinaus müßte die Beobachtung das Erlebnis überwuchen, fehlte jener Brennpunkt, der die Strahlen des Details in sich aufnimmt. Was nun die "Passion" anlangt, so ist sie in jeder dieser kleinen Abhandlungen deutlich fühlbar, am meisten wohl dort, wo der Stoff das Problem eigenen Lebens und Schaffens aufrührt. Thomas Mann ist auch als Kritiker noch Autobiograph.

Was bewog ihn zu der liebevollen Skizze über Chamisso? Außer einigen Gedichten, denen er wehmütig dankbare Erinnerung bewahrt, hat es ihm natürlich der Peter Schlemihl angetan. Der fehlende Schatten und die daraus resultierenden Leiden mögen die Symbolik seines eigenen wie des Lebens Chamissos bedeuten, der, halb Franzose, halb Deutscher, unter der Unwirklichkeit seiner Existenz litt. Denn er war überal und nirgend zu Hause, durch Leid und Begabung gezeichnet, ausgeschlossen und verachtet von seiten der Dicken, Soliden, die einen breiten Schatten werfen. Nun, der fehlende Schatten wurde beiden Dichtern reichlich zuteil, seit sie sich verwirklicht haben durch Werk und Würde, Haus und Ehe. "Man geht an seiner Interessantheit zugrunde oder man wird ein Meister."

Viel verzweigender sind die Fäden, die Thomas Mann mit Fontane verbinden, dem ewig Jungen, dessen Lebensbild, in knappem Rahmen eingefangen, lebendiger zu uns spricht als bändelange Biographien. Auch Fontane hat durch eisernen Kunstfleiß, künstlerische Frömmigkeit, durch große Leistung jenes Recht auf Ironisierung des Geistes, der Literatur errungen, von dem Thomas Mann so gern und reichich Gebrauch macht. Hier haben wir den Dichter mit Bürgersinn, der die Fragwürdigkeit des Typus Künstler, dieser "Kreuzung aus Luzifer und Clown", empfand. Der nie müde wurde, auf die relative Gleichgültigkeit vn Kunst, Wissen, Gelehrsamkeit hinzuweisen und die Vorzüge zu feiern, vielleicht zu übertreiben, deren sich die schönen, lachenden Menschen erfreuen. Daß die Produktion Fontanes auf die Erkenntnis und nicht auf den Rausch gestellt war, daß er oft tagelang anch einem wort suchte, mag denähnlich Gearteten angesprochen haben. Am meisten aber charakterisiert beide die Vereinigung des Konservativen mit einer "tapferen" Modernität; beide sind in ähnlicher Weise "verantwortungsvoll ungebunden", wo es sich um die Stellungnahme zu den Geschehnissen ihrer Zeit handelt.

Die Gedächtnsirede auf den Romancier Keyserling führt nochmals auf Fontane zurück, da bei beiden dieselbe Distanzierung und Durchheiterung einer feudalen Wirklichkeit zu finden sei, dieselbe Skepsis und Resignation in der geistigen Stimmung. Aber auch Hermann Bang wird hier genannt, der dänische Patrizier, dessen Name in manchem Nekrolog stehen müßte. "Was sie zu Brüdern macht, ist die tiefe Sympathie mit dem Leide, mit dem, was hoffnungslos vornehm, dem Glücke fremd, dem Tode verpflichtet ist." Am Grabe Friedrich Huchs betont Thomas Mann jene Mischung von geistiger Verfeinerung und Körperfreudigkeit des Frühverstorbenen, die den neuen deutschen Humanismus verkündige. Was ihn aber nicht hindert in der Vorrede zu Mendelsohns Roamn "Tag und Nacht" eben diesen Regenerationstyp skeptisch zu beurteilen, seine innere Robustheit anzuzweifeln und das Leben auch auf seiten derer zu suchen, die es verneinen. Wenn ich mich recht erinnere, enthält diese Vorrede einen gewissen Passus aus Goethe und Tolstoi, einer Abhandlung, die in den Rahmen des neuen Buches vielleicht besser gepaßt hätte, als der schon bekannte "Friedrich un did egroße Koalition". Es ist hier von der Liebe zu sich selbst die Rede, die immer der Anfang eines romanhaften Lebens sei, und auch der Anfang aller Autobiographie. Jenem Dichter sei Talent zuzusprechen, der schicksalsfähig ist, und nur produktiv zu sein braucht, um unserer Teilnahme sicher zu sein. "Denn nur wo das "Ich" eine Aufagbe ist, hat es einen Sinn, zu schreiben."

