Aus dem Archiv des Pester Lloyd

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(c) Pester Lloyd / Archiv

 

Aus dem Pester Lloyd von 1928

Alfred Polgar

Exzentriks

Als verhätnismäßig blühender Knabe schrieb ich ein Theaterstück. Es war unerhört lustig und ich mußte sehr viel über das Stück lachen. Wann immer es mir einfiel, platzte ich heraus, niemand wußte, warum. Mein Vater, der Künstler war, Musiker, behaftet mit der übelsten Göttergabe: mit unproduktivem Genie, zu schwach für das Große, zu groß für das Kleine, hatte, in solch furchtbarem Zwischenreich vegitierend, wenig Sinn für Gelächter überhaupt udn gar keinen für so unbegründetes wie das meine. Infolgedessen hielt er mich für schwachsinnig. Durch andere, bösere, Dummheiten bewies ich ihm später, daß ich das nicht sei.

In meinem Stück gabe nur Monologe. Jeder Spieler sagte, ohne sich um den andern zu kümmern, frei heraus, was er eben dachte und empfand. Die Figuren gingen aneinander vorbei wie Spaziergänger auf der Straße. Lauter Sonderlinge. Unter ihnen gab es zum Beispiel:

einen Bauer, der, weil er Regen wünschte, zu enge Stiefel angezogen hatte. Dann schmerzten ihm nämlich die Hühneraugen, und dies galt ihm als Anzeichen für kommendes Schlechtwetter; einen leidenschaftlichen Schachspieler, der (wie die Zigarrenverkäufer in Gasthäusern ihr Brett mit Ware) immer ein Schachbrett am Riemen umgehängt trug; der Partner, auf der anderen Seite des Brettes, mußte rückwärts gehen, im Krebsschritt; einen Mann, der im Umgang mit seiner Frau immer das Opernglas vor die Augen hielt, und zwar verkehrt, mit jener Seite, die das Objekt verkleinert und fernrückt.

Wirklich lachen - jenes Lachen, das den Druck der Lebensangst aufhebt - kann man ja, schon als Kind, nur über Exzentrikfiguren, das heißt über Wesen, die aus der rationalen Ordnung gesprungen sind, grundsätzliche Narren, in deren sinnlosem Tun der tiefe Sinn lebt: den Götzen Vernunft so lächerlich zu machen, wie er es verdient.

Kinder selbst sind großartige Exentriks. Auch die Tiere sind es. Kein Mensch parodiert das Menschliche so gut wie sie.

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Lebt Baggesen noch, der Mann mit dem unentrinnabren Fliegenpapier? Er trug einen Stoß von hundert Tellern über die Bühne, sie kamen ins Gleiten, aber sie fielen nicht, obgleich der lockere Porzellanturm so schief stand, daß die Zuschauer, den sicheren Fall für die nächste Sekunde erwartend, schon wonnignervös quietschten. Er trug seine Teller mit bezaubernd geschickter Ungeschicklichkeit, aber einen Milimeter vorm Ziel, als (und weil) er erleichtert aufseufzte, krachten sie zu Boden. Nur ein einziger Teller blieb ihm in der Hand. Den ließ er, jetzt war ja schon alles gleich, freiwillig fallen. Madame Baggesen, rund, mit knallroten Backen, hielt sich im Hintergrund auf und war verlegen. Sonst hatte sie nichts zu tun. Ihre Verlegenheit stand wie ein Mond, sanftes Licht über die wilde Szene gießend.

Und der große Billie Reeves, macht er noch immer den betrunkenen Gentleman in der Varietéloge? Das Programm mißfiel ihm sehr, jede Nummer erweckte seinen Widerspruch. Himmlisch das turbulente Phlegma, mit dem er ihn äußerte, und wie im Unfug, den er trieb, die Grenzerscheinungen der Betrunkenheit: hemmungslose Schlafsucht und hemmungslose Exzedierlaune sich mengten. In der Loge gegenüber tobte ein zappeliger Bursche mit Matrosenbluse, der vor Schadenfreude schrie und Salven von Apfelsinen auf den betrunkenen Gentleman feuerte. Sein Name war, zumindest behaupten das gelehrte Historiker des Varieté, Charlie Chaplin.

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Exzentriks sind leibhaftige Pamphlete wider Würde, Ernst, Haltung. Dafür dankt ihnen unser Herz, befriedigt wie ein Subalterner, der des Gebots, das ihn sein Leben lang drückt und beugt, ein Weilchen spotten darf. Exzentriks erlösen vom Übel der Schwerkraft. Sie verhelfen zu einer Vision vom Spielzeughaften der Welt... und so zu Kindheitsglück. Unter ihren Griffen wackelt die Kausalität wie Baggesens Tellerbau; wenn sie einstürzt, ist das Musik unserem Hirn.

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Das Heute hat viel übrig für Exzentriks, auch auf geistigem Gebiet, dessen Hochplateau den Spitznamen "Kunst" führt. Was sind Synkope, Hamlet im Frack, Jazz, die konstruktivistische Bühne, Sechstagerennen, der finstere Ulk der Geisterseherei und der ganze Arhythmus der Zeit anderes als Proteste gegen die Schwerkraft, als Versuche, zu teilen, was die sehr überschätze Logik streng gebunden, als Auflehnung gegen die faden Gesetze der Wahrscheinlichkeit? Bedroht vom Absurden, schützen wir uns eben durch dieses, wie die Indianer das Gras anzünden, um dem Präriebrand zu begegnen.

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Doch gehört zum rechten Exzentrik noch etwas mehr als Narrheit. Nämlich Humor, das heißt: die Fähigkeit, das Leben des Menschen als die kostbare Unterhaltung zu spüren, die es den Göttern bedeuten und bereiten mag. Humor allein kennt den archimedischen Punkt, von dem her die Welt aus ihren greulich knarrenden Angeln zu heben ist.

Exzentriks ohne Humor - man findet sie zum Beispiel unter neueren Dramatikern - sind was ganz Unheimliches und Fatales. Wie ein Zappelfisch auf dme Trockenen. Oder wie ein Blinder, der durchbohrende Blicke wirft. Oder wie ein Reiter in vollem Galopp - ohne Pferd.