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(c) Pester Lloyd / 40 - 2019   POLITIK       30.09.2019


Der Kalif von Budapest

Gottesstaat gegen Einwanderungsländer - Bericht vom Fidesz-Kongress

Auf die Frage, ob die 1.406 Stimmen, die Viktor Orbán für die Wiederwahl zum Fidesz-Parteichef erhalten hatte, 100 Prozent der Delgierten entsprächen, antwortete der Pressechef: Jetzt schon! - Spaß beiseite. Natürlich wurde der Große Vorsitzende wiedergewählt und mit ihm seine Stellvertreter. Katalin Novák, Gábor Kubatov, Szilárd Németh und Lajos Kósa. Ein Gesicht für die Öffentlichkeit und drei bewährte Parteirambos, Kubatov sozusagen der Chef des internen Geheimdienstes (Schlägertrupps aus dem Umfeld von Fußballvereinen, Listen von Parteisympathisanten und Abweichlern), Németh, der eloquente Bullterrier als medialer Vollstrecker und Kósa, der Stratege und Gauleiter für Debrecen.

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Foto: MTI

"Ungarischer Salvini"

Intern hat Fidesz nicht viel zu besprechen, zumindest nicht öffentlich. Denn wo es anderweitig Parteigprogramme und Ausschüsse gibt, hat Fidesz Befehlsketten mit Leckerli an derem Ende. So diente der Parteitag der ungarischen Staatspartei vor allem der Außenwirkung. Dankbarerweise hatte der Rechtsausschuss (wie passend) des EU-Parlamentes gerade
László-"Die Volksgemeinschaft steht über den Menschenrechten"-Trócsányi als EU-Kommissar für die Leyen-Truppe abgelehnt, noch bevor er sich einer Abstimmung stellen konnte. Geldwäsche, dubiose Russland-Kontakte und mangelnde Kompetenz waren die Gründe, auch wenn nicht alle offiziell genannt wurden. Er verfocht außerdem die lebenslange Haft ohne jedwede Revisionsmöglichkeit - was gegen EU-Grundnormen verstößt.

Es sei ein weiterer Angriff von "einwanderungsfreundlichen Kräften", dass sie "gerade jenen Politiker ablehnen, der sich während seiner Zeit als Minister (Justiz) dafür eingesetzt hatte, Europa vor den Einwanderern zu schützen". Davor war Trócsányi, der auf dem Parteitag als der "Ungarischer Salvini" betitelt wurde, als Anwalt vor allem mit dem Umleiten von Geldern und der Gründung von Firmen beschäftigt, die mafiöse Erlöse des Orbán-Umfeldes aus dem Verkauf von Schengen-Visa über Agenturen sowie aus dem grauen Erdölmarkt
"verschwinden" ließen. Dass Orbán diesen Mann gerne an der Seite der EU-Kommissionspräsidentin paltziert hätte, ist aus nachrichtendienstlichen Erwägungen also nachvollziehbar.

"Christliche Freiheit"

Brüssel "habe zu akzeptieren, dass Ungarn und andere Länder Nationen bleiben wollte, die stolz darauf sind christlich zu sein" und dass "wir das Recht haben nach den Werten der christlichen Freiheit zu leben", - also in einer Art Gottesstaat mit Orbán als Kalifen. Er sieht sich mit Polen, Tschechien und der Slowakei in einer "Kolonne" und "es ist nur eine Frage der Zeit bis auch über Italien wieder die Flagge der Freiheit weht". So die Kernsprüche auf Orbáns Hauptrede. Unsere maßlose Übertreibung vom Gottesstaat wird immer kleiner, wenn man sich mit der Rolle der
Kirche als Schulträger vertraut macht, den "Nationalen Lehrplänen" der (ver)staatlich(t)en Schulen und dem allgemeinen ideologischen Umbau in Ungarn seit 2010.

Dass mit Salvini geht Orbán sichtbar nahe. Freund Netanjahu hat es gerade auch nicht leicht, Johnson vom Obersten Gericht abgewatscht, Trump vor der Absetzung, Strache am Ende und Franco wird auch exhumiert - und nicht für eine nachträglich Ehrung. Kein guter September für die Rechte. Gut, dass Orbán die Stellung hält.

Alles für die "Familie"

Viel Neues gab es auf dem Parteikongress denn auch nicht zu hören, außer den üblichen Opfer- und Verteidigungsparolen und einige komische Momente, wie "Wir sind nicht länger bereit, von EU-Geldern weiterhin eine Masse an feindlichen, sorosartigen pseudso-Zivilorganisationen zu finanzieren", so Orbán. Das muss man auch verstehen, denn
mit EU-Geld finanziert Orbán lieber seine Familie im weiteren Sinne. Und "nichts ist so wichtig wie die Familie", wusste schon Don Vito Corleone.

Geld der EU solle nicht länger an liberale Medien fließen (wir warten noch auf die Überweisung) oder an "vagabundierende Aktivisten und Unruhestifter". "Verdeckte liberale Angriffe seien Schuld an der Instabilität von Nordmazedonien" - nicht die Mordaufrufe und der faktische Ausschluss der Opposition. (
Orbán versteckt seit Jahren den gesuchten und verurteilten Ex-Premier des Landes vor der Justiz). Das gleiche gelte für die "Leiden Rumäniens". Die "liberalen Netzwerke in Washington und Brüssel mit ihren Dutzenden von Medien-Netzwerken" seien "die größte Bedrohung für ein friedliches Leben in Mitteleuropa".

Danach kam ein "historischer" Abriss, der in dem Credo endete, dass "wir Patrioten" gegen "Kosmopoliten, Internationalisten, gleichgeschlechtliche Ehe, für den Schutz der Jugend statt Drogenfreigabe, ungarische Kinder statt Einwanderer und für christliche Kultur statt Multikulti-Mischmasch eintreten".

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Foto: Fidesz

Drohung an Opposition

Orbáns Stellvertreter schmierten ihrem Gönner so gut sie konnten Honig ums Maul, hatten selbst aber offenbar vorher Pálinka gesoffen. Kabinettschef Gulyás und Fraktionsvorsitzender Kocsis schossen sich auf die Opposition ein (marginal, am Boden) und bezichtigten sie wörtlich mit der EU eine Art Molotov-Ribbentropp-Pakt auszuhandeln (Dolchstoß), wobei das arme Ungarn natürlich die Rolle Polens zugeteilt bekäme. Kocsis befand zudem, dass die Opposition aus "Verrätern, Post-Nazis, Neo-Marxisten und Anarcho-Liberalen" bestehe, dann gingen ihm die Attribute aus.

So absurd, ja komisch das alles klingen mag, die fortschreitende Kriminalisierung oppositioneller Stimmen, über Zivilgesellschaft und Medien hinaus ins Parlament ist ein Fakt und offenbar mit dem Ziel beschriftet, die "Volksfeinde" im Bedarfsfalle von der Macht auch mit extraelektoralen Mitteln fernzuhalten. Autokratien und Diktaturen haben uns gelehrt, dass die Benennung von "Gegnern" letztlich auf deren Vernichtung zielt. Kurz: Fidesz bedroht mittlerweile offen die Opposition. Sie möge sich mit ihren Pöstchen abfinden, aber nicht das System in Frage stellen. Die meisten halten sich daran.

Der Kongress endete mit einem gemeinsamen Gebet in Form der Nationalhymne.

red.



 




 

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