Aus dem Archiv des Pester Lloyd

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Aus dem Pester Lloyd von 1930

Benito Mussolini, Italienischer Ministerpräsident

Paneuropa

siehe dazu auch: Die Aussichten des neuen Jahres, 1933

Die Gegenwart ist der Vergangenheit darin ähnlich, daß auch heute Koalitionen geplant werden, die anderen Staatengruppen entgegengestellt werden sollen. Nur zu Zeiten von großen Welteroberern, wie Alexander und Cäsar, hat es solche Bündnisse nicht gegeben. Wir finden Bündnisse schon zu Beginn historischer Zeiten am Nil, Euphrat und Jordan, von wo die ersten Kulturen zu uns kamen. In der Genesis ist von Kämpfen die Rede, die zu Zeiten Abrahams von vier verbündeten Königen gegen einen Bund von fünf anderen Königen geführt wurden. Im Mittelalter finden wir die Bünde überall, und die Neuzeit hat sie beibehalten und noch größer und mächtiger gestaltet, weil die heutige Welt dichter bevölkert und reicher ist.

Der Weltkrieg hat einen Bund zertrümmert und damit dem Streben nach einem Bund unter pangermanischer Führung auf viele Jahrzehnte hinaus und, was Italien betrifft, für immer, ein Ende bereitet. (sic!) Aus dem Kriege, der die Welt, wie das gar nicht anders sein konnte, in einem Zustand heilloser Verwirrung hinterließ, entsprangen der Völkerbund und nunmehr auch noch der von der französischen Regierung befürwortete Plan der „Vereinigten Staaten von Europa“. Diese Kombinationen haben, zusammen mit allen Bündnissen, die Welt mit einem äußerst komplizierten System von Verpflichtungen beschert.

An erster Stelle ist als die geschlossene Völkergruppe der Gegenwart der „Britische Bund der Völker“ zu nennen, wie einige Staatsmänner das britische Reich umbenennen möchten. Die sogenannten Dominions sind Staaten, die zu einem unter der Ägide von Panbritannien vereinigten Staatenbund gehören. Die historische Monroe-Doktrin hat den Begriff Panamerika geschaffen und der Wirklichkeit schon so nahe gebracht, daß das Wort „Panamerika“ heute schon eine bemerkenswerte Bedeutung besitzt. Es gibt ein Panrußland, das zwar die Ziele des zaristischen Panrusslands der Vorkriegszeit geändert, aber auch bedeutend weiter gesteckt hat. Was einst höchstens ein Panslawismus war, ist zwar heute noch Panslawismus, aber um den Panbolschewismus vermehrt, der die ganze Welt erobern möchte. Dann haben wir den Panislamismus, der sich, obwohl sein Kopf in der Türkei abgeschlagen wurde, über alle mohammedanischen Länder erstreckt. Ferner gibt es eine panindische Idee und so fort. Wo ist unter diesen mannigfaltigen und verwickelten Kombinationen der Platz des kürzlich von Briand vorgeschlagenen Paneuropa, und welche praktischen Vorteile würde ein Bund aller europäischen Völker mit sich bringen?

Es gibt heute drei Musterbeispiele von Staatenbünden, die die Proben der Zeit und mancherlei Kämpfe überstanden haben und aus dem Erschütterungen und dem Schmelztiegel der Bürgerkriege und der Kämpfe gegen auswärtige Mächte immer gefestigter hervorgegangen sind: das britische Reich, die Vereinigten Staaten von Amerika und das Deutsche Reich. Obwohl letzteres so furchtbar geschlagen worden war, daß das letzte Lot der Kraft des Reiches als ausgeschöpft gelten mußte, ging Deutschland dennoch aus dem Weltkrieg mit einem durch Mißerfolge und Verluste nicht im geringsten geschwächten Einheitswillen aller deutschen Stämme hervor.

Von diesen drei wichtigsten Bünden ist vielleicht das britische Reich der einzige, der sich im Wechsel der Zeiten zu einem Bunde ausgewachsen hat. Imperialistischer Drang hatte die kolonialen Pioniere in unkultivierte und unerforschte Gegenden der Welt zur Eroberung und Aufrichtung der britischen Herrschaft getrieben. Dort legten sie Kolonien an; aus der Kolonie entstand ein Volk, das dem Mutterland und den anderen Kolonien unter britischer Herrschaft die Treue stets bewahrte. Einzig und allein die nordamerikanischen Kolonien sind abgefallen; aber nachdem England daraus gelernt hatte, daß es die Zügel nicht zu straff halten durfte, blieb sein ganzes übriges Reich in den Banden gemeinsamer Abstammung, Kultur und Blutsverwandtschaft vereint.

Obwohl die mächtigen föderierten Staaten Nordamerikas ursprünglich ein Sprößling britischer Kolonisierungsarbeit waren, nahm ihre Entwicklung doch einen ganz anderen Verlauf. Indem sie die britische Herrschaft abwarfen, vereinigten sich die dreizehn ursprünglichen Kolonien zu gemeinsamer Verteidigung, wie es im Vorwort zu ihrer Staatsverfassung ausdrücklich hervorgehoben wird: „Wir Bürger der Vereinigten Staaten beschließen und führen folgende Verfassung ein, um eine vollkommene Vereinigung herbeizuführen, Gerechtigkeit walten zu lassen, den Frieden im Inneren des Landes zu sichern und für eine gemeinsame Verteidigung zu sorgen…“

Auf dieser Grundlage und mit Hilfe der gemeinsamen Abstammung und Kultur ihrer Bewohner begannen die Vereinigten Staaten ihre so bedeutsame Geschichte. Der Bund breitete sich aus, und der Drang, die eigene Macht territorial wie wirtschaftlich zu erweitern, vollendete den Bau, der heute der mächtigste Staat des Westens ist. Einmal sind die Vereinigten Staaten durch erbitterte innere Kämpfe bedroht worden, sie überstanden diese aber nicht nur ungebrochen, sondern sie wurden im Feuer der Schlacht zu einem festeren und gestählteren Bunde zusammengeschweißt, der im Laufe der Zeit geradezu unverletzlich geworden ist.