In der kleinen Streitschrift "bilse und ich" wird das Thema weitergesponnen. Es zeigt sich, daß Mann der Gabe dichterischer Erfindung wenig Wert beilegt, vielmehr der Ansicht ist, als sei alle große Dichtung von Shakespeare bis Goethe Besselung einer erlebten oder fertigen Form gewesen, subjektive Vertiefung des Abbildes einer Wirklichkeit. Daß hierbei das Portraitieren lebender Modelle unvermeidlich ist, sollten die Gekränkten und Gestempelten nicht als persönliche Bosheit ihrer Person gegenüber auffassen, sondern begreifen lernen, daß sie dem Dichter nichts anderes bedeuten, als ein Vorwand, über sich selbst zu sprechen.

Sobald Thomas Mann sein ureigenstes Thema, den Roman, und damit den Schauplatz seiner Weltanscahuung, das neunzehnte Jahrhundert, verläßt, wird er beweglicher, zukunftsfreudiger. Dies zeigen allerhand Anregungen zu Neuerungen, z.B. Abschafung des Abiturientenexamens, Hebung der sozialen und pekuniären Lage des Lehrerstandes. Seine Vorschläge zur Erneuerung des Theaters, 1910 veröffentlicht, muten sehr zeitgemäß an mit Ausnahme dessen, was über den herrschenden naturalistischen Bühnenstil gesagt wird und zum Teil gegenstandslos geworden ist. Die Forderung nach "reiner Schauspielkunst und theatermäßigen Stücken", nicht nach Dichtungen, ist übrigens undeutsch. Denn deutsch ist es, im Theater eine Bildungsstätte zu sehen, lateinisch-katholisch, es als theatralsich-framatisches Institut zu wollen, das eher eine Stätte sinnlicher Gemeinschaft, religösen Festes, kultureller Volkstümlichkeit wäre. Ein Schritt weiter von Symbolik und Zeremoniell, meint der Zukunftsfreudige, und wir haben die Kirche - und in irgendeiner Zukunft, in der es keien Kirche mehr geben sollte, das Theater an seiner Stelle, den Kunsttempel. Es ist nur zu selbstverständlich, daß im Zusammenhang mit diesem Problem Richard Wagner eine große Rolle spielt, der in Bayreuth am vollkommensten die Vereinigung von Kirche und Theater verwirklicht hat. Thomas Mann preist den klugen, sinnigen, sehnsüchtigen, abgefeimten Zauber dieser Kunst, die lange Zeit sein Denken und Schaffen beeinflußte. Er leibte Wagner, ohne an ihn zu glauben, empfand ihn als tief fragwürdig in bezug auf dne Adel, die Reinheit und Gesundheit der Wirkungen. Im übrigen sieht er den Stern dieser mächtigen Kunst, die neunzehntes Jahrhundert ist, durch und durch im Sinken begriffen und entwirft ein Bild vom musikalischen Meisterwerk des zwanzigsten Jahrhunderts, das Strenge, Heiterkeit und Kühle atmet und den Rausch entbehren kann.

