Aus dem Archiv des Pester Lloyd

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Aus dem Pester Lloyd von 1932

Desider Kosztolányi

Freund der Menschheit

Ich habe einen Bekannten, der liebt die Menschheit. Ich liebe meinen Sohn, die Meinen, einige Freunde, liebe auch die grüne Tinte, mit der ich seit meiner Jugend schreibe, bisweilen eine Kalbshaxe mit Essig und Kren, sodann helle Zigarren. Mein Bekannter jedoch liebt ausschließlich die Menschheit.

Mich verachtet er ein wenig. Er staunt darüber, dass es im zwanzigsten Jahrhundert jemanden gibt, der die Menschheit nicht liebt. Ich pflege ihm zu antworten, dass ich ihr noch nicht begegnet sei, sie noch nirgend gesehen habe, dass sie mich noch niemals aufgesucht hat. Als Antwort lächelt er geheimnisvoll, verzeihend. Er will mich nicht beleidigen, hütet sich auszusprechen, dass er mich im Grunde genommen für einen herzlosen, selbstsüchtigen Menschen hält.

Morgens, wenn er aufwacht, denkt mein Bekannter an die Menschheit. Wie hat wohl des Nachts die Menschheit geschlafen? Hat vielleicht das Kissen ihren Kopf gedrückt? Hat sie seit gestern irgendwelche Fortschritte gemacht? – Ich gestehe, dass mich da ganz andere Gedanken beschäftigen. Vor allem: Wovon werde ich meine Gasrechnung bezahlen und wovon werde ich meinem Sohn einen Winterrock kaufen? Der Freund der Menschheit hat mich schon wiederholt wegen solcher Kleinigkeiten gerügt. Lange dachte ich, er sei ein dummer, eingebildeter Kerl. Im Laufe der Jahre aber entdeckte ich meinen verhängnisvollen Irrtum. Er ist einer der größten Weisen, die ich jemal gesehen habe. Während ich meine Liebe unterwegs verschwendete, meine Kräfte an jene verteilte, mit denen ich zusammen lebe, hat mein Bekannter, der stille Freund der Menschheit, steinreich geheiratet, ein ungeheures Vermögen zusammengerafft, er ist an Bettlern vorbei gegangen, die er niemals sah, er hat fette Geschäfte gemacht, ein Gut gekauft und lebt jetzt bequem in seiner an Teppichen reichen Wohnung. Da er keine Kinder hat und seine armen Verwandten, die ihn beim Denken stören könnten, von sich streng und konsequent fernhält, hat er an Kindes statt die Menschheit adoptiert, die liebe, kleine Menschheit. Es heißt, sie sei ein intelligentes Kind. Spreche mehrere Sprachen. Dieser Verwandte hat angenehme Eigenschaften. Er ist keineswegs überaus zudringlich. Er klopft nicht an seiner Tür, verlangt kein Brot, braucht keinen Winterrock, strahlt ihm, mit glorienscheinumwobener Stirn, aus ehrbarer Ferne entgegen. Niemand kann mit den Worten sein Zimmer betreten: „Ich, bitte, ich bin die Menschheit!” Das kann jeder einzelne tun, ob er Peter heißt oder Paul. Nur die Menschheit kann es nicht.

Unlängst schickte ich trotzdem die Menschheit zu ihm, in der Person eines hungernden Studenten. Mein bekannter, der Freund der Menschheit, ließ ihn in den Salon führen. Er las eben die Zeitung, aus der er voller Empörung erfuhr, dass die Menschheit wieder einmal geschändet worden ist: in Südamerika bekam ein schwarzer Friseurgehilfe eine Maulschelle. Seine Hand ballte sich zur Faust, da er dies dem Studenten erzählte, doch verheimlichte er nicht, dass der Fortschritt trotzdem greifbar sei, und er hob als besonders ermutigende Erscheinung das Kino, das Radio und das Flugzeug hervor, die man sich im vorhergehenden Jahrhundert noch nicht hätte vorstellen können. Der Student, der von ihm nichts bekam, pflichtete ihm verwirrt bei, dass man sich so etwas im vorigen Jahrhundert tatsächlich nicht hätte vorstellen können.

Als dann der ungelegene Gast von dem Freunde der Menschheit Abschied nahm und im Vorzimmer rasch, wie ein Gebet, flüsterte, dass er seit gestern nichts gegessen habe, da füllten sich die gütigen Augen meines Bekannten mit Tränen. Er konnte sich nicht beherrschen, schob erschüttert den Studenten hinaus, eilte dann ins Speisezimmer. Hier wurde gerade zu Mittag gedeckt. Er befahl im Ton der Empörung dem Stubenmädchen, sein Gedeck wegzuräumen, und auch er aß an diesem Tag nichts zu Mittag. Ein so wunderlicher Kauz ist mein Bekannter, der Freund der Menschheit.

15. Mai 1932