Aus dem Archiv des Pester Lloyd

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Aus dem Pester Lloyd von 1936

Franz Herczeg

Die Legende vom Journalisten

Die nachstehende Legende wurde heute im Liszt-Konzert der Journalisten vorgetragen und mit stürmischem Beifall aufgenommen.

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Am sechsten Tag vollendete der Herr das Werk der Schöpfung.
Und was er in den sechs Tagen schuf, das schenkte er am siebenten seinen Geschöpfen.
Den Fischen aber gab er das Wasser; dem fliegenden Gevögel die Luft; den lebendigen Tieren die Erde. Den Menschen aber schenkte er die Fische und die Vögel und die Tiere.
Als der Herr alles bereits verteilt hatte, stürmte ein Gast, der sich verspätet hatte, einher, und in die Knie sinkend vor dem Schöpfer, flehte er:
Herr, auch ich erbitte mein Erbteil.
Du kamst zu spät - sagte der Schöpfer -, für dich bleibt nichts mehr übrig.
Herr, mein Herr, wie kann ich dann leben auf deiner schönen Welt?
Du wirst nicht leben, mein Sohn, du wirst bloß zusehen, wie andere leben. Du wirst schauen und aufzeichnen. Du wirst der Spiegel sein, in dem das Leben sich selbst sehen kann. Du wirst der Journalist sein.
... Ein Beobachter mit offenen Augen, mit einem alles in sich saugenden Gehirn, mit einer immerdar aufzeichnenden Hand: das war der Journalist.
Er schrieb aufs Kerbholz, in welchen rasselnden Goldkarossen der Großherr dahinrollte, er, der Journalist, mußte aber zu Fuß weiter schreiten. Er beschrieb die vielen Gerichte auf der Tafel der Millionäre, doch es war nicht schicklich, daß er selbst Hunger empfinde.
Wenn die Schönheit den Schleier lüftete, hatte er die Perlen zu zählen, die auf dem schneeigen Leib glänzten, jedoch bloß von der Ferne mußte es geschehen, denn nur Augen durfte er haben, aber kein Herz. Und auch keine Stimme war ihm eigen, dennoch wurde er das Sprachrohr, mit dem die Politiker das Volk gewannen. Wenn ein faßgroßer Riesenkürbis wuchs oder ein zweiköpfiges Kalb geboren wurde, er staunte nicht darüber, nur andere versetzte er in Verwunderung.
Er lebte nicht das Leben, er beschrieb es bloß.
Doch eines Tages empörten sich die Leser.
Der Großherr rief unzufrieden: Welch ungebildeter Skribler ist das ! Die Pferde meiner Karosse bezeichnete er als Araber, und sie sind doch englisches Vollblut.
Der Millionär hinwieder brauste auf: In der Schilderung meines Gastmahls vergaß er die Nachtigallenzungenpasteten! Eine empörende Gewissenlosigkeit!
Die Schönheit schmollte, denn der Journalist hatte es unterlassen, die Diamantenschließe ihrer Perlenschnur zu erwähnen.
Der Politiker tobte in seinem Zorn, denn in seiner langen Rede wurden die Applaussalven unterschlagen. Kein Zweifel, die Gegenseite hatte den Schreiber bestochen.
Am meisten war indes der Mörder entrüstet, denn durch die blutigen Sensationen der Zeitung verwilderten Sitte und Moral.
Ist denn die Zeitung ein Spiegel des Lebens?
Uns welcher Art ist dieser Spiegel? Vergrößert oder verkleinert er, oder verzerrt er in lügnerischer Weise die Dinge? In Stücke müßte man einen solchen Spiegel schlagen!
Der Menschenschwarm ergoß sich bis zum Haus des Herrn.
O, Herr, befreie uns von allen Journalisten!
Und der Herr redete:
Ich will euch befreien. Doch wenn nicht mehr die Journalisten, wer soll fürder die Zeitungen redigieren?
Die Engel! riefen die Menschen. Deine heiligen Engel.
Sprach der Herr:
Euer Wunsch sei erfüllt! Aber bedenket wohl, was ihr euch wünschet. Die Engel sind die Diener der Wahrheit. Sie können nur die Wahrheit schreiben, die ganze Wahrheit. Über den Millionär werden sie berichten, auf welche Weise er seine Millionen erwarb. Vom Großherrn werden sie melden, in welcher Art er den Armen half, und von der Schönheit, welchen Träumen sie in stillen Nächten nachging. Und über den Politiker werden sie schreiben, wen er mehr liebt: das Volk oder sich selbst.
Tiefe Stille folgte diesen Worten des Herrn.
Dann aber vernahm man eine demütige Stimme:
Du bist die Güte! Du bist die Weisheit! Du weißt am besten, welche Zeitung uns armen, irrenden Menschen frommt.
Der Herr wußte es am besten, und es blieb alles, wie es war.
Der Journalist schrieb weiter, und der Leser ärgerte sich weiter.
Gott aber sah alles, was er gemacht hatte; und siehe da, es war sehr gut.