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Aus dem Pester Lloyd von 1939

Erich Kästner

Ist die Frau dümmer als der Mann?

Wenn sich ein Junge mit einem Mädchen streitet, so wird in neunzig von hundert Fällen der Junge sagen: „Och, ich werd mich mit dir zanken! Wo ihr viel dümmer seid als wir.“ Später wird man ja bekanntlich höflicher. Aber wer scharf zuhört und Unausgesprochenes versteht, der wird feststellen müssen, dass sich im Prinzip nichts ändert. Die geringe Meinung von der weiblichen Intelligenz ist geblieben; und wenn eine Frau wirklich unbestreitbare Beweise von Verstand erbringt, so wird ihre Leistung mit ungewöhnlichem Fleiß entschuldigt. Und wenn auch das nicht hilft, so wird sie ein Ausnahmefall gescholten. Im übrigen bleibt der Mann dabei: die Frau ist geistig nicht auf seiner Höhe. Sogar manche Frauen (und nicht die dümmsten) sind dieser Ansicht.

Ist sie richtig? Ist sie falsch? Was ist wahr daran? Muss die Frau es sich gefallen lassen, dass ihr Geschlecht mitleidig betrachtet wird und dass ihr die geistige Produktionsfähigkeit abgesprochen wird?

Wenn nun eine Frau behaupten wollte und beweisen könnte, dass sie klüger sei und einfallsreicher als ihr Mann und Bruder und Schwager, so das unsere Erörterung natürlich nicht vom Fleck. Denn dass die einzelne weibliche Person intelligent sein kann, wird von niemanden bestritten. Es gibt ja auch Ringkämpferinnen n der Vorstadt, die männliche Gegner besiegen, und Sportlehrerinnen, die schneller laufen und schwimmen können als mein Freund Paul.

Gleichwohl wird es niemand einfallen, zu erklären, die Frauen seine stärker und rascher als die Männer. (...)

Die vage behauptete geistige Unterlegenheit der Frau muss, wenn die Behauptung zutreffen soll, schärfer und eindeutiger beschrieben und erforscht werden. Und es gibt bereits präzise Formulierungen und wissenschaftliche Erklärungen der öffentlichen Meinung. Beispielsweise dürfen die zwei folgenden Sätze als bewiesen gelten:

1.Die geistigen Höchstleistungen der Frauen werden von den männlichen überboten.
2.Die durchschnittliche geistige Leitungsfähigkeit der Frauen ist geringer als die der Männer.

Man wird einsehen, dass die beiden Sätze Selbständigkeit haben und dass keiner der zwei darin vermittelten Tatbestände aus dem anderen zu folgen ist. Es ist enau so vorstellbar, dass der weibliche Durchschnitt (trotz der männlichen Höchstleistungen) besser wäre. Dass dem so nicht ist, kann nicht einfach und logisch geschlossen, sondern es muss erfahren werde. Die Erfahrungswissenschaft hierfür ist die Psychologie...

Ich las kürzlich die Arbeit eines Gelehrten über die „Psychologie der Geschlechter“ und möchte kurz mitteilen, was sich bei seinen Experimenten ergab.

Die Wissenschaft befasst sich mit der Durchforschung solcher Dinge nicht zuletzt aus praktischen Gründen. Es ist im Hinblick auf die steigende Beruftätigkeit der Frau sehr wichtig, ihre intellektuelle Arbeitsfähigkeit zu erkennen. Ob der Mann auch in Dingen der Menschenkenntnis und des praktischen Lebens für überlegen gelten darf, ist völlig fraglich. Sogar auf dem Gebiet der Mathematik ist die Sachlage nicht ohne weiteres klar. Schulexperimente haben ergeben, dass die Mädchen den Knaben etwa bis zum 15.Lebensjahr in Geometrie überlegen sind und in Algebra nachstehen, dann kehrt sich das Ergebnis geradezu um! (...)

Nun erhebt sich aber eine noch wichtigere und noch schwierigere Frage, nämlich: Ist Minderbegabung der Frau ursprünglicher Art oder ist sie das Resultat der Jahrhunderte langen Bildungsnachlässigkeit? Liegt es an der Frau oder an ihrer Erziehung? Man wird beide Faktoren berücksichtigen müssen. Sicher ist die Frau – die in manchen Dingen dem Manne geistig überlegen oder doch gleichwertig ist – im allgemeinen bereits in der Erbanlage etwas unterwertig. Das bei der Frau überwiegende Gefühlsleben und ihre stärkere Beanspruchung durch das Geschlechtsleben sind ebenso Ursache dieses Tatbestandes wie die lange Benachteiligung der Frau in sozialer, rechtlicher und erziehlicher Hinsicht.

So kommt es, dass die männlichen Spitzenleistungen einzig dastehen und dass die weiblichen Spitzenwerte mit den männlichen Durchschnittswerten zusammenfallen. Bei den einzelnen Individuen kann es gerade umgekehrt sein. Nur beim Verhältnis der Gruppen ist der eindeutige Vergleich mit der Muskelkraft der Geschlechter zulässig. (...)

Interessant ist auch Prof. Paulis Feststellung, dass die Frauen anfangs dem Manne überlegen arbeiten, später aber ermüden und nachlassen, während der Mann den Ermüdungszustand normalerweise bald überwindet und wieder besser weiterarbeitet.

Eine Prüfung der elementarsten geistigen Tätigkeiten (des einfachen Lesens und Schreibens) ergab ziemliche Gleichheit. Die allgemein festgestellten Unterschiede entstehen erst bei kombinierten Leistungen, die dem Manne weniger Schwierigkeiten machen. Dazu kommt, dass die männliche Konzentrationsfähigkeit größer ist. Die Frau gerät in Nachteil durch Abschweifen von der Aufgabe oder (was genau so hinderlich ist) durch übertriebene Beschäftigung mit ihr.

Durch eingehende Auswertung seiner Prüfungsergebnisse kommt Pauli zu der Behauptung, dass die weibliche durchschnittliche Unterlegenheit nicht so sehr auf bloße Intelligenzunterschiede als vielmehr auf die Gesamtveranlagung der beiden Geschlechter zurückzuführen ist. Die Differenz darf nicht der Gegenstand einer einseitigen Intelligenzprüfung sein. Es handelt sich um eine Konstitutionsfrage überhaupt. Und dieses schöne Wort mag den Frauen ein schwacher Trost sein.

* Erich Kästner, geb. am 23. Februar 1899 in Dresden, gest. am 29. Juli 1974 in München. Dieser Text wurde – leicht gekürzt - entnommen aus dem PESTER LLOYD vom 3. November 1938, Morgenblatt.