Die Bildung des „Deutschen Bundes“ fand seinen vollkommensten Ausdruck in Bismarcks Persönlichkeit und in seiner Politik von „Blut und Eisen“. Dynamische und zwingende Kräfte drängten damals auf Verwirklichung der deutschen Einheit, deren Ausgangspunkt in dem Bedürfnis nach einer gemeinsamen Verteidigung und dem Drang zur Ausdehnung und zur Schaffung eines großen Reiches lag. Wir wissen, daß das rassemäßig, sprachlich und durch das gemeinsame Schicksal des Vaterlandes geeinte deutsche Volk mit Begeisterung dem vorgesetzten Ziel der Einigkeit und der Ruhmesmehrung der deutschen Nation zustrebte. Auf dieser Grundlage haben die verbündeten deutschen Staaten ihre Eigenart unberührt erhalten und sind dennoch zu einem Ganzen verschmolzen, das durch nichts getrennt werden kann, und für das alle Deutschen wie ein Mann zu kämpfen bereit sind.

Alle diese drei erfolgreichen Bünde weisen ein gemeinsames Element auf, das zu ihrer Zusammenschmiedung beigetragen hat. Ohne den Drang, gemeinsam das Geschick des Bundes zu gestalten, würde bei all diesen Föderationen die aus einem Guß geschaffene Festigkeit fehlen. Der Gedanke vereinter Abwehr feindlicher Angriffe und darüber hinaus der edanke einer Schicksalverbundenheit haben diese drei großen Bundesstaaten zu voller Erkenntnis ihrer Untrennbarkeit geführt. Sie werden in dem Bunde nur solange bleiben und die Einzelteile werden nur solange verschmolzen sein, wie jenes gemeinsame Ziel, die allen Teilen gemeinsame wesentliche Bedingung vorhanden ist, die in dem unverletzten Verbundenheitsgefühl der einzelnen Gliedstaaten besteht.

Können wir aber, wenn wir an den Gedanken der „Vereinigten Staaten von Europa“ herantreten, eine solche Gemeinsamkeit von Willensrichtung, Ziel und Schicksal feststellen? Wie verschieden sind die Aspirationen der europäischen Völker! Die Ziele sind nicht nur verschieden, sondern sie stehen einander sogar im Wege. Kann man heute die Ziele Frankreichs und Deutschlands miteinander verschmelzen? Können die Interessen Großbritanniens mit denen der kontinentalen Staaten vereinigt werden, während die Völker des weit ausgedehnten britischen Reiches die Beibehaltung von Britanniens Eigenart verlangen? Wie können wir unsere zahlreichen Verschiedenheiten und Eigentümlichkeiten zum Verschwinden bringen? Heute ist Europa zu mannigfaltig, als daß es zu einer Einheit verschmolzen werden könnte, in der die Interessen und Ziele der Einzelnen in dem Gedanken an die Wohlfahrt des Ganzen aufgehen könnten. Die politischen, wirtschaftlichen und rassemäßigen Zusammensetzungen sind viel zu wesensverschieden; Verschmelzung würde einen Bastard, aber kein Vollblut hervorbringen.

In Europa liegt noch kein genügender Grund für einen Zusammenschluß vor. Die Bildung eines Bundes wird durch viel stärkere und spontanere Kräfte herbeigeführt, als heute in der internationalen Lage Europas zu finden sind. Es lastet vorläufig noch kein äußerer Druck auf Europa. Dagegen könnte die Föderierung Europas einen solchen Druck herbeiführen. Paneuropa könnte leicht ein Panamerika oder ein Panbritannien sich gegenüber finden.

Zwei Erwägungen, die mit dem Namen Großbritannien und Russland bezeichnet werden, drängen sich besonders auf. Jede dieser beiden Mächte würde für die geplante Föderation ein Dilemma bieten. Wenn Großbritannien in die Föderation eintreten würde, würde es das ganze Britische Reich mitbringen, und die Grenzen der europäischen Föderation würden sofort die ganze Welt erfassen. Wenn aber Großbritannien dem Bund fernbliebe, so würde die stärkste europäische Macht in dem Bunde fehlen.

Wäre ferner eine europäische Föderation ohne Rußland möglich? Russland nimmt doch die Hälfte Europas ein. Welch furchtbare Bedrohung liegt darin! Würde es aber möglich sein, die Staatstheorien der Sowjets mit den Anschauungen des übrigen Europa in Einklang zu bringen? Und wie steht es um das Asiatische Rußland? Paneuropa würde sich vor die peinliche Entscheidung gestellt sehen, entweder halb Europa aus dem Bund auszulassen oder halb Asien hineinzunehmen.

Es besteht in Europa das dringende Bedürfnis nach einer Periode des Friedens. Unruhe, Unzufriedenheit und Ungerechtigkeit stehen indessen jeder paneuropäischen Konsolidierung hindernd im Wege. Bevor wir zu einer allgemeinen Verschmelzung der Ziele kommen können, wäre eine ernste und unvoreingenommene Überprüfung der bestehenden Verträge nötig. Völker, die siegreich aus dem Kriege hervorgegangen sind, sind mit den Ergebnissen ihres Sieges unzufrieden, und bevor die Ruhe hergestellt werden kann, ist eine Retusche der Verträge nötig, die die Grundlage der europäischen Beziehungen bilden.