Wie sehr Zukunft und Erneuerung den so gern Beharrenden bewegt, zeigt am eindringlichsten ein Brief an Hermann Keyserling, dessen philosophisches Reisetagebuch er neben die besten Bcher unserer Zeit stellt. (Spenglers "untergang des Abendlandes" wird als intellektualer Roman auch dazu gerechnet.) Mit Sympathie begrüßt er den Plan des Grafen, in Darmstadt eine Schule der Weisheit zu errichten, die eine neue Synthese von Seele und Geist als lebendige Einheit von Erkennen und Sein lehren soll. Nun aber kommt: das Tapfere. Derselbe Thomas Mann, der ein dickes Buch geschrieben hat, um das erhaltende Prinzip der Seele gegen das des Geistes zu verteidigen, betont, daß "nur vom Geist, nicht von der Seele, die Wiederanknüpfung ausgehen können, daß jeder Versuch, das Alte, durch Kritik Tote aus der Autorität und von Gemüts wegen wieder zu beleben, Obskurantismus sei". Was hindert ihn nun, mit Keyserling weiter zu gehen und als den höchsten Menschen den vollkommen Detachierten zu erklären, der keine geographische Sentimentalität kennt, keine Vorliebe für diese oder jene Sitte, kein Vorurteil gegen irgendeienen Beruf, überhaupt keine Ausschließlichkeit in seinen Gefühlen?

Ein kleiner Einwand sei erlaubt. Gesetzt den Fall, das Unmögliche geschähe und die Menschheit würde dieses "detachierten"*1 Zustandes teilhaftig (auch in moralischer Hinsicht, was eigentlich nur beim hochstehenden Einzelenen undenkbar erschiene), woher soll bei dieser Masse der Antrieb zu Leben und Aktion kommen? Ein solcher Höhepunkt bedeutet das Ende - vielleicht das einzige, zu dem unsere westeuropäische Mentalität emproführen kann, und das glorreichste im Vergleich zu anderen Abschlüssen -, aber kein Ideal, was übrigens kein Grund sein soll, dem Detachement aus dem Wege zu gehen.

Es gab eine Zeit, da es aussah, als wolle man den Dichter der "Buddenbrocks" mit gebührender Ehrfurcht - doch abschiednehmender Gebärde den Klassikern einreihen. Damals war viel die Rede von Heinrich Mann. Heinrich als Führer der jüngsten deutschen Dichtergeneration, dem Freund und Fürsprecher der Arbeiter, dem unerbittlichen Geißler des militaristischen Hohenzollernprinzips. Und dies nicht etwa durch Aufrufe und Abhandlungen, sondern, wie es sich gehört, durch das Medium seiner Kusnt - einer sehr blendenden, hohen Kunst, das läßt sich nicht leugnen. Das ist wohl das Trennendste zwischen den Brüdern, das Thomas seine Kunst vom Zweck trennt. Nicht als o bder Zweck, die Sache im gleichgültig wäre! Das Verantwortlichkeitsgefühl für alle Angelegenehiten seines Volkes war mit den Jahren in ihm gewachsen, begleitet von unerbittlicher Treue und Strenge sich selbst gegenüber, die nicht den kleinsten Seitenblick auf Beifall gestattete.

Solche Rechtschaffenheit wird leicht durch Fanfaren übertönt, aber nur zeitweilig und besonders in Zeiten des Tumults. Kürzlich wurde in Lübeck die Buddenbrock-Buchhandlung im getreu rekonstruierten Elternhause des Dichters eingeweiht. Und bei der Goethefeier in Frankfurt, die recht eigentlich den Fähigkeitesnachweis der deutschen Republik in geistigen Dingen erbringen sollte, saß Thomasn Mann mit den Dichtern Binding und Unruh in der Fürstenloge neben dem Reichspräsidenten.

Solche Dinge sprechen dafür, daß Deutschland anfängt, sich auf sich selbst zu besinnen. Wo die Fundamente wieder respektiert werden, da ist erneuter Wille zum Aufbau.

*1 - Detachment - Ablösung, Trennung - im Sinne von Trennung von Geist und Seele